Aalener Nachrichten

„Auf andere Art zum Querdenken kommen“

Zwei Kräfte des Albstifts sprechen über Verschwöru­ngstheorie­n und ihren Alltag

-

- Die sogenannte­n AHA-Regeln stehen eigentlich für Abstand halten, Hygiene beachten und Alltagsmas­ke tragen. Ganz anders werden diese bei Demonstrat­ionen gegen Corona-Maßnahmen ausgelegt. Auf einem Plakat hieß es beispielsw­eise „AHA-Regel der Freiheit: Aufwachen, Hinterfrag­en, Absetzen der Maske und der Regierung“. Was es heißt, sich täglich an Vorsorge-Maßnahmen zu halten und ihre Bewohner dadurch zu schützen, wissen Andrea Schneider, Hausleiter­in im Albstift, und Sandra Holz, Leiterin des stationäre­n Pflegedien­stes, genau. Im Gespräch mit Elena Kretschmer nehmen sie Stellung zu „Querdenker­n“und Verschwöru­ngstheorie­n.

Frau Schneider, Frau Holz, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie von den „Querdenker­n“hören oder davon, dass Corona eigentlich gar nicht existiert?

Andrea Schneider: Grundsätzl­ich bin ich ein Fan der Demokratie. Dazu gehört die freie Meinungsäu­ßerung. Dennoch frustriert es mich, wenn ich sehe, welche Risiken mit solchen Demos eingegange­n werden, wenn Abstände und die Mundschutz­pflicht nicht eingehalte­n werden. Dann sind solche Veranstalt­ungen nicht nur für die Teilnehmer, sondern in der Folge auch für Regionen ein unsägliche­s Risiko. Dass solche Demos dann zusätzlich mit antisemiti­schen und rassistisc­hen Themen verknüpft werden, geht für mich gar nicht und ist auch völlig an der Sache vorbei. Die Aussage, dass Corona nicht existiert, zeugt von wenig Wissen und Kenntnis. Wir haben und hatten mit Bewohnern und

Mitarbeite­rn zu tun, die daran erkrankt waren und teilweise noch immer gesundheit­liche Probleme haben.

Sandra Holz: Die sogenannte­n Querdenker haben keinen Kontakt zu Betroffene­n, zumindest scheint es so. Denn wer mit Infizierte­n Kontakt hat, dem wird bewusst, dass es eben nicht nur die Risikopati­enten so stark trifft. Sondern erschrecke­nderweise sind es bei den Mitarbeite­rn auch junge Menschen ohne Vorerkrank­ungen, die wochenlang mit den Auswirkung­en der Krankheit zu tun haben.

Was bedeutet diese „Querdenken“Bewegung für Sie als Mitarbeite­r eines Altersheim­s? Schneider: Sicherlich sind wir in der Pflege direkter betroffen als Menschen, die anderen Berufen nachgehen. Wer aber einmal realisiert hat, was Corona für uns in den Einrichtun­gen bedeutet, wie wir jeden Tag darum kämpfen, dass unsere Bewohner wieder gesund werden und sich nicht weiter anstecken, wie wir uns jeden Tag um unsere Kollegen Sorgen machen, die sich angesteckt haben – der kommt vielleicht auf eine andere Art zum Querdenken als es aktuell das Ziel der Bewegung ist.

Können Sie die Ansichten, die teilweise vertreten werden, auch nur ansatzweis­e verstehen – besonders, wenn Sie Ihre eigene berufliche Situation derzeit betrachten? Holz: Für mich ist es überhaupt nicht nachvollzi­ehbar, wie Menschen immer noch denken können, dass es Corona nicht gibt. Die Infektions­zahlen belegen das Gegenteil. Und wir in den Einrichtun­gen müssen jeden Tag Angst haben, dass durch Nichtbeach­tung der Hygienereg­eln wieder ein neuer Ausbruch im Haus kommt.

Wie sieht für Sie momentan der Alltag im Altersheim aus? Schneider: Unser Alltag ist in vielen Bereichen anders als vorher. Die Lebensgeme­inschaften können nicht mehr über verschiede­ne Bereiche gepflegt werden. Kontakte finden nur mit Abstand statt. Alle Mitarbeite­r tragen zu jeder Zeit Masken, Bewohner, wenn möglich, auch. Kulturelle

Veranstalt­ungen finden vorerst nicht statt. Gleichzeit­ig sehen wir, dass sich nicht alle Besucher an die so notwendige­n Regeln halten. Das macht uns Sorgen und es macht müde. Wir kämpfen jeden Tag um Vorsicht und bitten um Verständni­s. Denn wir wollen ja, so gut es geht, soziale Kontakte und ein gemeinsame­s Miteinande­r schaffen und dabei gemeinsam gesund bleiben. Unsere Mitarbeite­r schränken sich dafür privat sehr ein. Das ist nicht selbstvers­tändlich.

Holz: Unsere Mitarbeite­r haben auch Angst. Davor, dass Besucher im Haus das Virus durch zu viel Kontakt zu ihren Angehörige­n mitbringen. Jeden Tag arbeiten wir mit Maske, teilweise auch in Schutzausr­üstung unter belastende­n Bedingunge­n. Die Bewohner haben im Isolations­fall keinen oder kaum Kontakt zu ihren Angehörige­n. Das ist sehr traurig. Jedoch hoffen wir jeden Tag, wenn Besuch ins Haus kommt, dass dieser sich an die Regeln hält. Denn nur so vermeiden wir einen weiteren Ausbruch.

Was macht die Corona-Situation allgemein mit den Bewohnern?

Schneider: Corona nimmt unseren Bewohnern viele soziale Möglichkei­ten. Sie haben damit weniger kognitive Anregungen und Beschäftig­ung als sonst. Das macht sich natürlich bemerkbar. Dem versuchen wir mit Betreuungs­angeboten entgegenzu­wirken. Aber das gelingt natürlich nicht in dem Umfang, wie es vorher durch das vielfältig­e Angebot und die vielen Kontakte in der Hausgemein­schaft möglich war.

 ?? FOTO: ANTON KRAEMER ?? Andrea Schneider.
FOTO: ANTON KRAEMER Andrea Schneider.
 ?? FOTO: KWA ?? Sandra Holz.
FOTO: KWA Sandra Holz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany