„Das sind zwei Welten“
Die Leiterin einer Altenpflegeeinrichtung äußert sich zu „Querdenker“-Demos
- Wenn Tausende von Menschen ohne Abstand oder Maske auf die Straße gehen, um gegen Corona-Regelungen zu demonstrieren, dann löst das in Jessica Hügler vor allem eines aus: Unverständnis. Für die Einrichtungs- und Pflegedienstleiterin des DRK-Seniorenzentrums in Bopfingen prallen zwei Welten aufeinander: die der „Querdenker“und die der Angestellten in der Altenpflege, die tagtäglich „Beeindruckendes“leisten.
„Da fängt man schon an nachzudenken. In der Pflege und auch anderswo im Gesundheitswesen arbeiten alle an der Leistungsgrenze und dann sieht man solche Bilder aus Leipzig. Das ist schon befremdlich. Ich finde es schwierig, das nachzuvollziehen“, so Hügler. Am meisten stört sie, dass die AHA-Regeln – Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmaske tragen – nicht eingehalten werden. Sie geht davon aus, dass der Aufschrei in der Bevölkerung nicht ganz so groß wäre, wenn alles coronakonform ablaufen würde, betont aber ganz klar: „Grundsätzlich sind solche Demos ja nichts Schlechtes, jeder hat das Recht dazu.“Um mitzubekommen, ob und wie viele Leute sich bei derartigen Protestmärschen mit dem Coronavirus infiziert haben, fehlten schlichtweg die nötigen Hintergrundinformationen. Was sie als Leiterin einer Altenpflegeeinrichtung aber jeden Tag sehe, seien Menschen, die an ihre Grenzen kommen, weil Corona nunmal allgegenwärtig ist. Oberste Priorität habe aber stets der Schutz der Bewohner, von deren Seite ebenfalls Unverständnis für „Querdenker“herrsche, die sich in ihren Grundrechten eingeschränkt fühlen.
„Wir haben die Besuchszeiten angesichts der steigenden Corona-Zahlen auf eine halbe Stunde beschränkt. Besuche müssen vorher angemeldet werden“, erläutert Jessica Hügler. Zum Termin stehe dann dem Bewohner und seinen Angehörigen ein eigens eingerichtetes, großes Besucherzimmer zur Verfügung. „Es gibt natürlich auch Ausnahmen, vor allem bei der Sterbebegleitung.“Die zeitliche Beschränkung spiele dabei eine Rolle, weil regelmäßig gelüftet werden müsse, aber auch die organisatorische Komponente. „Wir haben 65 Bewohner hier, die alle Besuch bekommen wollen, können und dürfen. Das alles unter einen Hut zu bringen, ist manchmal gar nicht so einfach.“
Zudem achte jeder Angestellte darauf, seine eigenen sozialen Kontakte zu reduzieren, immer mit dem Ziel, das Risiko für die Bewohner der Pflegeeinrichtung so gering wie möglich zu halten.
Das Verständnis der Angehörigen sei groß, es gebe auch niemanden, der sich wehre, Maske zu tragen oder Abstand zu halten. „Die Besucher bekommen von uns außerdem einen Schutzkittel“, so Hügler. Auch da gebe es kein Murren, ebenso wenig bei den Mitarbeitern auf Station, die von morgens bis abends eine FFP2Schutzmaske tragen. „Das ist schon ’ne Nummer, was die da jeden Tag leisten.“Allen, die behaupten, Corona sei nur ein Schnupfen, empfiehlt sie, sich einfach mal selbst ein Bild auf einer Intensivstation zu machen. „Corona ist ein Thema, das uns alle betrifft. Wir müssen Solidarität zeigen. Eine Maske tut nicht weh“, betont die 31-Jährige. Ohne Zweifel sei in ihrer Branche durch die extrem hohen Anforderungen ein deutlicher Mehraufwand entstanden, aber durch die Pandemie seien auch „alle ein bisschen aufgewacht“und hätten erkannt, wie schwer man es in der Pflege habe.
Sie rechnet damit, dass sich das Besucheraufkommen über die Feiertage erhöhen werde: „Wir sind im Kreisverband gerade dabei, zu schauen, dass wir all dem gerecht werden können. Die Frage ist, wie sich die Lage entwickelt.“In jedem Fall werde das Betreuungspersonal versuchen, den Bewohnern die Vorweihnachtszeit so angenehm wie möglich zu machen – sei es mit Dekoration, beim Lebkuchenhaus-Bauen in kleinen Gruppen oder in kleineren Weihnachtscafés. Jessica Hügler hofft nun auf den passenden Impfstoff und dass wieder etwas mehr Normalität einkehren kann.