Genossin Beutekunst
Russische Kunstwissenschaftlerin Irina Antonowa 98-jährig gestorben
- Für die Deutschen war sie die Genossin Njet der Beutekunst-Debatte, für die Russen die kompetenteste und fortschrittlichste Museumsdirektorin der Sowjetunion: Irina Antonowa. 52 Jahre lang stand die Kunstwissenschaftlerin an der Spitze des international bekannten Puschkin-Museums in Moskau. Ihre Arbeit dort hatte sie noch unter Sowjetdiktator Josef Stalin 1945 begonnen. Wie das Museum bekannt gab, erlag Antonowa einem durch Covid-19 erschwerten Herzleiden. Sie wurde 98 Jahre alt.
Sie wisse, dass das Thema Beutekunst für deutsche Museumsleute schmerzhaft sei, sagte Irina Antonowa in einem späten Interview. Aber sie habe während des Krieges als junge Krankenschwester amputierte Beine junger Sowjetsoldaten wegtragen müssen. „Wir reden von unterschiedlichen Arten von Schmerz.“
In Russland gilt die Spezialistin für italienische Renaissance-Kunst als kulturelle Jahrhundertfigur. In Deutschland ist sie vor allem für ihre Härte im Streit um die sogenannte Beutekunst bekannt.
Antonowa begann 1945 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Puschkin-Museum, wo damals zahlreiche aus dem besiegten Deutschland abtransportierte Kunstschätze gelagert wurden. 1961 wurde sie Direktorin des Museums, dessen Leitung sie bis 2013 behielt. Und die Beutekunst, ob Cranach-Gemälde oder Schliemann-Goldschatz, wollte sie nicht herausrücken. Lange Jahre hätte sie versichert, alles sei schon zurückgegeben worden, erzählt der
Moskauer Kunsthistoriker Andrei Jerofejew der „Schwäbischen Zeitung“. „Sie sagte, sie habe kein Schliemann-Gold, dabei lag es im Keller ihres Museums.“
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stellte das PuschkinMuseum das Schliemann-Gold und andere Beutekunstwerke aus. Und Direktorin Antonowa lehnte weiter alle Forderungen der Deutschen ab, sie gemäß der Haager Landkriegsordnung herauszugeben. Die sei nicht mehr zeitgemäß, die Wehrmacht hätte im Krieg 400 russische Museen komplett zerstört, Millionen sowjetische Kulturgüter wären spurlos in Nazideutschland verschwunden. Dagegen habe die Sowjetregierung der DDR eineinhalb Millionen Kunstgegenstände zurückgegeben.
Trotzdem wurde Antonowa zur postsowjetischen Buhfrau der deutschen Medien, eine „verdiente Genossin“höhnte der Spiegel 1993. Es gehörte zu ihrem Vermächtnis, dass ein russisches Gesetz gegen den Protest Deutschlands die „verlagerten Kulturgüter“als Wiedergutmachung festschreibt. Zu den Kostbarkeiten gehören auch die Troja-Funde von Heinrich Schliemann und der Eberswalder Goldschatz. „Eine Rückgabe wäre der Beginn einer Revolution in den Kunstsammlungen der ganzen Welt“, sagte Antonowa einmal. Sie verwies darauf, dass Museen weltweit voll seien mit Kunstschätzen von Eroberungszügen und Kriegen.
Die am 20. März 1922 in Moskau geborene Antonowa hatte in ihrer Kindheit einige Jahre in Deutschland gelebt und sprach Deutsch. Sie wehrte sich stets gegen Berichte, sie habe nach dem Krieg selbst Beutekunst ausgesucht.
Russische Feuilletonisten hingegen lobten die Kunstwissenschaftlerin als Expertin von Weltrang, die mit großer Klugheit und unerschöpflicher Energie selbstbewusst und kompromisslos eines der wichtigsten russischen Museen führte. Zu Sowjetzeiten organisierte Antonowa die erste Schau mit Arbeiten des Surrealisten Salvador Dalí. „Für eine Kulturschaffende der Nachkriegszeit war sie alles andere als konservativ“, sagt Jerofejew. Nach Stalins Tod organisierte sie 1956 eine Picasso-Ausstellung, ließ die Bilder der lange verbotenen russischen Impressionisten wieder aufhängen. Die Museumsmanagerin stellte auch den verfemten Sowjetkünstler Alexander Tyschler aus. Ihren Ruf als „eiserne Lady“, so das Portal RBK, erwarb sie sich bei ihren unerbittlichen Gefechten mit mauernden sowjetischen Kulturfunktionären.