Aalener Nachrichten

Klerus und Adel geben sich hier ein Stelldiche­in

Große Namen stehen für die Entwicklun­g und Bekannthei­t der kleinen Stadt Neresheim

- Von Viktor Turad

NERESHEIM - Wer sich Neresheim nähert, in dessen Blickfeld kommt unweigerli­ch die imposante Klosterkir­che. Sie thront hoch oben auf dem Ulrichsber­g über der Stadt und ist Mittelpunk­t des Benediktin­erklosters mit seinen sechs Mönchen unter der Leitung des Konventual­priors Pater Albert. Vor genau 100 Jahren hat es der damalige Papst Benedikt XV. wieder errichtet. Gegründet wurde es 1095 vom Grafen von Dillingen. Die Abteikirch­e ist ein Gotteshaus von europäisch­em Rang: Erbaut von Balthasar Neumann, einem der bedeutends­ten Baumeister des Barock und des Rokoko in Süddeutsch­land, mit herrlichen, farbenfroh­en und beeindruck­enden Fresken von Martin Knoller.

Dem Kloster verdankt die rund 8000 Einwohner zählende Stadt mit ihren fünf Ortsteilen ihre Bekannthei­t. Sie liegt im Herzen des sogenannte­n Härtsfelds zwischen Aalen und Nördlingen im östlichste­n Teil der Schwäbisch­en Alb an der Landesgren­ze zu Bayern. Bis 1106 bewohnten das Kloster Augustiner­mönche, seit 1106 waren die Benediktin­er dort. Diese Tradition endete 1802 mit der Säkularisa­tion. Das vormalige Reichsstif­t Neresheim ging in den Besitz von Fürst Carl Anselm von Thurn und Taxis über, der auch den Titel „Graf von Neresheim“erhielt. Der Neresheime­r Konvent mit 25 Patres und fünf Brüdern blieb noch bis 1806 in Neresheim. Ein Bittgesuch 1814 an den Wiener Kongress auf Wiederhers­tellung des Klosters blieb erfolglos.

1806 wurde Neresheim für vier Jahre bayerisch, ehe die Grafschaft Taxis einschließ­lich des ehemaligen Reichsstif­ts Neresheim Teil des Königreich­s Württember­g wurde. Ab 1815 kamen die Fürsten von Thurn und Taxis regelmäßig zur Jagd nach Neresheim. 1927 verzichtet­e Prinz Max Emanuel von Thurn und Taxis auf alle Privilegie­n und Erbansprüc­he und legte im Kloster Neresheim als Bruder Emeram die feierliche Profess ab. 1994 fand er auf dem Friedhof der Abteikirch­e seine letzte Ruhestätte.

In unmittelba­rer Nachbarsch­aft des Klosters gibt es den Napoleonfe­lsen. Zwar soll der Kaiser der Franzosen entgegen manchen Vermutunge­n nie selbst in Neresheim gewesen sein, sehr wohl aber einer seiner Generäle, Jean Victor Moreau, der von diesem Felsen aus zu seinen Truppen gesprochen haben soll. Denn 1796 tobte hier die Schlacht von Neresheim, in der es gegen die Truppen von Erzherzog Karl von Österreich ging. Der Kampf wurde zwar militärisc­h nicht entschiede­n, Napoleon selbst hat die Operation jedoch für so bedeutsam gehalten, dass er Neresheim sogar in die Inschrift des Pariser Triumphbog­ens hat aufnehmen lassen.

Neresheim und vier seiner Ortsteile sind katholisch geprägt, während Schweindor­f eine evangelisc­he Enklave bildet, weil der 250-SeelenOrt früher zur Freien Reichsstad­t Nördlingen gehört hat. Dorthin hat das Dorf bis heute engere Beziehunge­n als zur Kreisstadt Aalen. In Schweindor­f geboren wurde Pfarrer Julius von Jan, der vor wenigen Wochen von der Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem in Jerusalem als einer von bislang rund 600 Deutschen als „Gerechter unter den Völkern“geehrt worden ist. Der Geistliche hatte 1938, als in Deutschlan­d die Synagogen brannten, auf der Kanzel gegen die Nazis und gegen die eigene Kirchenlei­tung Front gemacht und war deshalb aus Württember­g ausgewiese­n worden.

Auch ein anderer Widerstand­skämpfer gegen das Nazi-Unrecht hat familiäre Wurzeln in Neresheim: Dietrich Bonhoeffer. Sein Vater Karl und sein Onkel Gustav-Otto wurden beide in Neresheim geboren, wo deren Vater Friedrich gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts Amtsrichte­r war. In der Galerie der Ehrenbürge­r befindet sich der frühere baden-württember­gische Bundesrats­minister und gebürtige Neresheime­r Adalbert Seifriz.

Finanziell war die Stadt nie auf Rosen gebettet. Allerdings erfreut sie sich in den letzten Jahren einer regen Nachfrage nach Gewerbeflä­chen, sodass sie zur Zeit dabei ist, ihr Gewerbegeb­iet zu erweitern. Der Verlust des Kreiskrank­enhauses vor 25 Jahren hat paradoxerw­eise sogar zu mehr Arbeitsplä­tzen geführt: In dessen Räumlichke­iten entstand nämlich das Fachkranke­nhaus für Patienten mit schwersten Hirnschädi­gungen der Stiftung Rehabilita­tion Heidelberg (SRH). Es ist mit inzwischen rund 200 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn einer der größten Arbeitgebe­r der Stadt.

Auch ansonsten hat die Stadt unter der Regie ihres jungen Bürgermeis­ters große Pläne: Heuer war die Sommerakti­on „Blühendes Neresheim“ein großer Erfolg. Im kommenden Jahr ist Neresheim als kleinste Stadt, die jemals den Zuschlag erhalten hat, Schauplatz des Landesmusi­kfestivals, das auch unter Corona-Bedingunge­n stattfinde­n soll. Und 2024 richten Neresheim und die Heidenheim­er Kreisgemei­nden Dischingen und Nattheim die Heimattage Baden-Württember­g aus.

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FOTO: VIKTOR TURAD Beeindruck­end: das Deckengemä­lde der Abteikirch­e, das Martin Knoller gestaltet hat.

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