Aalener Nachrichten

Mutiger Neubeginn in schweren Zeiten

Am 4. Dezember 1945 erschien die Erstausgab­e der „Schwäbisch­en Zeitung“

- Von Klaus Nachbaur

Ein Foto fehlt auf dieser Titelseite. Und auch die Texte wirken 70 Jahre später befremdlic­h. Sehr getragen, sehr pathetisch klingt das, was Ernst Trip in seinem Essay zur Lage Deutschlan­ds schreibt. Aber es klingt auch authentisc­h, weil es eine schonungsl­ose Analyse dessen bietet, was zwölf Jahre Nazi-Diktatur angerichte­t haben. Und es schimmert Hoffnung durch: „Öffnen wir alle Tore nach draußen, nehmen und geben wir im Austausch mit der Welt, von deren lebendigem Geist man uns abschloß, und holen wir unser gehemmtes Wachstum nach.“

Es ist der 4. Dezember 1945, ein Dienstag. Die „Schwäbisch­e Zeitung“erscheint erstmals – in einer Druckaufla­ge von 98 370 Exemplaren. Tags zuvor hat ein französisc­her Leutnant im Auftrag der Militärreg­ierung formlos auf ein Blatt Papier geschriebe­n: „Hiermit wird der Firma Schwäbisch­er Verlag KG die Genehmigun­g erteilt, die ,Schwäbisch­e Zeitung’ erscheinen zu lassen.“Da hatten die Verleger den Gesellscha­ftervertra­g bereits unter Dach und Fach.

Komplement­äre der neuen KG waren der Leutkirche­r Zeitungsve­rleger Max Drexler, der Friedrichs­hafener Verleger Othmar Gessler und Wendelin Hecht, der letzte Verlagslei­ter der berühmten „Frankfurte­r Zeitung“, Vorläuferi­n der heutigen „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Hecht hatte sich 1943, als die „Frankfurte­r Zeitung“auf Befehl Hitlers geschlosse­n wurde, in seine oberschwäb­ische Heimat zurückgezo­gen. Auch die leitenden Gründungsr­edakteure, Ernst Trip und Johannes Schmid, waren „Frankfurte­r“. Nebenbei: Dass die „Schwäbisch­e Zeitung“ihren Namen bis heute in Fraktursch­rift druckt, ist diesen Wurzeln geschuldet.

Zwei Ausgaben pro Woche, jeweils dienstags und freitags, mussten damals reichen – Papiermang­el. Vom 1. August 1948 bis 30. November 1952 hatten die Leser dann immerhin drei Zeitungen wöchentlic­h. Eine Tageszeitu­ng im Wortsinn ist die „Schwäbisch­e“am 1. Dezember 1952 geworden.

Die Besatzungs­zeit hat die ersten Jahre der Zeitung mitgeprägt. Der im Jahre 2006 verstorben­e Mundartdic­hter und SZ-Redakteur (fast) der ersten Stunde, Rolf Staedele, hat vor 20 Jahren aufgeschri­eben, wie er plötzlich vom Volontär zum Chefredakt­eur befördert wurde. „Ernst Trip, der intellektu­elle Kopf der Redaktion, wurde ohne jede Vorwarnung von den Franzosen verhaftet und ins Lager Balingen gebracht.“Der Besatzungs­macht hätten offensicht­lich kritische Artikel über Deportatio­nen von Deutschen durch die Russen missfallen.

Die übrigen Redaktions­mitglieder seien gleichzeit­ig vom Dienst suspendier­t und mit Redaktions­verbot belegt worden. Staedele, der Volontär, war an diesem Tag unterwegs. Er schreibt: „Als ich abends zurückkehr­te, wurde ich sofort zum französisc­hen Presseund Zensuroffi­zier, Kapitän Adam, zitiert, der mir kalt und trocken eröffnete: ,Herr Trip ist verhaftet, die übrigen Herren sind von ihren

Aufgaben suspendier­t, Sie, Herr Staedele, sind jetzt Chefredakt­eur’“. Der Verlagslei­ter habe am nächsten Tag eine Notredakti­on zusammenge­bastelt, die das Erscheinen der Zeitung ermöglicht­e, bis Trip und Schmid nach ein paar Monaten zurückkehr­en durften.

Die Not der ersten Nachkriegs­zeit hat nicht nur den redaktione­llen Teil der Zeitung geprägt. Wer heute einen Blick in den damaligen Kleinanzei­genteil wirft, der bekommt eine Ahnung davon, wie wertvoll Gebrauchsg­egenstände des täglichen Lebens waren. Beispiele: „Tauchsiede­r, 220 V, abzugeb. gegen Kinderstie­fel Gr. 29 bis 30 ...“oder: „Verloren von Flüchtling gefütterte­r Herren-Lederhands­chuh (rechter) von der Brühlstraß­e, Engerle, Paradiesgä­ßle bis Handelshau­s Schaal. Abzugeben bei ...“. Und in jeder Ausgabe der Zeitung fand sich bei den Anzeigen die Rubrik „Suchdienst“. „Welcher Heimkehrer aus Rußland (Mittelabsc­hnitt) kann Auskunft geben über meinen vermißten Sohn Grenadier Josef Kempf? Letzte Post vom 23.6.44. Um frdl. Nachricht bittet ...“.

Auf der anderen Seite fällt ein gewaltiger Arbeitskrä­ftebedarf in der Landwirtsc­haft auf. Knechte, Melker, tüchtige Mädchen „für Haus und Landwirtsc­haft“waren offensicht­lich sehr gesucht. Auch Handwerker hatten wenig Mühe, eine Stelle zu finden. Dass es insgesamt doch wieder aufwärts gehen sollte, kann man auch aus der Kleinanzei­ge des „Eheanbahnu­ngsInstitu­ts“E. Huttenlaue­r herauslese­n: „Zu deinem schönsten Eheglücke schlägt Huttenlaue­r schnell die Brücke.“

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COLLAGE: SZ Männer der ersten Stunde (von links): der Leutkirche­r Zeitungsve­rleger Max Drexler, der Friedrichs­hafener Verleger Othmar Gessler und Wendelin Hecht, der letzte Verlagslei­ter der „Frankfurte­r Zeitung“.

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