Sankt Nikolaus ist arbeitslos
Wegen Corona müssen Kinder dieses Jahr auf den Heiligen mit dem Rauschebart verzichten – Für die FreizeitNikoläuse in der Region ein harter Schlag
Seit 46 Jahren rückt Elmar Pfund jedes Jahr als Nikolaus aus. Mit Mitra, Sack, Stab ausgerüstet und begleitet von Knecht Ruprecht zieht er in Ravensburg von Haus zu Haus. Dieses Jahr nicht.
Dieses Jahr ist alles anders und das trifft auch den Heiligen mit dem weißen Rauschebart. Wegen der Corona-Krise bleiben Pfund und seine zwölf Mitstreiter dieses Jahr zu Hause. Normalerweise organisieren sie über den Familientreff der Caritas jedes Jahr am Nikolausabend und am 6. Dezember Besuche bei 38 Familien.
„Fehlen werden mir besonders die leuchtenden Kinderaugen“, sagt Pfund mit nachdenklicher Stimme. Zwar seien die Vorbereitungen ab September nicht immer einfach, aber Pfund ist traurig, dass es dieses Jahr nichts vorzubereiten gibt.
„Das ist schon eine besondere Sache und das ist auch nur einmal im Jahr“, sagt Pfund. Dieses Jahr haben sich die Ravensburger Caritas-Nikoläuse im September entschieden, zu pausieren. Einige Mitglieder hätten eigene Betriebe, 14 Tage lang wegen Quarantäne dicht zu machen, sei da undenkbar. Leicht fiel die Entscheidung nicht. Elmar Pfund sagt: „Ich denke schon, dass es auch gerade in so einem Jahr wie diesem viele Familien gibt, die den Nikolaus brauchen könnten.“
Der Nikolaus symbolisiert für Pfund Werte wie Nächstenliebe, Güte sowie Achtung vor sich selbst und anderen. Aber auch Benehmen, Glaube und Christlichkeit. Diese Werte will er vermitteln. Der Nikolaus sei ein gütiger, weiser Mann, der anderen helfe. Wenn er in eine Familie komme, dann gehe es darum, klarzumachen, wer der Nikolaus war und was er getan habe. „Wir sind ja keine Weihnachtsmänner“, sagt Pfund mit Nachdruck in der Stimme.
Vor allem aber geht es Elmar Pfund um die Bewahrung eines Brauches, der Nikolaus-Tradition. Und um die fürchtet er. „Ich habe schon Sorge, dass der Brauch darunter leidet und vielleicht manche im nächsten Jahr nicht mehr an den heiligen Nikolaus denken“, sagt er. Zwar sei in den letzten Jahren die Nachfrage gestiegen, die Furcht aber, dass ein Jahr ohne Nikolaus Folgen haben könnte, bleibt.
Pfund ist eigentlich in der Vermessungsabteilung des Landratsamts tätig. Nikolaus ist er schon mit 15 Jahren geworden. „Es war eine andere Zeit, damals war Brauchtum nicht mehr so wichtig, oft lief der Fernseher, während wir da waren“, erzählt er. Heute fänden die Besuche häufig in einem sehr festlichen Rahmen statt, in vielen Fällen seien auch die Großeltern dabei. Eine Entwicklung, die er durchaus schätzt.
Wenn man Sebastian Töpfer glaubt, dann muss Elmar Pfund wenig Angst um den Nikolaus haben. Töpfer ist Leiter der psychologischen Familien- und Lebensberatungsstelle der Caritas in Ravensburg. Er sagt: „Viele Kinder sehen ja jedes Jahr den Nikolaus nicht, etwa in Häusern, in denen er nur nachts die Stiefel füllt. Das geht weiterhin. Und die Geschichte vom Nikolaus kann man ja trotzdem vorlesen.“Da müssten dann die Eltern einspringen.
Töpfer schlägt auch vor, Zettel an den Nikolaus zu schreiben, wenn die Kinder ihm etwas mitteilen wollen. „Der Nikolaus kann gerade in der Krise als gütiger, weiser Mann, der anderen geholfen hat und der jetzt zuhört, eine Figur zur Orientierung sein“, so Töpfer.
Auch eine Botschaft vom Nikolaus könne helfen. Nicht mit Tadel, sondern mit Lob. „Das Lob von einem Fremden kann für Kinder viel wert sein, umso mehr, wenn es so eine weise Respektsperson wie der Nikolaus ist“, erklärt Töpfer. So lasse sich dieses Jahr sehr gut ohne persönlichen Kontakt überbrücken.
Für Elmar Pfund und andere Nikoläuse sind die Auftritte aber auch ein leidenschaftlich ausgefülltes Ehrenamt, das dieses Jahr fehlen wird. Das wird klar, wenn Pfund mit blitzenden Augen von den Besuchen erzählt. „So ein Besuch läuft ganz unterschiedlich, wir haben zwar feste Texte, aber in dem Moment, wenn man auf die Kinder trifft, zählt nur, wie gut man auf sie eingehen kann“, sagt Pfund. Manche Kinder hätten
Angst oder seien schüchtern, während teilweise die Jüngsten durch wortgewaltige Eloquenz beeindrucken könnten.
Der Nikolaus-Besuch folgt einem festen Ritual. Nach der Begrüßung und der Kontaktaufnahme mit den Kindern erzählen die Darsteller die Geschichte des echten Nikolauses.
Die bekannteste Legende handelt davon, wie Sankt Nikolaus einem Vater mit drei Töchtern half. Nikolaus bekommt mit, dass die Familie in großer Armut lebt und wirft in der Nacht heimlich drei Goldklumpen durch das Fenster. Der Vater kann damit die Mitgift seiner Töchter bezahlen und sie verheiraten.
Diese in unzähligen Varianten erzählte Geschichte charakterisiert den Nikolaus so, wie ihn auch heute noch die Nikolaus-Darsteller zeigen wollen. „Der Nikolaus ist ein freundlicher und barmherziger Mann, der Gutes tut und Geschenke bringt“, sagt Pfund.
Für die modernen Nikoläuse steht das im Vordergrund. Wer bei der Caritas in Ravensburg einen Nikolaus bucht, zahlt keinen Fixpreis für die Dienste des heiligen Mannes. „Jeder soll einfach spenden, was er kann, das Geld geht bei uns an die Ravensburger Kinderstiftung, außerdem bezahlen wir damit unsere Kostüme“, so Elmar Pfund.
Nach der Geschichte folgt das, was oft mit „Lob und Tadel“beschrieben wird. Der Nikolaus liest aus einem Buch die Taten eines Kindes vor und lobt und tadelt. „Wir machen das psychologisch sinnvoll, ich lobe immer erst ein wenig, dann kommt ein Tadel, dann zum Schluss wieder Lob“, sagt Pfund.
Angst wolle er auf keinen Fall verbreiten, auch kein Erzieher sein. Der strafende Nikolaus gehört der Vergangenheit an. Früher war er gefürchtet.
Der 1941 geborene Johannes Flachs aus Hepbach bei Markdorf erinnert sich: „In meiner Kindheit kamen die rein und haben sofort zugeschlagen. Mit der Rute ins Gesicht, bis es blutete.“Das sei traumatisch gewesen, er habe als Kind schreckliche Angst gehabt. Flachs wurde in den 1970er-Jahren selbst Nikolaus, um diese dunkle Seite des Brauchs zu beenden. Alljährlich tritt er in Hepbach beim Nikolaus-Gottesdienst auf. Ohne Knecht Ruprecht. „Es ging mir darum zu zeigen, dass der Nikolaus ein gütiger, netter Mann war, der Gutes tat. Deswegen hab ich das Tadeln oder Strafen ganz weggelassen“, sagt Flachs. Auch er muss dieses Jahr auf die Tradition verzichten. „Die Kirche war beim Nikolaus-Gottesdienst immer berstend voll, deshalb haben wir das abgesagt“, sagt er.
In Ravensburg darf der Knecht Ruprecht sonst zwar mit, ist aber auch längst keine Schreckensgestalt mehr. Elmar Pfund erklärt: „Das ist der gute Gehilfe des Nikolaus. Ich mache mit ihm einen Dialog über den ganzen Auftritt hinweg. Wenn wir den Tadel vortragen, dann klingelt der höchstens mal oder klopft sich mit der Rute auf den Oberschenkel.“
Geschenke bringt der Nikolaus natürlich auch, aber erst, nachdem die Kinder noch etwas vorgetragen haben. Pfund erzählt: „In manchen Familien kriegt man da wahre Konzerte geboten, mit Violine sogar.“
Anders als die Ravensburger Nikoläuse der Caritas wollten die Mitglieder der Friedrichshafener Nikolausgilde eigentlich trotz Corona im Einsatz sein. Sie hatten sich sogar extra ein Konzept überlegt, wie der Gildenvorsitzende Berthold Schwarz erzählt. Auch er ist seit über 45 Jahren Nikolaus. „Wir wollten die Kinder draußen zum Beispiel im Garten treffen“, sagt er. Mit Feuer könne da eine tolle Atmosphäre entstehen.
Aber der Plan fiel flach. „Mit den Regeln von Ende November dürfen sich ja nur noch zwei Haushalte treffen – und Nikolaus und Knecht Ruprecht sind ja schon zwei, das geht also nicht“, erklärt Schwarz. Stattdessen gibt es jetzt eine Videobotschaft, die die Familien dann daheim abspielen können.
Unabhängig voneinander hoffen die drei langjährigen Nikoläuse, im nächsten Jahr wieder antreten zu können. Obwohl sie die Rolle schon seit mehr als vier Jahrzehnten ausfüllen, hat keiner genug. Das Nikolaus-Fieber lässt sie nicht los. Sie wollen so bald wie möglich wieder Kinderaugen zum Leuchten bringen.
Den virtuellen Besuch der Friedrichshafener Nikolausgilde stellen wir online unter schwaebische.de/ nikolausvideo zur Verfügung.