Merkel drückt aufs Tempo
Kanzlerin für zusätzliche Maßnahmen vor Weihnachten
(AFP/dpa) Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) strebt noch vor Weihnachten eine Einigung auf weitere Maßnahmen im Kampf gegen die CoronaPandemie an. In der Sitzung der Unionsfraktion sprach Merkel nach Teilnehmerangaben von „einer ganz schwierigen Situation“. Mit den derzeitigen Maßnahmen komme das Land „nicht durch den Winter“, wurde sie zitiert. Es werde derzeit „zu viel über Glühweinstände gesprochen und zu wenig über Krankenschwestern und Pflegekräfte“.
Vergangene Woche hatte Merkel mit den Regierungschefs der Länder vereinbart, die Corona-Auflagen bis zum 10. Januar zu verlängern und am 4. Januar erneut zu beraten. Angesichts steigender Infektionszahlen hatten nun sowohl Bayern als auch Baden-Württemberg die Maßnahmen verschärft und auf Bund-Länder-Beratungen noch vor dem Fest gedrängt.
- Eigentlich war die Linie klar: Bund und Länder hatten sich auf neue Corona-Regeln geeinigt. Doch nun könnte es ganz anders kommen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wird es diese Woche eine neue Corona-Runde der Ministerpräsidenten mit Merkel geben?
Die Dynamik ist gerade schwer einzuschätzen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat jedenfalls am Wochenende mal wieder den Druck erhöht. Kanzlerin Angela Merkel ließ über ihren Sprecher ausrichten, solche Beratungen seien „jederzeit möglich“. Beide gelten als Verfechter von härteren Maßnahmen. Auch der saarländische Regierungschef Tobias Hans (CDU) plädierte dafür, „kurzfristig“erneut zusammenzukommen. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz Michael Müller (SPD), der die Runde koordiniert, zeigt sich bislang zurückhaltend: „Ich bin da noch unsicher“, sagte er. Ohnehin hatten Bund und Länder zuletzt vereinbart, dass sich Söder, Merkel und Müller Mitte Dezember noch einmal beraten. Die nächste Runde von Kanzlerin und Länderregierungschefs war bislang eigentlich für den 4. Januar vorgesehen.
Warum verschärfen manche Bundesländer die gerade erst verabredeten Regeln?
Weil die seit November geltenden Beschränkungen – unter anderem mit der Schließung von Hotels und Gaststätten – vielerorts nicht den erhofften Erfolg gebracht haben. Nun wächst bei manchen die Sorge, dass die für Weihnachten und Silvester verabredeten Lockerungen die Probleme verschärfen könnten.
Wer plant Sonderregeln?
Bayerns Ministerpräsident Söder will Wechselunterricht in der Schule, ein Alkoholverbot unter freiem Himmel und den Verzicht auf Feiern an Silvester. Der Landtag muss noch zustimmen, wegen der Stimmmehrheit von CSU und Freien Wählern ist die Zustimmung allerdings sicher. Söders Amtskollege in Sachsen, Michael Kretschmer (CDU), plant ebenfalls weitere Beschränkungen. Hintergrund: In den beiden Bundesländern sind die Infiziertenzahlen besonders hoch.
Taugt Söders Modell für ganz Deutschland?
Nein, weil beispielsweise SchleswigHolstein und Mecklenburg-Vorpommern bisher weitaus besser durch die Krise gekommen sind und dort eher über weitere Lockerungen nachgedacht wird. Aber der Deutsche Städtetag fordert strengere Regeln zumindest für Corona-Hotspots, in denen sich in den vergangenen sieben Tagen mehr als 200 Personen pro 100 000 Einwohner angesteckt haben. „Dann ist es dringend geboten, noch einmal für einige Wochen einen stärkeren Lockdown zu machen“, sagt Verbandspräsident Burkhard Jung (SPD).
Kommt bundesweit der Wechsel von Präsenz- und Fernunterricht an den Schulen? Baden-Württemberg will auch künftig beim Präsenzunterricht bleiben. Auch in sogenannten Corona-Hotspots soll es „keinen Automatismus“ beim Wechselunterricht geben, teilte eine Sprecherin des Kultusministeriums mit. Entscheidend sei, ob das Infektionsgeschehen den Schulbetrieb tatsächlich beeinträchtige. Dies sei auch so mit dem Sozialministerium abgestimmt worden. Beim Wechselunterricht wird ein Teil der Schüler vor Ort unterrichtet, der andere Teil arbeitet selbstständig zu Hause Aufgaben durch.
Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) hatte sich zuvor im SWR für Wechsel- oder Fernunterricht für ältere Schüler ausgesprochen und von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) einen Kurswechsel gefordert. Dazu sagte die Sprecherin des Ministeriums: „Es ist verwunderlich, dass das Sozialministerium Regelungen mit uns abstimmt und festlegt und der Sozialminister nur wenige Stunden später Maßnahmen fordert, die den Regelungen darin widersprechen. Da sind Ärger und Verwirrungen bei den Betroffenen vor Ort und den Schulen vorprogrammiert.“Das Sozialministerium teilte dagegen mit, man gehe „von konstruktiven Gesprächen“beider Ministerien aus.
Kneipen und Restaurants sind geschlossen, aber der Glühweinverkauf geht weiter. Wie gefährlich ist das?
Zwar werden die Getränke an der frischen Luft genossen, was die Ansteckungsgefahr klein hält. Aber wenn sich – wie geschehen – 100 oder 200 Menschen um einen Stand drängen, können die nötigen Abstände nicht mehr eingehalten werden, um Infektionen zu vermeiden.
Was sagt der Einzelhandel in Baden-Württemberg zu den CoronaBeschränkungen, die nun noch mal verschärft werden könnten?
Nach Angaben des Handelsverbands Baden-Württemberg (HBW) drohen sehr viele Insolvenzen oder stille Betriebsschließungen. „Monate mit einem Minusumsatz von zehn Prozent und viel mehr überstehen die Geschäfte nicht“, teilte eine Sprecherin des HBW mit. Die Reserven seien längst aufgebraucht. Dies treffe vor allem den Textilhandel, der sehr investitionsintensiv sei und keine drei umsatzschwachen Quartale in Folge überstehen könne. „Daher werden, wenn wir keine schnellen, finanzielle Hilfen bekommen, bald im Handel und in den Innenstädten die Lichter ausgehen“, so die HBW-Sprecherin. Wenig zuversichtlich blickt der Verband auch auf das Vorweihnachtsgeschäft. Die Kundenstimmung habe sich noch mehr eingetrübt, zudem könnten keine langen Verkaufsnächte angeboten werden. Im Textilhandel steckten selbst bislang kerngesunde Geschäfte mittlerweile in Existenznöten.
Wenn Länder jetzt eigene Wege gehen, heißt das, dass der MiniLockdown gescheitert ist?
Ziel des Mini-Lockdowns war es, die Zahl der durch Corona-Patienten belegten Intensivbetten möglichst gering zu halten. Dies ist in einigen Landkreisen gelungen, in vielen aber auch nicht. In Berlin und Hessen sind von allen Bundesländern die wenigsten Intensivbetten frei, wohingegen es in Schleswig-Holstein noch vergleichsweise viele freie Betten gibt. Besonders bedrohlich ist die Situation in einigen Kreisen in Sachsen und Bayern. Im Erzgebirgskreis sind von 77 Intensivbetten nur noch drei frei. Im bayerischen Freising sind alle 14 Betten belegt, ebenso in Landshut.