Haribo macht nicht alle froh
Der Enkel des Gründers baut den Süßwarenhersteller grundlegend um und schließt ausgerechnet im 100. Jahr des Bestehens das einzige Werk des Unternehmens in Ostdeutschland
- Eine Mischung aus Traurigkeit und Wut ist es, die die Mitarbeiter des sächsischen Haribo-Werks in Wilkau-Haßlau bei Zwickau derzeit umtreibt. „Habribo machte mich mal froh, das ist leider nicht mehr so“, steht auf kleinen Grabsteinen geschrieben, die Mitarbeiter vor das dortige Werk gelegt haben. Der Hersteller der berühmten Gummibären hat ausgerechnet im Jahr seines 100-jährigen Firmenbestehens angekündigt, seinen einzigen Standort in Ostdeutschland nach 30 Jahren zu schließen. Für die rund 150 Mitarbeiter kam die Nachricht Anfang November überraschend.
„Was dies mit einem Familienunternehmen zu tun hat, das in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiert, weiß ich nicht. Zu der Familie Haribo gehören offenbar nur die Firmeneigner und Manager. Das ist Kapitalismus pur“, kritisiert Thomas Lißner von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
Aus Sicht von Haribo allerdings ist die Entscheidung wohl nur konsequent: Mit Hans Guido Riegel als geschäftsführendem Gesellschafter ändert das Unternehmen immer mehr seine Ausrichtung, will sich modernisieren und bricht mit Traditionen.
Im „Handelsblatt“äußerte sich der sonst eher verschwiegene Hans Guido Riegel: Die Entscheidung das Werk bei Zwickau zu schließen sei dem Unternehmen alles andere als leicht gefallen. Aber: „Zur unternehmerischen Verantwortung gehört es, auch unpopuläre Entscheidungen zu fällen, wenn es notwendig ist.“
Das Werk in Wilkau-Haßlau „erfüllt nicht mehr die Anforderungen an eine wirtschaftliche und effiziente Produktionsstruktur“, ergänzte ein Sprecher im Gespräch mit der
„Schwäbischen Zeitung“. „Es wären unverhältnismäßig hohe Investitionen nötig, um die Produktionsabläufe in Wilkau-Haßlau konsequent auf die Anforderungen unserer Wachstumsstrategie auszurichten.“Und auch als sich zuletzt sogar Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) einschaltete und die Geschäftsführung aufforderte, die Schließung zu überdenken, blieb Haribo bei seiner Entscheidung.
Dass die Marke Haribo – die nach eigenen Angaben des Unternehmens, in Deutschland einen Bekanntheitsgrad von 99 Prozent hat – im Jahr des 100. Geburtstags negative Schlagzeilen macht, ist sicher nicht im Sinne der Geschäftsführung. Und doch zeigt das Vorgehen wie konsequent der Konzern seine Transformation vorantreibt.
Gegründet wurde das Unternehmen Haribo 1920 von dem gelernten Bonbonkocher Hans Riegel in einem Bonner Hinterhof. Das spiegelt sich bis heute im Firmennamen: Er steht für HAns RIegel BOnn. Das Unternehmen wuchs schnell. Schon 1922 tauchten die ersten Fruchtgummibärchen im Angebot auf. 1925 begann Riegel auch mit der Herstellung von
Lakritzprodukten. Mitte der 1930erJahre Jahre prägte Riegel dann den berühmten Werbespruch: „Haribo macht Kinder froh“, der wohl die meisten Deutschen unmittelbar die Fortführung „und Erwachsene ebenso“singen lässt.
Ein Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Tod des Gründers Hans Riegel übernahmen dessen gleichnamiger Sohn Hans Riegel Junior und sein Bruder Paul 1946 das auf 30 Mitarbeiter geschrumpfte Unternehmen. Vier Jahre später beschäftigte Haribo bereits 1000 Menschen.
Heute arbeiten weltweit 7000 Mitarbeiter für das Familienunternehmen. Haribo hat Produktionsstätten in zehn Ländern und exportiert seine Süßwaren in mittlerweile mehr als 100 Länder. Den Jahresumsatz des Konzerns beziffern Branchenkenner laut „Handelsblatt“auf etwa drei Milliarden Euro.
Allein in Deutschland sind etwa 300 Produkte im Angebot, weltweit sogar rund 1000. Es gehöre zum Erfolgsgeheimnis, die eigenen Produkte geschmacklich auf die landestypischen Vorlieben abzustimmen, erklärt Haribo die Vielfalt.
Nach 67 Jahren an der Spitze und als ältester diensthabender Geschäftsführer Deutschlands starb 2013 auch der zweite Hans Riegel im Alter von 90 Jahren. Das von ihm großgemachte und maßgeblich geprägte Familienunternehmen wird seitdem in dritter Generation von Gründerenkel Hans-Guido Riegel geführt – und verändert.
So zog Haribo mit seinem Firmensitz 2018 von Bonn in die rheinlandpfälzische Gemeinde Grafschaft um – inklusive neuem Werk und Zentrallager. Wechsel gab es in Geschäftsführung und Produktstrategie.
Auch trennten sich Haribo und Werbepartner Thomas Gottschalk voneinander. Der Entertainer hatte zuvor 24 Jahre lang ununterbrochen für den Konzern geworben. Anschließend äußerte er sich immer wieder kritisch über das Unternehmen.
Auch zuletzt als es um die Werkschließung in WilkauHaßlau ging: „Wenn man sich auf die Fahne geschrieben hat: ,Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso‘ muss man das auch als Arbeitgeber ernst nehmen“, sagte Gottschalk dem „Kölner Express“.
Die Transformation des Unternehmens ist also immer auch ein Weg gegen Widerstand. Auf der anderen Seite muss sich das Unternehmen ausprobieren. Die zeitweise Fokussierung auf zuckerreduzierte Fruchtgummis und eine Softwareumstellung gingen dabei nach hinten los. Sie führten zu Lieferausfällen und drückten den Umsatz.
Außerdem führten harte Preisverhandlungen mit dem Einzelhandel in diesem Jahr zum Haribo-Boykott in einzelnen Supermärkten: Lidl warf die Goldbären im Sommer aus dem Sortiment, auch aus EdekaMärkten
verschwanden Haribo-Produkte zwischenzeitlich. Doch scheint dieser Streit mittlerweile beigelegt. „Bei Edeka füllen sich die Regale wieder“, hieß es zuletzt bei dem Traditionsunternehmen.
Und dann ist da ja noch die Corona-Krise. Die ging auch an dem Süßwarenhersteller nicht spurlos vorbei. Zwar verzeichnete das Unternehmen nach eigenen Angaben im Lebensmittelhandel im ersten Halbjahr Umsatzzuwächse. Doch brachen gleichzeitig in anderen Verkaufskanälen – etwa an Flughäfen und Bahnhöfen – die Umsätze ein. Außerdem mache sich im derzeitigen Teil-Shutdown bemerkbar, dass die Verbraucher viel seltener einkaufen gingen als früher – und dann oft Großeinkäufe tätigten, sagt ein Haribo-Sprecher. „Oft fehlt die Muße, was für ein Impulsprodukt wie unseres nicht vorteilhaft ist.“
Trotzdem blickt Haribo aber optimistisch in die Zukunft. „Der US-amerikanische Markt ist für uns sehr wichtig. Hier sehen wir auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten einen großen Markt und weitere Wachstumschancen für Haribo“, sagte der Sprecher. Derzeit entsteht im Bundesstaat Wisconsin das erste Haribo-Werk in Nordamerika.
Zugleich stärkt der Süßwarenhersteller weltweit seine Präsenz im ECommerce. Weiße Flecken sieht das Familienunternehmen auch noch in Asien. In Deutschland kann davon keine Rede sein: Der Marktanteil von Haribo im Geschäft mit Fruchtgummi und Lakritz schwankt hier zwischen 56 und 60 Prozent.
Denn eins gilt für das 100 Jahre alte Unternehmen seit eh und je: Die Liebe der deutschen Kunden für Goldbären und Co. ist ungebrochen – Transformation hin oder her.