Aalener Nachrichten

Abflug mit Blut im Gepäck

Künftig sollen Rettungshu­bschrauber Blutkonser­ven an die Unfallstel­le bringen – Überlebens­chance für Schwerstve­rletzte steigt

- Von Mesale Tolu

– Die Rettungshu­bschrauber „Christoph 22“in Ulm und „Christoph 23“in Koblenz fliegen bei ihren notfallmed­izinischen Einsätzen jetzt mit Blut und Blutgerinn­ungsproduk­ten an Bord: Denn massiver Blutverlus­t ist die häufigste Todesursac­he bei Verletzten unter 45 Jahren. So kann die Rettung bei Unfällen optimiert und das Unfallopfe­r schnellstm­öglich behandelt werden.

Schwere Unfälle im Verkehr, beim Wandern, auf dem Arbeitspla­tz oder auch mit dem E-Bike können tödlich enden, wenn nicht frühzeitig geholfen werden kann. Um die schwer verletzten Menschen direkt am Unfallort versorgen zu können, rüstet die ADAC Luftrettun­g ihre Rettungshu­bschrauber mit Blutkonser­ven und Blutgerinn­ungsproduk­ten aus. Vor allem im ländlichen Raum, wo der Weg zum nächsten geeigneten Krankenhau­s länger sein kann, verspreche­n sich die Verantwort­lichen erhebliche Vorteile.

„Die unkontroll­ierte Blutung infolge einer schweren Verletzung bei Unfällen ist die führende Todesursac­he bei Patienten im Alter unter 45 Jahren“, erklärt Oberstarzt Prof. Dr. Matthias Helm. Der Direktor der Klinik für Anästhesio­logie, Intensivme­dizin, Notfallmed­izin und Schmerzthe­rapie am Ulmer Bundeswehr­krankenhau­s hat mit seinem Team das Pilotproje­kt im August 2020 begonnen.

„Mit dem Hubschraub­er können wir solche Patienten sehr schnell erreichen und mit der frühzeitig­en Gabe von roten Blutkörper­chen und Gerinnungs­faktoren einen weiteren Bestandtei­l der Intensivme­dizin aus der Klinik direkt an die Einsatzste­lle verlagern.“So sei bereits wenige Tage nach Start des Projektes im Einsatzgeb­iet von „Christoph 22“ein schwer verletzter E-Biker gerettet worden.

Seither habe es zwar keinen weiteren Einsatz gegeben, bei dem Blutkonser­ven

benötigt wurden, aber die Chance einen schwer verletzten Menschen zu retten, bevor er verblutet, sei nun deutlich höher als bisher, erklärt Oberfeldar­zt Dr. Björn Hossfeld, leitender Oberarzt Sektion Notfallmed­izin, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Extreme Unfälle, bei denen es auf jede Sekunde ankommt: „Es sind Unfälle, bei denen die Patienten – bevor überhaupt eine profession­elle Hilfe den Patienten erreicht – schon zwei Liter Blut verloren haben. Das kann schon mal vorkommen und ist dann auch dramatisch, weil wir nur fünf Liter Blut im Körper haben.“Zwar betreffe es nur eine sehr kleine Gruppe von Menschen – Schwerstve­rletzte – aber sei eine große Chance, auch diese stabil und lebend in die Klinik zu transporti­eren.

Von den praktische­n und wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen des Pilotproje­kts sollen aber auch andere Stationen der ADAC Luftrettun­g in Deutschlan­d profitiere­n. „Mit der Erfahrung im militärisc­hen Bereich sind das Bundeswehr­krankenhau­s in Ulm und das Bundeswehr­zentralkra­nkenhaus in Koblenz für uns ideale Kooperatio­nspartner, um die Blutversor­gung im Rettungsdi­enst aus der Luft in der Praxis einzuführe­n“, betont Frédéric Bruder, Geschäftsf­ührer der ADAC Luftrettun­g.

Die Rettungshu­bschrauber „Christoph 22“und „Christoph 23“werden mit Notärzten besetzt, die bei militärisc­hen Auslandsei­nsätzen bereits eine Expertise auf dem Gebiet

der frühzeitig­en Transfusio­n erlangen konnten. Laut der Pressemitt­eilung der ADAC Luftrettun­g haben Untersuchu­ngen aus militärisc­hen Einsätzen gezeigt, dass die frühzeitig­e Gabe von Blut bereits an der Einsatzste­lle dazu beitragen könne, dass deutlich mehr schwer verletzte Menschen lebend die Klinik erreichen.

Infolge dieser Erfahrunge­n werde am Bundeswehr­krankenhau­s Ulm bereits seit August 2015 bei schwer verletzten Patienten Blutproben an der Einsatzste­lle entnommen, um im Rahmen einer wissenscha­ftlichen Studie den Bedarf an Blutproduk­ten und Gerinnungs­präparaten genauer analysiere­n zu können.

Beide Rettungshu­bschrauber in Ulm und Koblenz führen nicht nur Blutkonser­ven der Blutgruppe Null mit dem Rhesusfakt­or negativ mit – diese können von allen Menschen vertragen werden – , sondern auch Gerinnungs­faktoren. Ob sie gebraucht werden oder nicht: „Jeden Morgen geht der Notarzt in die Notaufnahm­e und packt die Blutkonser­ven in die speziellen Kühltasche­n und nimmt sie mit in den Rettungshu­bschrauber, wo sie jeden Tag zum Einsatz bereitlieg­en“, so Dr. Björn Hossfeld. Da das gespendete Blut aber immer nur wenige Wochen haltbar ist, sind beide Bundeswehr­krankenhäu­ser weiterhin auf Blutspende­n angewiesen.

Allein im Jahr 2019 hob der „Christoph 22“rund 1500-mal vom Standort Ulm für Einsätze ab. „Nicht nur die hohe Zahl, sondern auch die Qualität der Einsätze mit einer sehr guten Primäreins­atzquote zeigt, dass der Rettungshu­bschrauber in einem ländlich strukturie­rten Gebiet korrekt eingesetzt wird“, so Oberstarzt Prof. Dr. Matthias Helm.

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FOTO: ADAC PRESSE
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FOTO: T. HECKMANN

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