Aalener Nachrichten

Ein Licht trotzt dunklen Zeiten

Wie Pfadfinder­innen und Pfadfinder das „Friedensli­cht aus Bethlehem“in Corona-Zeiten um die Welt reisen lassen – Auch in der Biberacher Josefskirc­he wird die Flamme brennen

- Von Patrik Stäbler friedensli­cht.de

An diesem●Sonntag um 17 Uhr wird die Kirche St. Josef in Biberach für zwei Stunden ihre Türen öffnen, so wie jedes Jahr am Dritten Advent. Am Eingang müssen sich die Besucher – das ist heuer wegen der Corona-Pandemie neu – in Listen eintragen; Mundschutz und Abstandsge­bot sind selbstvers­tändlich ebenso Pflicht. Auf einem festgelegt­en Rundgang geht es dann durch die Kirche und zu jener Kerze vor dem Altar, deretwegen alle gekommen sind. Denn hier brennt nicht irgendein Licht – sondern das „Friedensli­cht aus Bethlehem“, entzündet in der Geburtsgro­tte Jesu, von wo aus es alljährlic­h zu Weihnachte­n seinen Weg in mehr als 20 Länder findet, um am Heiligen Abend zahllose Kirchen, Amtsstuben und Abermillio­nen Wohnzimmer zu erleuchten.

Wobei die meisten Menschen, die sich das Friedensli­cht am Sonntag in der Biberacher Josefskirc­he abholen, vermutlich nicht ahnen, was für ein immenser logistisch­er Aufwand hinter der unscheinba­ren Kerzenflam­me steckt – nachgerade in diesen Corona-Zeiten. „Eins ist klar: Wir wollen uns an alle Abstandsun­d Hygienereg­eln halten“, betont Andrea Söhnholz von der AG Friedensli­cht der deutschen Pfadfinder­verbände.

Was wiederum bedeutet: Die Pfadfinder­innen und Pfadfinder müssen diesmal neue Wege beschreite­n, Risikogebi­ete überwinden und sich mit Quarantäne­bestimmung­en und Abstandsre­geln arrangiere­n, damit sie die Flamme aus Bethlehem bis in die hintersten Winkel des Landes bringen können.

Das fängt ja schon mit dem Start an. Normalerwe­ise wird die Kerze in der Geburtsgro­tte Jesu von einem Kind aus Österreich entzündet – schließlic­h hat der dortige Rundfunk ORF diesen Weihnachts­brauch 1986 im Rahmen der Hilfsaktio­n „Licht ins Dunkel“ins Leben gerufen. In diesem Jahr jedoch hat ein Mädchen aus Jerusalem das Friedensli­cht entflammt, ehe es per Flugzeug und in einem explosions­sicheren Gefäß in die Alpenrepub­lik gebracht wurde.

Dort findet an diesem Samstag in Salzburg der große Aussendego­ttesdienst statt. Er ist heuer zwar erstmals per Livestream im Internet zu sehen, vor Ort jedoch wird wegen der aktuellen Corona-Lage bloß im kleinen Kreis gefeiert – anders als in den Vorjahren. Da reisten hunderte Pfadfinder­innen und Pfadfinder aus halb Europa an, nahmen das Friedensli­cht in Empfang und brachten es danach in ihre Heimatländ­er, um es dort zu verteilen.

Auch aus Deutschlan­d nahm stets eine 150-köpfige Delegation an dem Aussendego­ttesdienst teil. Für sie ging’s danach im Nachtzug nach München, wo das Friedensli­cht am Hauptbahnh­of feierlich empfangen und anschließe­nd von den Stämmen der verschiede­nen Pfadfinder­verbände quer durch die Republik gebracht wurde. Diesmal jedoch laufe alles etwas anders ab, sagt Söhnholz von der AG Friedensli­cht. So werden österreich­ische Pfadfinder das Licht an die Grenze bringen – wohin und wann genau möchte sie nicht verraten. „Wir wollen ja wegen Corona bewusst keine Öffentlich­keit“, sagt Söhnholz. Am Übergabeor­t werde das Friedensli­cht dann unter den Augen des Bundesgren­zschutzes übergeben. „Beide Seiten werden sich erst mal freundlich zuwinken“, sagt Söhnholz.

„Dann kommt ein Österreich­er nach vorne, stellt die brennende Laterne ab und geht wieder drei Schritte zurück. Danach geht einer von uns nach vorne und nimmt die Laterne.“

Was anschließe­nd folgt, ist eine Verteilakt­ion, die einer logistisch­en Meisterlei­stung gleichkomm­t: Von der Grenze geht es zunächst über Rosenheim nach München, von wo aus sich mehrere Mini-Teams aus zumeist zwei Pfadfinder­n in verschiede­ne Himmelsric­htungen aufmachen – in Richtung Stuttgart, Leipzig, Hannover und Kiel.

Entlang dieser vier Hauptroute­n wird das Friedensli­cht an Autobahnra­ststätten, Parkplätze­n und anderen Treffpunkt­en übergeben, sodass sich das Netz immer feiner verästelt, bis die jeweiligen Pfadfinder­stämme mit ihren Laternen auch in Flensburg, in Zittau im äußersten Osten und in Goch an der niederländ­ischen Grenze angelangt sind.

Und natürlich im Südwesten, durch den eine der Hauptroute­n von München nach Stuttgart führt, sagt Rainer Boßhard von der Friedensli­cht AG Württember­g. Auf dem Weg in die Landeshaup­tstadt gebe es einen Stopp am Ulmer Hauptbahnh­of, wo das Friedensli­cht an ein Pfadfinder­team übergeben werde, das anschließe­nd nach Oberschwab­en fahre – zu mehreren Übergabeor­ten, etwa am Sigmaringe­r Freibad und an der Oberschwab­enhalle in Ravensburg.

Und am Parkplatz des Jordanbads in Biberach, wo der dortige Stamm der Deutschen Pfadfinder­schaft St. Georg bereitsteh­en wird, um seine Laterne am Friedensli­cht zu entzünden, sagt der Vorsitzend­e Tobias Nunnenmach­er. „Natürlich mit Abstand und kontaktlos.“Zu diesem Zeitpunkt hat die Flamme bereits mehr als 3000 Kilometer zurückgele­gt, ehe die Biberacher Pfadfinder sie in die Josefskirc­he bringen und dort jene Kerze entzünden, an der sich am Sonntagabe­nd jeder das Friedensli­cht abholen kann – umrahmt von einem Programm aus Texten und Musik, das alle 20 Minuten wiederholt wird, so Nunnenmach­er.

In den Vor-Corona-Jahren habe es in Stuttgart stets eine zentrale Aussendefe­ier in der Stadtkirch­e Bad Cannstatt gegeben, bei der Hunderte Pfadfinder­innen und Pfadfinder das Friedensli­cht in Empfang nahmen, sagt Boßhard. Danach sei es in Zügen in die jeweiligen Heimatorte zurückgega­ngen. Diesmal jedoch muss die Aussendefe­ier wegen der Corona-Auflagen entfallen; und statt der Bahn nehmen die Pfadfinder­innen und Pfadfinder das Auto. Denn, so Boßhard: „Weil in den Zügen zurzeit sehr viel Desinfekti­onsmittel genutzt wird, hat die Bahn gesagt, dass die Brandgefah­r zu groß ist.“

Ob es angesichts all dieser Widrigkeit­en und Herausford­erungen nicht sinnvoller gewesen wäre, dieses Jahr auf das Friedensli­cht zu verzichten? Diese Frage verneint Söhnholz nachdrückl­ich. „Wir haben nie daran gedacht, das ganze abzusagen“, sagt sie. „Denn wir waren immer überzeugt, dass wir das hinkriegen – auch ohne Kontakte. Wir werden nur das Licht und nicht Corona verbreiten.“Zudem sei die Aktion in diesen Zeiten wichtiger denn je, findet Söhnholz – „als lebendiges Symbol für Gemeinscha­ft, für das, was man zusammen bewirken kann“. Ganz ähnlich sieht das Nunnenmach­er. „Es ist ein wichtiges Symbol für viele Menschen“, sagt der Vorsitzend­e der Biberacher Pfadfinder. „Und ich persönlich glaube, dass das Friedensli­cht in diesen CoronaZeit­en ein Stück weit Hoffnung geben kann.“

’’ Weil in den Zügen zurzeit sehr viel Desinfekti­onsmittel genutzt wird, hat die Bahn gesagt, dass die Brandgefah­r zu groß ist.

Mit der Bahn darf das Friedensli­cht dieses Jahr nicht reisen, wie Rainer Boßhard von der Friedensli­cht AG Württember­g erklärt

Auf finden sich weitere Informatio­nen zu der Aktion sowie eine Karte mit den Übergabeor­ten. Auf der Webseite wird am heutigen Samstag auch ein Link zum Livestream des Aussendego­ttesdienst­es in Salzburg veröffentl­icht.

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FOTO: HORST RUDEL/IMAGO IMAGES Vergangene­s Jahr gab es – wie vor Corona üblich – eine zentrale Aussendefe­ier in der Stadtkirch­e Bad Cannstatt, bei der Hunderte Pfadfinder­innen und Pfadfinder das Friedensli­cht in Empfang nahmen.
 ?? FOTO: CHRISTIAN DITSCH/IMAGO IMAGES ?? Im Jahr 2017 kam das Friedensli­cht zwei Tage vor dem Jahrestag des islamistis­chen Anschlags am Breitschei­dplatz in Berlin an. Dort wurde es als Zeichen gegen Terror und Gewalt weitergege­ben.
FOTO: CHRISTIAN DITSCH/IMAGO IMAGES Im Jahr 2017 kam das Friedensli­cht zwei Tage vor dem Jahrestag des islamistis­chen Anschlags am Breitschei­dplatz in Berlin an. Dort wurde es als Zeichen gegen Terror und Gewalt weitergege­ben.
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FOTO: CHRISTIAN SPICKER/IMAGO IMAGES Pfadfinder­innen und Pfadfinder bringen die Flamme in alle erdenklich­en Winkel des Landes – dieses Jahr anders als bisher.

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