Ein Licht trotzt dunklen Zeiten
Wie Pfadfinderinnen und Pfadfinder das „Friedenslicht aus Bethlehem“in Corona-Zeiten um die Welt reisen lassen – Auch in der Biberacher Josefskirche wird die Flamme brennen
An diesem●Sonntag um 17 Uhr wird die Kirche St. Josef in Biberach für zwei Stunden ihre Türen öffnen, so wie jedes Jahr am Dritten Advent. Am Eingang müssen sich die Besucher – das ist heuer wegen der Corona-Pandemie neu – in Listen eintragen; Mundschutz und Abstandsgebot sind selbstverständlich ebenso Pflicht. Auf einem festgelegten Rundgang geht es dann durch die Kirche und zu jener Kerze vor dem Altar, deretwegen alle gekommen sind. Denn hier brennt nicht irgendein Licht – sondern das „Friedenslicht aus Bethlehem“, entzündet in der Geburtsgrotte Jesu, von wo aus es alljährlich zu Weihnachten seinen Weg in mehr als 20 Länder findet, um am Heiligen Abend zahllose Kirchen, Amtsstuben und Abermillionen Wohnzimmer zu erleuchten.
Wobei die meisten Menschen, die sich das Friedenslicht am Sonntag in der Biberacher Josefskirche abholen, vermutlich nicht ahnen, was für ein immenser logistischer Aufwand hinter der unscheinbaren Kerzenflamme steckt – nachgerade in diesen Corona-Zeiten. „Eins ist klar: Wir wollen uns an alle Abstandsund Hygieneregeln halten“, betont Andrea Söhnholz von der AG Friedenslicht der deutschen Pfadfinderverbände.
Was wiederum bedeutet: Die Pfadfinderinnen und Pfadfinder müssen diesmal neue Wege beschreiten, Risikogebiete überwinden und sich mit Quarantänebestimmungen und Abstandsregeln arrangieren, damit sie die Flamme aus Bethlehem bis in die hintersten Winkel des Landes bringen können.
Das fängt ja schon mit dem Start an. Normalerweise wird die Kerze in der Geburtsgrotte Jesu von einem Kind aus Österreich entzündet – schließlich hat der dortige Rundfunk ORF diesen Weihnachtsbrauch 1986 im Rahmen der Hilfsaktion „Licht ins Dunkel“ins Leben gerufen. In diesem Jahr jedoch hat ein Mädchen aus Jerusalem das Friedenslicht entflammt, ehe es per Flugzeug und in einem explosionssicheren Gefäß in die Alpenrepublik gebracht wurde.
Dort findet an diesem Samstag in Salzburg der große Aussendegottesdienst statt. Er ist heuer zwar erstmals per Livestream im Internet zu sehen, vor Ort jedoch wird wegen der aktuellen Corona-Lage bloß im kleinen Kreis gefeiert – anders als in den Vorjahren. Da reisten hunderte Pfadfinderinnen und Pfadfinder aus halb Europa an, nahmen das Friedenslicht in Empfang und brachten es danach in ihre Heimatländer, um es dort zu verteilen.
Auch aus Deutschland nahm stets eine 150-köpfige Delegation an dem Aussendegottesdienst teil. Für sie ging’s danach im Nachtzug nach München, wo das Friedenslicht am Hauptbahnhof feierlich empfangen und anschließend von den Stämmen der verschiedenen Pfadfinderverbände quer durch die Republik gebracht wurde. Diesmal jedoch laufe alles etwas anders ab, sagt Söhnholz von der AG Friedenslicht. So werden österreichische Pfadfinder das Licht an die Grenze bringen – wohin und wann genau möchte sie nicht verraten. „Wir wollen ja wegen Corona bewusst keine Öffentlichkeit“, sagt Söhnholz. Am Übergabeort werde das Friedenslicht dann unter den Augen des Bundesgrenzschutzes übergeben. „Beide Seiten werden sich erst mal freundlich zuwinken“, sagt Söhnholz.
„Dann kommt ein Österreicher nach vorne, stellt die brennende Laterne ab und geht wieder drei Schritte zurück. Danach geht einer von uns nach vorne und nimmt die Laterne.“
Was anschließend folgt, ist eine Verteilaktion, die einer logistischen Meisterleistung gleichkommt: Von der Grenze geht es zunächst über Rosenheim nach München, von wo aus sich mehrere Mini-Teams aus zumeist zwei Pfadfindern in verschiedene Himmelsrichtungen aufmachen – in Richtung Stuttgart, Leipzig, Hannover und Kiel.
Entlang dieser vier Hauptrouten wird das Friedenslicht an Autobahnraststätten, Parkplätzen und anderen Treffpunkten übergeben, sodass sich das Netz immer feiner verästelt, bis die jeweiligen Pfadfinderstämme mit ihren Laternen auch in Flensburg, in Zittau im äußersten Osten und in Goch an der niederländischen Grenze angelangt sind.
Und natürlich im Südwesten, durch den eine der Hauptrouten von München nach Stuttgart führt, sagt Rainer Boßhard von der Friedenslicht AG Württemberg. Auf dem Weg in die Landeshauptstadt gebe es einen Stopp am Ulmer Hauptbahnhof, wo das Friedenslicht an ein Pfadfinderteam übergeben werde, das anschließend nach Oberschwaben fahre – zu mehreren Übergabeorten, etwa am Sigmaringer Freibad und an der Oberschwabenhalle in Ravensburg.
Und am Parkplatz des Jordanbads in Biberach, wo der dortige Stamm der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg bereitstehen wird, um seine Laterne am Friedenslicht zu entzünden, sagt der Vorsitzende Tobias Nunnenmacher. „Natürlich mit Abstand und kontaktlos.“Zu diesem Zeitpunkt hat die Flamme bereits mehr als 3000 Kilometer zurückgelegt, ehe die Biberacher Pfadfinder sie in die Josefskirche bringen und dort jene Kerze entzünden, an der sich am Sonntagabend jeder das Friedenslicht abholen kann – umrahmt von einem Programm aus Texten und Musik, das alle 20 Minuten wiederholt wird, so Nunnenmacher.
In den Vor-Corona-Jahren habe es in Stuttgart stets eine zentrale Aussendefeier in der Stadtkirche Bad Cannstatt gegeben, bei der Hunderte Pfadfinderinnen und Pfadfinder das Friedenslicht in Empfang nahmen, sagt Boßhard. Danach sei es in Zügen in die jeweiligen Heimatorte zurückgegangen. Diesmal jedoch muss die Aussendefeier wegen der Corona-Auflagen entfallen; und statt der Bahn nehmen die Pfadfinderinnen und Pfadfinder das Auto. Denn, so Boßhard: „Weil in den Zügen zurzeit sehr viel Desinfektionsmittel genutzt wird, hat die Bahn gesagt, dass die Brandgefahr zu groß ist.“
Ob es angesichts all dieser Widrigkeiten und Herausforderungen nicht sinnvoller gewesen wäre, dieses Jahr auf das Friedenslicht zu verzichten? Diese Frage verneint Söhnholz nachdrücklich. „Wir haben nie daran gedacht, das ganze abzusagen“, sagt sie. „Denn wir waren immer überzeugt, dass wir das hinkriegen – auch ohne Kontakte. Wir werden nur das Licht und nicht Corona verbreiten.“Zudem sei die Aktion in diesen Zeiten wichtiger denn je, findet Söhnholz – „als lebendiges Symbol für Gemeinschaft, für das, was man zusammen bewirken kann“. Ganz ähnlich sieht das Nunnenmacher. „Es ist ein wichtiges Symbol für viele Menschen“, sagt der Vorsitzende der Biberacher Pfadfinder. „Und ich persönlich glaube, dass das Friedenslicht in diesen CoronaZeiten ein Stück weit Hoffnung geben kann.“
’’ Weil in den Zügen zurzeit sehr viel Desinfektionsmittel genutzt wird, hat die Bahn gesagt, dass die Brandgefahr zu groß ist.
Mit der Bahn darf das Friedenslicht dieses Jahr nicht reisen, wie Rainer Boßhard von der Friedenslicht AG Württemberg erklärt
Auf finden sich weitere Informationen zu der Aktion sowie eine Karte mit den Übergabeorten. Auf der Webseite wird am heutigen Samstag auch ein Link zum Livestream des Aussendegottesdienstes in Salzburg veröffentlicht.