Abschied von der bunten Pillenbox
Schutz vor Herzinfarkt: Aktuelle Studie belegt Nutzen der Poly-Pill
Drei rote, zwei gelbe und dann noch drei von den weißen – Patienten mit erhöhtem Schlaganfall- und Infarktrisiko müssen oft viele Medikamente einnehmen. Was unübersichtlich, nervtötend und angsteinflößend sein kann, und so manchem Patienten die disziplinierte Einnahme seiner Präparate verleidet. Doch so genannte Poly-Pillen, in denen mehrere Wirkstoffe kombiniert werden, bieten einen Ausweg aus diesem Dilemma.
Schon seit knapp 20 Jahren läuft die Forschung zu den Kombi-Präparaten, die sich dabei auch schon mehrfach als Blutdruck- und Cholesterinsenker bewährt haben. Doch ob sie am Ende auch wirklich vor Herzinfarkten oder anderen kardiovaskulären Ereignissen schützen, ist bislang offen. Ein Forscherteam um Salim Yusuf von der McMaster University im kanadischen Hamilton ist nun dieser Frage nachgegangen: in einer fast fünf Jahre dauernden Studie an über 5700 älteren Männern und Frauen, die zwar als noch gesund, aber aufgrund von Übergewicht, Zigarettenkonsum, Diabetes oder anderen Risikofaktoren als Kandidaten für kardiovaskuläre Ereignisse eingestuft wurden.
Ausgetestet wurde ein Präparat namens Polycap, das aus drei Blutdrucksenkern und einem cholesterinsenkenden Statin besteht. In der Studie senkte es die Quote der kardiovaskulären Vorfälle um 15 Prozent; und sogar um mehr als 30 Prozent, wenn es mit dem Blutfluss fördernden Aspirin kombiniert wurde. Nebenwirkungen wie etwa Benommenheit oder Blutdruckabfälle waren ausgesprochen selten. „Und die bekamen wir meistens durch eine Reduzierung der Dosis in den Griff“, betont Yusuf.
Der aus Indien stammende Mediziner hat bei den Poly-Pillen vor allem jene Länder im Blick, in denen die flächendeckende Medizinversorgung schwächer entwickelt ist als etwa in Europa. „Hier braucht man Medikamente, die unkompliziert und preisgünstig eine effektive Prävention gegen HerzKreislauf-Erkrankungen leisten“, so Yusuf. Und da seien Präparate wie Polycap, das in Indien gerade mal 33 Cent pro Pille kostet, eine echte Perspektive. Ganz zu schweigen davon, dass die Auslieferung von einem statt vier Präparaten logistisch leichter zu bewältigen ist.
Thomas Eschenhagen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hält die Poly-Pille aber auch in Deutschland für sinnvoll. „Denn wenn man hierzulande die bunt und prall gefüllten Pillenboxen vieler älterer Leute sieht, fragt man sich doch sofort: Wie behält man da den Überblick?“Da wäre es doch einfacher, so der Pharmakologe, wenn man wenigstens zur Senkung der Blutdruckund Cholesterinwerte nur eines statt der vier Präparate einnehmen müsste. Studien zeigten deutlich, dass die Patienten umso weniger Compliance entwickeln, sich also umso weniger an die Einnahmeregeln für ihre Medikamente halten, je mehr Arzneimittel sie einnehmen müssten.
Auch die Nebenwirkungen der Kombis sind nicht größer als die der Einzelpräparate. Vier Wirkstoffe auf einen Schlag mögen zwar furchteinflößend klingen, doch sie werden ja von den Patienten ohnehin eingenommen. „In Deutschland nehmen mindestens 27 Millionen Menschen täglich einen ACE-Hemmer oder den Angiotensin-Rezeptor-Blocker Sartan, und viele von ihnen bekommen noch weitere Blutdrucksenker sowie Statine und Blutgeringegen nungshemmer“, erläutert Eschenhagen, der auch Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung ist. „All diese Mittel besitzen natürlich Nebenwirkungen, aber die werden ja nicht größer, wenn man sie in einem Präparat zusammenfasst.“Bei einigen PolyPillen habe man sogar die Dosis einiger Blutdrucksenker, relativ zu ihrer üblichen Einzeldosierung, heruntersetzen können, weil sie offenbar synergistisch Hand in Hand arbeiten. „Und wenn ich die Dosis reduzieren kann, bedeutet dies in der Regel auch weniger Nebenwirkungen“, so Eschenhagen.
Andererseits haben Einzelpräparate den Vorteil, dass man sie – sofern sich Nebenwirkungen zeigen – leicht
ein anderes Einzelpräparat austauschen kann. Bei den Kombis hingegen bedeutet der Wechsel auf ein anderes Produkt meistens auch, dass gleich mehrere Wirkstoffe ausgetauscht werden. „Das wird dann unübersichtlich, und es kann auch passieren, dass eine Nebenwirkung verschwindet, aber dafür eine andere kommt“, warnt Eschenhagen.
Womit ein weiteres Kernproblem der Poly-Pills angesprochen ist: ihre Zusammensetzung. Die Hersteller scheinen da ihre individuellen Vorlieben zu haben, und nicht immer sind sie nachvollziehbar. So enthält Polycap den Blutdrucksenker Atenolol, den Eschenhagen als „einen der schlechtesten Betablocker überhaupt“einschätzt. Zudem sind Betablocker
als Blutdruckmittel ohnehin nur noch bei einzelnen Patientengruppen die erste Wahl. Dies könnte auch erklären, warum Polycap allein in der Studie nur mäßig wirksam war und erst in Kombination mit Aspirin durchschlagende Erfolge zeigte.
Ein weiterer Bestandteil von Polycap, nämlich der entwässernde Blutdrucksenker Hydrochlorothiazid, ist problematisch, weil er das Risiko für weißen Hautkrebs erhöht. Auch da gebe es bessere Alternativen, so Eschenhagen. Die Bilanz des Pharmakologen zu den Poly-Pillen daher: „Die Idee dahinter ist sicherlich gut. Aber wie immer bei einer guten Idee kommt es eben auch darauf an, wie sie im Detail umgesetzt wird.“
’’ Und wenn ich die Dosis reduzieren kann, bedeutet dies in der Regel auch weniger Nebenwirkungen.
Thomas Eschenhagen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf