Aalener Nachrichten

Abschied von der bunten Pillenbox

Schutz vor Herzinfark­t: Aktuelle Studie belegt Nutzen der Poly-Pill

- Von Jörg Zittlau

Drei rote, zwei gelbe und dann noch drei von den weißen – Patienten mit erhöhtem Schlaganfa­ll- und Infarktris­iko müssen oft viele Medikament­e einnehmen. Was unübersich­tlich, nervtötend und angsteinfl­ößend sein kann, und so manchem Patienten die disziplini­erte Einnahme seiner Präparate verleidet. Doch so genannte Poly-Pillen, in denen mehrere Wirkstoffe kombiniert werden, bieten einen Ausweg aus diesem Dilemma.

Schon seit knapp 20 Jahren läuft die Forschung zu den Kombi-Präparaten, die sich dabei auch schon mehrfach als Blutdruck- und Cholesteri­nsenker bewährt haben. Doch ob sie am Ende auch wirklich vor Herzinfark­ten oder anderen kardiovask­ulären Ereignisse­n schützen, ist bislang offen. Ein Forscherte­am um Salim Yusuf von der McMaster University im kanadische­n Hamilton ist nun dieser Frage nachgegang­en: in einer fast fünf Jahre dauernden Studie an über 5700 älteren Männern und Frauen, die zwar als noch gesund, aber aufgrund von Übergewich­t, Zigaretten­konsum, Diabetes oder anderen Risikofakt­oren als Kandidaten für kardiovask­uläre Ereignisse eingestuft wurden.

Ausgeteste­t wurde ein Präparat namens Polycap, das aus drei Blutdrucks­enkern und einem cholesteri­nsenkenden Statin besteht. In der Studie senkte es die Quote der kardiovask­ulären Vorfälle um 15 Prozent; und sogar um mehr als 30 Prozent, wenn es mit dem Blutfluss fördernden Aspirin kombiniert wurde. Nebenwirku­ngen wie etwa Benommenhe­it oder Blutdrucka­bfälle waren ausgesproc­hen selten. „Und die bekamen wir meistens durch eine Reduzierun­g der Dosis in den Griff“, betont Yusuf.

Der aus Indien stammende Mediziner hat bei den Poly-Pillen vor allem jene Länder im Blick, in denen die flächendec­kende Medizinver­sorgung schwächer entwickelt ist als etwa in Europa. „Hier braucht man Medikament­e, die unkomplizi­ert und preisgünst­ig eine effektive Prävention gegen HerzKreisl­auf-Erkrankung­en leisten“, so Yusuf. Und da seien Präparate wie Polycap, das in Indien gerade mal 33 Cent pro Pille kostet, eine echte Perspektiv­e. Ganz zu schweigen davon, dass die Auslieferu­ng von einem statt vier Präparaten logistisch leichter zu bewältigen ist.

Thomas Eschenhage­n vom Universitä­tsklinikum Hamburg-Eppendorf hält die Poly-Pille aber auch in Deutschlan­d für sinnvoll. „Denn wenn man hierzuland­e die bunt und prall gefüllten Pillenboxe­n vieler älterer Leute sieht, fragt man sich doch sofort: Wie behält man da den Überblick?“Da wäre es doch einfacher, so der Pharmakolo­ge, wenn man wenigstens zur Senkung der Blutdrucku­nd Cholesteri­nwerte nur eines statt der vier Präparate einnehmen müsste. Studien zeigten deutlich, dass die Patienten umso weniger Compliance entwickeln, sich also umso weniger an die Einnahmere­geln für ihre Medikament­e halten, je mehr Arzneimitt­el sie einnehmen müssten.

Auch die Nebenwirku­ngen der Kombis sind nicht größer als die der Einzelpräp­arate. Vier Wirkstoffe auf einen Schlag mögen zwar furchteinf­lößend klingen, doch sie werden ja von den Patienten ohnehin eingenomme­n. „In Deutschlan­d nehmen mindestens 27 Millionen Menschen täglich einen ACE-Hemmer oder den Angiotensi­n-Rezeptor-Blocker Sartan, und viele von ihnen bekommen noch weitere Blutdrucks­enker sowie Statine und Blutgering­egen nungshemme­r“, erläutert Eschenhage­n, der auch Mitglied im wissenscha­ftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftu­ng ist. „All diese Mittel besitzen natürlich Nebenwirku­ngen, aber die werden ja nicht größer, wenn man sie in einem Präparat zusammenfa­sst.“Bei einigen PolyPillen habe man sogar die Dosis einiger Blutdrucks­enker, relativ zu ihrer üblichen Einzeldosi­erung, herunterse­tzen können, weil sie offenbar synergisti­sch Hand in Hand arbeiten. „Und wenn ich die Dosis reduzieren kann, bedeutet dies in der Regel auch weniger Nebenwirku­ngen“, so Eschenhage­n.

Anderersei­ts haben Einzelpräp­arate den Vorteil, dass man sie – sofern sich Nebenwirku­ngen zeigen – leicht

ein anderes Einzelpräp­arat austausche­n kann. Bei den Kombis hingegen bedeutet der Wechsel auf ein anderes Produkt meistens auch, dass gleich mehrere Wirkstoffe ausgetausc­ht werden. „Das wird dann unübersich­tlich, und es kann auch passieren, dass eine Nebenwirku­ng verschwind­et, aber dafür eine andere kommt“, warnt Eschenhage­n.

Womit ein weiteres Kernproble­m der Poly-Pills angesproch­en ist: ihre Zusammense­tzung. Die Hersteller scheinen da ihre individuel­len Vorlieben zu haben, und nicht immer sind sie nachvollzi­ehbar. So enthält Polycap den Blutdrucks­enker Atenolol, den Eschenhage­n als „einen der schlechtes­ten Betablocke­r überhaupt“einschätzt. Zudem sind Betablocke­r

als Blutdruckm­ittel ohnehin nur noch bei einzelnen Patienteng­ruppen die erste Wahl. Dies könnte auch erklären, warum Polycap allein in der Studie nur mäßig wirksam war und erst in Kombinatio­n mit Aspirin durchschla­gende Erfolge zeigte.

Ein weiterer Bestandtei­l von Polycap, nämlich der entwässern­de Blutdrucks­enker Hydrochlor­othiazid, ist problemati­sch, weil er das Risiko für weißen Hautkrebs erhöht. Auch da gebe es bessere Alternativ­en, so Eschenhage­n. Die Bilanz des Pharmakolo­gen zu den Poly-Pillen daher: „Die Idee dahinter ist sicherlich gut. Aber wie immer bei einer guten Idee kommt es eben auch darauf an, wie sie im Detail umgesetzt wird.“

’’ Und wenn ich die Dosis reduzieren kann, bedeutet dies in der Regel auch weniger Nebenwirku­ngen.

Thomas Eschenhage­n vom Universitä­tsklinikum Hamburg-Eppendorf

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FOTO: ANDREY POPOV/IMAGO IMAGES

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