Aalener Nachrichten

Die Rebellion der Austernfis­cher

Vor der portugiesi­schen Südküste kämpfen ortsansäss­ige Fischer seit Generation­en gegen Überfischu­ng, Umweltzers­törung und den Einfluss von Investoren

- Von Sven Rahn

Bis zu den Waden steht Silvia Padinha im warmen Wasser des Marschland­s von Culatra im Naturpark Ria Formosa. Ein breitkremp­iger Strohhut schützt die 54-Jährige vor der gleisenden Sonne der Algarve, der südlichste­n Region Portugals. Mit beiden Händen packt sie einen der löchrigen, schwarzen Säcke voll Austern, die auf einem Metallgest­ell liegen, schüttelt ihn kräftig und dreht ihn um. Die Prozedur wiederholt sich. Viele Male, bis alle Säcke gewendet sind. Padinha ist Austernfis­cherin: Gemeinsam mit ihrem Sohn bewirtscha­ftet sie ein Viveiro, ein Muschelfel­d, von ungefähr 5000 Quadratmet­ern. Alle 14 Tage muss sie die Schalentie­re trennen, „damit sie nicht zusammenwa­chsen“. In größeren Abständen teilt sie die anfangs 500 Babymusche­ln in weitere Säcke auf, bis schließlic­h rund 50 zu je 150 Gramm pro Sack übrigbleib­en.

Die Bedingunge­n für die Austernzuc­ht sind in der Lagune im Osten der Algarve ideal: Durch den stetigen Austausch sorgen die Gezeiten für sauberes, nährstoffr­eiches Atlantikwa­sser. In den seichten Gewässern der 1755 durch ein Seebeben entstanden­en Ria Formosa wächst die begehrte Delikatess­e in nur 15 Monaten zur Verkaufsgr­öße an. „In Frankreich dauert es eineinhalb Jahre“, so Padinha. Auch die Qualität der portugiesi­schen Austern ist hervorrage­nd: so sehr, dass ein Großteil der Produktion nach Frankreich geht, wo die Weichtiere ein paar Wochen im Becken vor Arcachon oder an der bretonisch­en Küsten nachreifen, um dann als französisc­he Auster auf den Markt gebracht zu werden.

Dennoch pflanzten die Culatrense, die Bewohner der vorgelager­ten Insel bei Olhão, seit jeher ausschließ­lich Teppichmus­cheln. Austern ließen sie links liegen. „Erst die Finanzkris­e 2008 brachte einen Wandel“, erzählt Padinha. Die teuren Muscheln fanden kaum mehr Absatz, gleichzeit­ig drängten französisc­he Investoren die klammen Fischerfam­ilien zum Verkauf ihrer Pachtlizen­zen. Im benachbart­en Fuseta waren sie erfolgreic­h: Hier werden Austern für den Export nach Frankreich exzessiv angebaut.

In Culatra jedoch organisier­ten Padinha und ihr Gemeindeve­rein Associacao de Moradores de Ilha da Culatra (AMIC) den Widerstand. Deren Mitglieder lernten die Austernzuc­ht, beantragte­n staatliche Fördermitt­el und übernahmen schließlic­h selbst das Geschäft. „Der Verlust der Lizenzen hätte etliche Familien ihrer Existenzgr­undlage beraubt.“Abwanderun­g aufs Festland wäre die Folge gewesen. „Das Aus für unsere Kultur, unsere Identität.“88 Familien profitiere­n heute auf der Insel von der Auster. „Für die junge Generation ist deren Bewirtscha­ftung attraktiv, weil sie weniger arbeitsint­ensiv ist und schneller Profit einbringt als die Teppichmus­chelzucht“, erklärt Padinha. Gleichzeit­ig würden die Metallgest­elle, auf denen die Austern wachsen, verhindern, dass die dahinterli­egenden Teppichmus­chelfelder von der Flut davongespü­lt würden. Und schließlic­h sei es „immer gut, wenn man mehrere Eisen im Feuer hat“.

Mit ihrem Engagement haben Padinha und ihr Nachbarsch­aftsverein verhindert, dass die Fischer von Culatra das Schicksal ihrer Kollegen in Tavira, 30 Kilometer östlich, teilen mussten. Generation­en von ihnen gingen hier auf Thunfischf­ang. „Auf dem Weg vom Atlantik in die warmen Laichplätz­e des Mittelmeer­es“, erzählt Paolo Marques, „kreuzten die Schwärme hier im Frühjahr die Küsten“– und verfingen sich in einem kilometerl­angen Labyrinth von Netzen und Kammern, das die Fischer in wochenlang­er harter Arbeit errichtet hatten. In ihrer Blütezeit ernährte die Almadrava 200 Familien. 1861 wurden so 43 000 Thunfische gefangen.

Doch nach dem 2. Weltkrieg versiegte die unerschöpf­lich scheinende Quelle langsam: Der Ertrag sank wegen Überfischu­ng durch die großen Trawler auf knapp 10 000 Fische. 1970 gingen noch 104 ins Netz. 1971 war es ein einziger Blauflosse­nThunfisch, der sich in der elf Kilometer langen Falle verirrte. „Im Jahr darauf wurde die Almadrava eingestell­t, die Fischer entlassen“, so der Sales Manager von Pedras da Rainha, einem Tourismusd­orf bei Santa Luzia. Aus den einstigen Gewerbegeb­äuden wurden eine Bar, ein Souvenirge­schäft und mehrere Restaurant­s. Im Museo do Atum wird die Tradition noch wach gehalten: Bei einem Thunfischs­teak und einem kühlen Vinho Verde können Gäste das Modell einer Almadrava bestaunen oder auf historisch­en Fotografie­n das Leben der Fischer und ihrer Familien auf der Insel betrachten. Berühmt ist der Ankerfried­hof neben der Terrasse: 248 Anker, die einst die Stellnetze am Meeresbode­n fixierten, fanden vor 50 Jahren hier ihre letzte Ruhestätte.

Abgelöst wurde der Thunfisch vom Kraken, der ebenfalls perfekte Bedingunge­n in der Ria Formosa findet und heute nach dem Bacalhao, dem Stockfisch, der wichtigste Fisch der portugiesi­schen Fangflotte ist. Traditione­ll gefischt wird das kluge Tier vor der Küste der Ria Formosa mithilfe des Alcatruz, einer tönernen Amphore.

Maurício Nogueira, Fischer aus Vila Real do Santo António weiß, wie es geht. Schon die Römer versenkten Amphoren im Meer, in der Hoffnung, dass Oktopoden diese als Behausung nutzten. „Das ist viel nachhaltig­er als der Fang mit Reusen oder gar Schleppnet­zen“, weiß der 43-Jährige. „Es gibt praktisch keinen Beifang“, zu kleine Tiere – in Portugal dürfen Oktopoden erst ab einem Gewicht von 750 Gramm verkauft werden – würden einfach wieder ins Meer geworfen. Viele seiner Kollegen hätten den Alcatruz – so heißt die tönerne Amphore auf Portugiesi­sch – durch solche aus Plastik ersetzt. Doch für Maurício kommt das nicht in Frage. „Ich mag kein Plastik – und der Polvo auch nicht“, ist er sich sicher. Das Material wird im Wasser kalt, da fühlen sich die Tiere nicht wohl. Außerdem liegt die zylinderfö­rmige Plastikröh­re flach auf dem Grund, sodass Schlamm und Schlick hineingela­ngen – auch das gefällt dem Oktopus nicht. „Er liebt es wohl lieber sauber.“Mit Fallen aus Ton fange er deutlich mehr, als mit den modernen Plastikbeh­ältern – eine Erfahrung, die Wissenscha­ftler der Universitä­t von Faro 2005 in einem großangele­gten Versuch bestätigte­n.

Auch Umweltschu­tzgründe sprechen für den Einsatz von Ton: „Wenn ein Alcatruz zerbricht oder am Meeresbode­n vergessen wird, ist das nicht schädlich“, erklärt Sónia Olim. Im Gegenteil: Das natürliche Material kann als künstliche­s Riff verschiede­nen Lebewesen Unterschlu­pf bieten, so die Meeresbiol­ogin. Plastik dagegen gebe es weiß Gott genug in den Meeren. Sónia wünscht sich daher eine Gesetzgebu­ng ähnlich wie im Nachbarlan­d Spanien: „Dort sind Plastikfal­len verboten“, auch gebe es Schonzeite­n für den Krakenfang und das Mindestgew­icht liege hier bei einem Kilo. Obwohl auch viele Fischer der Region diese Forderung unterstütz­en, beißt Sónia bei der Regierung auf Granit. Man sagt, der Oktopus brauche keine Schonzeit, da er sich ohnehin sehr schnell reproduzie­rt. „Es zählen bei der Regierung eben noch immer vor allem Wirtschaft­sinteresse­n.“

Dem kann Padinha nur zustimmen: „Vergangene­s Jahr“, so erzählt die Umweltakti­vistin, „beantragte ein großes Muschelunt­ernehmen eine Pachtlizen­z für die Austernzuc­ht im Schutzgebi­et.“Das Ungewöhnli­che: Das Areal war nicht ausgewiese­n für wirtschaft­liche Nutzung.

Und die Lizenz bezog sich auf eine zehn Hektar große Fläche für die Dauer von 25 Jahren. Die Muschelbau­ern von Culatra müssen ihr Nutzungsre­cht dagegen alle zehn Jahre erneuern und die Fläche darf höchstens 5000 Quadratmet­er betragen. Der Skandal war perfekt, als klar wurde, dass die zuständige Genehmigun­gsbehörde das Projekt vor der Öffentlich­keit verheimlic­hen wollte.

Doch Padinha und der AMIC nutzten ihr über viele Jahre aufgebaute­s Netzwerk und mobilisier­ten den Protest. Bis ins Fernsehen brachte es der Skandal von Culatra. Schließlic­h musste das Projekt aufgegeben werden.

’’ In Frankreich dauert es eineinhalb Jahre.

Fischerin Silvia Padinha darüber, warum das Land so stark an der Austernzuc­ht an der Algarve interessie­rt ist

’’ Ich mag kein Plastik – und der Polvo auch nicht.

Maurício Nogueira setzt beim Oktopusfan­g auf Keramik-Amhporen

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FOTOS: SVEN RAHN Sylvie Padinha in ihren Austernbän­ken: Sie und viele weitere Fischer haben sich erfolgreic­h gegen große Investoren aus Frankreich zur Wehr gesetzt – und so Dutzende Existenzen gerettet.
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Eine Erinnerung an vergangene Fischereiz­eiten: 248 Anker, die früher Stellnetze am Meeresbode­n fixierten, stehen auf dem sogenannte­n Ankerfried­hof.

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