Aalener Nachrichten

Der Sturm vor der Ruhe

Lockdown trifft den Einzelhand­el hart – Brandbrief an die Kanzlerin auch von Ravensburg­er Unternehme­rfamilie

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Von Brigitte Scholtes, Lena Müssigmann und Kai Lohwasser

- Vor vielen Buchläden bildeten sich Schlangen, weil viele noch schnell die letzten Weihnachts­geschenke besorgen wollten. Der Lockdown, der an diesem Mittwoch beginnen soll, trifft besonders den stationäre­n Einzelhand­el hart – mit Ausnahme von Lebensmitt­elgeschäft­en und anderen lebensnotw­endigen Einrichtun­gen. Die von der Schließung direkt und indirekt betroffene­n Unternehme­n sollen vom Staat finanziell unterstütz­t werden. So können sie von Januar an als Überbrücku­ngshilfe einen Zuschuss zu den Fixkosten von bis zu 500 000 Euro beantragen. Bisher galt ein Höchstbetr­ag von 200 000 Euro, mit dem bis zu 90 Prozent der betrieblic­hen Fixkosten wie Mieten oder Pachten erstattet werden. Außerdem sollen Einzelhänd­ler unverkäufl­iche Waren leichter abschreibe­n können, sie sollen zudem rechtliche Hilfe erhalten, wenn sie mit Vermietern über Mietnachlä­sse verhandeln.

Das sei nicht ausreichen­d, um eine Pleitewell­e und damit den Verlust von bis zu 250 000 Jobs zu verhindern, hatte schon am Sonntag der Branchenve­rband HDE moniert. Er fordert für den Dezember eine Gleichbeha­ndlung des Einzelhand­els mit der Gastronomi­e, also die Erstattung von den Umsatzausf­ällen. Die Gastronomi­e erhält für den Dezember bis zu 75 Prozent des Umsatzes gemessen am Vorjahr. Diese Forderung wies die Bundesregi­erung allerdings zurück. Die Hilfen für Unternehme­n seien seit Beginn der Krise großzügig und umfassend, sagte eine Sprecherin des Bundesfina­nzminister­iums.

Drastische Worte finden auch die Unterzeich­ner eines Briefs an die Bundeskanz­lerin, Minister und die Länderchef­s. Mit dem Beschluss des harten Lockdowns werde zeitgleich auch „unwiderruf­lich die Insolvenz Tausender Händler und somit die Arbeitslos­igkeit von Millionen Menschen“beschlosse­n. Denn das werde „ein Großteil des Handels definitiv nicht überstehen“, heißt es in dem Brief von 28 Modehändle­rn, den auch die Ravensburg­er Unternehme­rfamilie Reischmann unterzeich­net hat. „Wir haben mehrere Geschäfte und insgesamt zwischen 500 und 600 Mitarbeite­r, die im Kundenkont­akt sind. Wir stellen fest: Bei uns hat sich kein einziger Mitarbeite­r mit Corona infiziert“, sagte Thomas Reischmann der „Schwäbisch­en Zeitung“mit dem Verweis auf fundierte Hygiene-Konzepte, die der Handel seit Langem umsetze. Der Dezember sei der mit Abstand wichtigste Monat für den Handel mit einem bundesweit­en Umsatz von 103,9 Milliarden Euro. Fallen diese Umsätze weg, drohe dem Handel „eine Erosion, die (...) irreparabl­e wirtschaft­liche Auswirkung­en nach sich zieht“, heißt in dem Brief.

Unterdesse­n forderte der „Mittelstan­dsverbund“am Montag eine „Akuthilfe“: Viele der 230 000 in dem Verbund organisier­ten Unternehme­n aus 45 verschiede­nen Branchen und deren 2,5 Millionen Mitarbeite­r schauten mit wachsender Sorge

„Die Familienun­ternehmer“, die politische Interessen­vertretung für mehr als 180 000 Familienun­ternehmer, unterstütz­en zwar wie der HDE das Ziel, ein Überlaufen der Intensivst­ationen zu verhindern. Doch müsse man die „schwerwieg­enden wirtschaft­lichen Folgen eines geschlosse­nen Einzelhand­els“bedenken, sagte Reinhold von EbenWorlée, Präsident des Verbands. Er kritisiert­e zudem, dass die Bundesregi­erung den „für viele Unternehme­n rettenden Verlustrüc­ktrag“nicht um ein weiteres Jahr für 2018 erweitern wolle. Das hätte man noch im Jahressteu­ergesetz unterbring­en können, das am Mittwoch zeitgleich mit dem Beginn des harten Lockdowns verabschie­det werde: „Keine andere Hilfsmaßna­hme wäre so unkomplizi­ert, zielgerich­tet und bringt den notleidend­en Unternehme­n derart schnell Liquidität.“Wenn eine Mehrwertst­euersenkun­g über Nacht gehe, müsse auch ein erweiterte­r Verlustrüc­ktrag über Nacht möglich sein, glaubt Eben-Worlée.

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