Aalener Nachrichten

Nicht länger unsichtbar

Corona bedeutet für unzählige Menschen hinter den Kulissen der Konzertbra­nche eine Zwangspaus­e – Jetzt machen sie auf ihre prekäre Lage aufmerksam

- Von Daniel Drescher

Martin Armbruster ist unsichtbar. Wenn er arbeitet, sieht man ihn nicht. Er macht kein Geräusch, aber wäre er nicht da, wäre es still. Bis im Frühjahr 2020 war das Unsichtbar­sein für Martin Armbruster kein Problem, er mochte es so. Doch dann kam Corona – und nach ein paar Wochen wünschte sich der 39Jährige, dass man ihn bemerkt. Von ihm Notiz nimmt. Ihn nicht übersieht. So wie die anderen Unsichtbar­en, die es zu Hunderttau­senden in Deutschlan­d gibt.

Martin Armbruster ist Tontechnik­er. Seit 20 Jahren ist der Musikliebh­aber mit Herz und Seele in diesem Beruf tätig. „Ich hab schon mit elf Jahren in Bands gespielt“, erzählt er. Nach dem Schulabsch­luss die Ausbildung zum Veranstalt­ungstechni­ker. Dann machte er sich als Tontechnik­er selbststän­dig. Seine Arbeit hat ihn vor Corona quer durch Europa und bis nach Asien geführt, wenn er mit Bands auf Tour war. Anfang des Jahres war er noch mit Florian Silbereise­n unterwegs, dann bei „Rock Meets Classic“mit Alice Cooper im Einsatz. Zwar hatte Armbruster bereits im Januar auf einer Mobilfunkm­esse in Barcelona, die kurzfristi­g abgesagt wurde, von dem Virus gehört. „Aber auf so einer Tour ist man in einer Blase und bekommt nicht viel mit“, sagt Armbruster. Als der Tross in Berlin war, hörte er vom Klopapier-Ansturm. „Ich hab einen SecurityMi­tarbeiter gefragt, ob es stimmt, dass man in Berlin kein Klopapier mehr bekommt. Und er sagte, ja, aber das sei nicht nur in Berlin so.“Kurz darauf waren dann in Bayern keine Auftritte mehr möglich. Nach einem Tag in einem Würzburger Hotel war klar, dass die Aussichten auf Shows schlecht sind. Die Tour wurde abgebroche­n. „Nach einer Woche zu Hause war mir klar, dass es im Mai nichts wird mit dem geplanten zweiten Teil der Silbereise­n-Tour. Und nach zwei Wochen wusste ich, dass ich dieses Jahr nicht mehr normal arbeiten würde.“Ein, zwei Streamingk­onzerte, später dann die Lockdown-Sessions im Ulmer Roxy, die Armbruster „magisch“nennt – kleine Lichtblick­e, aber eben kein „business as usual“.

Auch das Gespräch läuft anders als gewöhnlich. Per Videoanruf nämlich. Auf dem Schreibtis­ch hinter Armbruster ist ein Mischpult zu sehen, das da eigentlich nicht hingehört. „Damit ich hin und wieder wenigstens etwas mischen kann, einen alten Konzertmit­schnitt beispielsw­eise“, sagt er. „Da schraub ich dran rum, bin ein wenig happy und dann wieder traurig.“Ein Ende der Zwangspaus­e ist noch nicht in Sicht. Also hat sich der Technikexp­erte aus Blaubeuren vorläufig einen anderen Job gesucht. Derzeit arbeitet er als Postbote und bekommt den Onlineshop­ping-Boom hautnah mit. „Bis zu 200 Pakete fahre ich täglich aus“, sagt er. Der alternativ­e Job ist quasi alternativ­los. Miete und Rechnungen wollen bezahlt werden. Die Corona-Soforthilf­e für Selbststän­dige – 1180 Euro im Monat – reichte nicht dafür.

Wie Armbruster geht es vielen Menschen, die in der deutschen Veranstalt­ungsbranch­e tätig sind. Auch wenn beim Konzert die Musiker im Rampenlich­t stehen – ohne Menschen wie Armbruster wären die Shows unspektaku­lär und der Sound dünn. Wenn eine Band die Bühne betritt, waren die Unsichtbar­en bereits tätig. Roadies haben die Instrument­e und die Verstärker­anlagen auf die Bühne geschleppt, Rigger haben die Traversen installier­t, in denen Scheinwerf­er aufgehängt werden. Busfahrer haben die Musiker in einem Tourbus zum Veranstalt­ungsort gefahren. Die Security hat die Konzertbes­ucher durchsucht und die Karten kontrollie­rt. Die Tickets wurden vorher vom Kartenverk­auf unters Volk gebracht. Caterer haben dafür gesorgt, dass niemand durstig bleiben muss. Booker der Konzertloc­ation und Veranstalt­er haben sich auf den Termin geeinigt. Die Liste ließe sich fortsetzen.

„Wir wollen nicht im Fokus stehen“, sagt Armbruster über die Menschen, die hinter den Kulissen tätig sind. Das macht auch schon die bevorzugte Farbe der Arbeitskle­idung deutlich: In Schwarz gehüllt verschmelz­en Tontechnik­er und andere Veranstalt­ungstechni­ker mit dem Dunkel des Konzertsaa­ls. „Wir wollen möglichst geile Shows machen und haben einen hohen Anspruch an unsere Arbeit.“In der Branche seien hochkompet­ente Menschen mit vielschich­tigem

Wissen unterwegs, die einfach ihr Ding machen wollten. „Doch jetzt wollen wir uns zeigen“, so Armbruster. Er ist einer von vielen Menschen, die bei der fotografis­chen Kampagne „Kulturgesi­chter“mitgemacht haben. Mit der Initiative will die Veranstalt­ungsbranch­e ein Bewusstsei­n für die vielen Menschen schaffen, deren Existenzen durch die Corona-Maßnahmen bedroht sind. Die SchwarzWei­ß-Bilder sind im Internet zu sehen und auf Plakaten.

Denn während die Folgen des Lockdowns etwa für die Gastronomi­e sehr präsent waren, ging die Veranstalt­ungsbranch­e in der öffentlich­en Debatte lange Zeit unter. Ende Oktober verschafft­e der JazzTrompe­ter Till Brönner dem Thema einen lang überfällig­en Schub, als er seinen Ärger über die Situation im Netz äußerte. In einem Video, das zigfach angeklickt und geteilt wurde, kritisiert­e der 49Jährige, man könne nicht Konzernen Milliarden „in den Vorgarten werfen“und Kulturleut­e mit Hartz IV abspeisen. „Wenn ein gesamter Berufszwei­g per Gesetz gezwungen wird, seine Arbeit zum

Schutze der Allgemeinh­eit ruhen zu lassen, dann muss doch die Allgemeinh­eit dafür sorgen, dass die Menschen nach Corona noch da sind“, sagte der Musiker und Fotograf. „Das ist kein Luxusprobl­em, das ist ein Kernproble­m.“In Show und Kultur seien mit 1,5 Millionen mehr Menschen beschäftig­t als in der Automobili­ndustrie, die Branche erwirtscha­fte jedes Jahr rund 130 Milliarden Euro. Inzwischen gibt es durch groß angelegte Kampagnen wie „Alarmstufe Rot“, „Ohne Kunst und Kultur wird’s still“und eben die „Kulturgesi­chter“mehr Aufmerksam­keit für die Problemati­k.

Auch Monika Keller hat sich für die „Kulturgesi­chter“ablichten lassen. „Ich finde gut, dass durch die Kampagne klar wird, wie viele Rädchen in der Konzertbra­nche ineinander­greifen“, sagt die 25-Jährige, die als Bassistin vor Corona selbst auf der Bühne stand. Sie arbeitet als Social-Media-Managerin bei Easyticket in Stuttgart, einem der größten Unternehme­n für Kartenverk­auf in Baden-Württember­g. In der Kulturszen­e ist sie aber schon länger aktiv. Beim Popbüro in der Landeshaup­tstadt arbeitete sie zuvor in der regionalen Musikförde­rung. Seit Monika Keller auf großen Plakaten in der Landeshaup­tstadt zu sehen ist, wird sie auch von Freunden und Bekannten angesproch­en. Inzwischen sei eine andere Wertschätz­ung des Konzertbet­riebs da, sagt sie.

Die Normalität begann für sie bereits Anfang des Jahres zu bröckeln. „Ende Februar riefen Kunden an und wollten Tickets zurückgebe­n, weil sie in der aktuellen Situation nicht auf Veranstalt­ungen gehen wollten“, erinnert sie sich. Manche tauchten auch einfach nicht auf, wie der Kartenscan zeigte. „In der Woche vor dem ersten Lockdown waren teils nur noch 60 Prozent der Leute, die Karten gekauft hatten, auch wirklich vor Ort.“Dass Monika Keller Zeit für das Videotelef­onat hat, liegt auch daran, dass das sonst so betriebsam­e Weihnachts­geschäft dieses Jahr flachfällt. Konzertkar­ten sind ein beliebtes Geschenk. Aber dieses Jahr würde man eventuell falsche Hoffnungen damit verschenke­n.

Für Monika Keller war es nicht der finanziell­e Aspekt, der sie beschäftig­te. Anfangs gab es noch Arbeit genug, als die Kunden ihre Karten zurückgabe­n oder gegen Gutscheine eintauscht­en. Kurzarbeit war nur für drei Monate ein Thema. „Doch dann kamen Tage, an denen man vielleicht zwei Mails beantworte­n musste“, erinnert sie sich. Also suchte sie sich einen Nebenjob. „Ich fahre Pizzen für Lieferando aus“, sagt Keller. Auch, weil unsicher ist, wie es weitergeht. Immerhin: Sowohl für Keller als auch für Armbruster ist die Situation nicht ganz so prekär, weil sie keine Kinder haben und auch sonst keine finanziell­en familiären Verpflicht­ungen, pflegebedü­rftige Angehörige etwa.

Die Hoffnung, dass nächstes Jahr wieder Konzerte möglich sein werden, verbindet die beiden Kulturscha­ffenden. „Ich denke, im Herbst könnte etwas gehen“, sagt Keller. „Vielleicht nicht gleich die Schleyer-Halle, nichts mit 15 000 Menschen.“Derzeit arbeitet sie bei Easyticket daran mit, alles startklar zu machen, Saalpläne zu verändern und Hygienekon­zepte zu erarbeiten etwa. „Wenn es wieder losgeht, wird es uns richtig treffen“, sagt sie. „Darauf bereiten wir uns gerade vor.“Auch Martin Armbruster geht davon aus, dass die Menschen heiß auf Liveauftri­tte sein werden, wenn es wieder losgeht. „Und die Musiker natürlich auch. Ich glaube, da wird es definitiv sehr gute Konzerte geben.“

Wobei es dauern werde, bis sich alles wieder normalisie­rt. Denn durch die Tourversch­iebungen gebe es nun einen Mangel an Tourbussen, weiß Armbruster. Und durch die nun bereits lange im Voraus belegten Konzertloc­ations könnte es für Nachwuchsk­ünstler schwer werden aufzutrete­n, merkt Keller an. Wichtig sei, dass das Publikum wieder auf Konzerte gehe und die Auftritte für Künstler wieder rentabel würden. „Ersatzeven­ts wie Autokonzer­te waren nur durch Sponsoring möglich“, so Armbruster. „Die Fans müssen wieder her, sonst geht die Branche irgendwann kaputt.“

„Bis zu 200 Pakete fahre ich täglich aus.“

Martin Armbruster musste das Mischpult wegen Corona gegen das Postauto tauschen

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FOTOS (2): DOMINIC PENCZ/GET BACKSTAGE Mit der Kampagne „Kulturgesi­chter“sollen die Menschen hinter den Kulissen der Veranstalt­ungsbranch­e sichtbar gemacht werden.
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