Nicht länger unsichtbar
Corona bedeutet für unzählige Menschen hinter den Kulissen der Konzertbranche eine Zwangspause – Jetzt machen sie auf ihre prekäre Lage aufmerksam
Martin Armbruster ist unsichtbar. Wenn er arbeitet, sieht man ihn nicht. Er macht kein Geräusch, aber wäre er nicht da, wäre es still. Bis im Frühjahr 2020 war das Unsichtbarsein für Martin Armbruster kein Problem, er mochte es so. Doch dann kam Corona – und nach ein paar Wochen wünschte sich der 39Jährige, dass man ihn bemerkt. Von ihm Notiz nimmt. Ihn nicht übersieht. So wie die anderen Unsichtbaren, die es zu Hunderttausenden in Deutschland gibt.
Martin Armbruster ist Tontechniker. Seit 20 Jahren ist der Musikliebhaber mit Herz und Seele in diesem Beruf tätig. „Ich hab schon mit elf Jahren in Bands gespielt“, erzählt er. Nach dem Schulabschluss die Ausbildung zum Veranstaltungstechniker. Dann machte er sich als Tontechniker selbstständig. Seine Arbeit hat ihn vor Corona quer durch Europa und bis nach Asien geführt, wenn er mit Bands auf Tour war. Anfang des Jahres war er noch mit Florian Silbereisen unterwegs, dann bei „Rock Meets Classic“mit Alice Cooper im Einsatz. Zwar hatte Armbruster bereits im Januar auf einer Mobilfunkmesse in Barcelona, die kurzfristig abgesagt wurde, von dem Virus gehört. „Aber auf so einer Tour ist man in einer Blase und bekommt nicht viel mit“, sagt Armbruster. Als der Tross in Berlin war, hörte er vom Klopapier-Ansturm. „Ich hab einen SecurityMitarbeiter gefragt, ob es stimmt, dass man in Berlin kein Klopapier mehr bekommt. Und er sagte, ja, aber das sei nicht nur in Berlin so.“Kurz darauf waren dann in Bayern keine Auftritte mehr möglich. Nach einem Tag in einem Würzburger Hotel war klar, dass die Aussichten auf Shows schlecht sind. Die Tour wurde abgebrochen. „Nach einer Woche zu Hause war mir klar, dass es im Mai nichts wird mit dem geplanten zweiten Teil der Silbereisen-Tour. Und nach zwei Wochen wusste ich, dass ich dieses Jahr nicht mehr normal arbeiten würde.“Ein, zwei Streamingkonzerte, später dann die Lockdown-Sessions im Ulmer Roxy, die Armbruster „magisch“nennt – kleine Lichtblicke, aber eben kein „business as usual“.
Auch das Gespräch läuft anders als gewöhnlich. Per Videoanruf nämlich. Auf dem Schreibtisch hinter Armbruster ist ein Mischpult zu sehen, das da eigentlich nicht hingehört. „Damit ich hin und wieder wenigstens etwas mischen kann, einen alten Konzertmitschnitt beispielsweise“, sagt er. „Da schraub ich dran rum, bin ein wenig happy und dann wieder traurig.“Ein Ende der Zwangspause ist noch nicht in Sicht. Also hat sich der Technikexperte aus Blaubeuren vorläufig einen anderen Job gesucht. Derzeit arbeitet er als Postbote und bekommt den Onlineshopping-Boom hautnah mit. „Bis zu 200 Pakete fahre ich täglich aus“, sagt er. Der alternative Job ist quasi alternativlos. Miete und Rechnungen wollen bezahlt werden. Die Corona-Soforthilfe für Selbstständige – 1180 Euro im Monat – reichte nicht dafür.
Wie Armbruster geht es vielen Menschen, die in der deutschen Veranstaltungsbranche tätig sind. Auch wenn beim Konzert die Musiker im Rampenlicht stehen – ohne Menschen wie Armbruster wären die Shows unspektakulär und der Sound dünn. Wenn eine Band die Bühne betritt, waren die Unsichtbaren bereits tätig. Roadies haben die Instrumente und die Verstärkeranlagen auf die Bühne geschleppt, Rigger haben die Traversen installiert, in denen Scheinwerfer aufgehängt werden. Busfahrer haben die Musiker in einem Tourbus zum Veranstaltungsort gefahren. Die Security hat die Konzertbesucher durchsucht und die Karten kontrolliert. Die Tickets wurden vorher vom Kartenverkauf unters Volk gebracht. Caterer haben dafür gesorgt, dass niemand durstig bleiben muss. Booker der Konzertlocation und Veranstalter haben sich auf den Termin geeinigt. Die Liste ließe sich fortsetzen.
„Wir wollen nicht im Fokus stehen“, sagt Armbruster über die Menschen, die hinter den Kulissen tätig sind. Das macht auch schon die bevorzugte Farbe der Arbeitskleidung deutlich: In Schwarz gehüllt verschmelzen Tontechniker und andere Veranstaltungstechniker mit dem Dunkel des Konzertsaals. „Wir wollen möglichst geile Shows machen und haben einen hohen Anspruch an unsere Arbeit.“In der Branche seien hochkompetente Menschen mit vielschichtigem
Wissen unterwegs, die einfach ihr Ding machen wollten. „Doch jetzt wollen wir uns zeigen“, so Armbruster. Er ist einer von vielen Menschen, die bei der fotografischen Kampagne „Kulturgesichter“mitgemacht haben. Mit der Initiative will die Veranstaltungsbranche ein Bewusstsein für die vielen Menschen schaffen, deren Existenzen durch die Corona-Maßnahmen bedroht sind. Die SchwarzWeiß-Bilder sind im Internet zu sehen und auf Plakaten.
Denn während die Folgen des Lockdowns etwa für die Gastronomie sehr präsent waren, ging die Veranstaltungsbranche in der öffentlichen Debatte lange Zeit unter. Ende Oktober verschaffte der JazzTrompeter Till Brönner dem Thema einen lang überfälligen Schub, als er seinen Ärger über die Situation im Netz äußerte. In einem Video, das zigfach angeklickt und geteilt wurde, kritisierte der 49Jährige, man könne nicht Konzernen Milliarden „in den Vorgarten werfen“und Kulturleute mit Hartz IV abspeisen. „Wenn ein gesamter Berufszweig per Gesetz gezwungen wird, seine Arbeit zum
Schutze der Allgemeinheit ruhen zu lassen, dann muss doch die Allgemeinheit dafür sorgen, dass die Menschen nach Corona noch da sind“, sagte der Musiker und Fotograf. „Das ist kein Luxusproblem, das ist ein Kernproblem.“In Show und Kultur seien mit 1,5 Millionen mehr Menschen beschäftigt als in der Automobilindustrie, die Branche erwirtschafte jedes Jahr rund 130 Milliarden Euro. Inzwischen gibt es durch groß angelegte Kampagnen wie „Alarmstufe Rot“, „Ohne Kunst und Kultur wird’s still“und eben die „Kulturgesichter“mehr Aufmerksamkeit für die Problematik.
Auch Monika Keller hat sich für die „Kulturgesichter“ablichten lassen. „Ich finde gut, dass durch die Kampagne klar wird, wie viele Rädchen in der Konzertbranche ineinandergreifen“, sagt die 25-Jährige, die als Bassistin vor Corona selbst auf der Bühne stand. Sie arbeitet als Social-Media-Managerin bei Easyticket in Stuttgart, einem der größten Unternehmen für Kartenverkauf in Baden-Württemberg. In der Kulturszene ist sie aber schon länger aktiv. Beim Popbüro in der Landeshauptstadt arbeitete sie zuvor in der regionalen Musikförderung. Seit Monika Keller auf großen Plakaten in der Landeshauptstadt zu sehen ist, wird sie auch von Freunden und Bekannten angesprochen. Inzwischen sei eine andere Wertschätzung des Konzertbetriebs da, sagt sie.
Die Normalität begann für sie bereits Anfang des Jahres zu bröckeln. „Ende Februar riefen Kunden an und wollten Tickets zurückgeben, weil sie in der aktuellen Situation nicht auf Veranstaltungen gehen wollten“, erinnert sie sich. Manche tauchten auch einfach nicht auf, wie der Kartenscan zeigte. „In der Woche vor dem ersten Lockdown waren teils nur noch 60 Prozent der Leute, die Karten gekauft hatten, auch wirklich vor Ort.“Dass Monika Keller Zeit für das Videotelefonat hat, liegt auch daran, dass das sonst so betriebsame Weihnachtsgeschäft dieses Jahr flachfällt. Konzertkarten sind ein beliebtes Geschenk. Aber dieses Jahr würde man eventuell falsche Hoffnungen damit verschenken.
Für Monika Keller war es nicht der finanzielle Aspekt, der sie beschäftigte. Anfangs gab es noch Arbeit genug, als die Kunden ihre Karten zurückgaben oder gegen Gutscheine eintauschten. Kurzarbeit war nur für drei Monate ein Thema. „Doch dann kamen Tage, an denen man vielleicht zwei Mails beantworten musste“, erinnert sie sich. Also suchte sie sich einen Nebenjob. „Ich fahre Pizzen für Lieferando aus“, sagt Keller. Auch, weil unsicher ist, wie es weitergeht. Immerhin: Sowohl für Keller als auch für Armbruster ist die Situation nicht ganz so prekär, weil sie keine Kinder haben und auch sonst keine finanziellen familiären Verpflichtungen, pflegebedürftige Angehörige etwa.
Die Hoffnung, dass nächstes Jahr wieder Konzerte möglich sein werden, verbindet die beiden Kulturschaffenden. „Ich denke, im Herbst könnte etwas gehen“, sagt Keller. „Vielleicht nicht gleich die Schleyer-Halle, nichts mit 15 000 Menschen.“Derzeit arbeitet sie bei Easyticket daran mit, alles startklar zu machen, Saalpläne zu verändern und Hygienekonzepte zu erarbeiten etwa. „Wenn es wieder losgeht, wird es uns richtig treffen“, sagt sie. „Darauf bereiten wir uns gerade vor.“Auch Martin Armbruster geht davon aus, dass die Menschen heiß auf Liveauftritte sein werden, wenn es wieder losgeht. „Und die Musiker natürlich auch. Ich glaube, da wird es definitiv sehr gute Konzerte geben.“
Wobei es dauern werde, bis sich alles wieder normalisiert. Denn durch die Tourverschiebungen gebe es nun einen Mangel an Tourbussen, weiß Armbruster. Und durch die nun bereits lange im Voraus belegten Konzertlocations könnte es für Nachwuchskünstler schwer werden aufzutreten, merkt Keller an. Wichtig sei, dass das Publikum wieder auf Konzerte gehe und die Auftritte für Künstler wieder rentabel würden. „Ersatzevents wie Autokonzerte waren nur durch Sponsoring möglich“, so Armbruster. „Die Fans müssen wieder her, sonst geht die Branche irgendwann kaputt.“
„Bis zu 200 Pakete fahre ich täglich aus.“
Martin Armbruster musste das Mischpult wegen Corona gegen das Postauto tauschen