Europas Angst vor dem mutierten Virus
Kontinent schottet sich gegen neue britische Corona-Variante ab – Flugverkehr eingestellt
(dpa) - Mit Flugverboten und Grenzschließungen rüstet sich Europa gegen eine in Großbritannien entdeckte, hoch ansteckende Variante des Coronavirus. Deutschland stoppt Flüge aus Großbritannien weitgehend. Landungen aus dem Land sind ab Mitternacht untersagt, ausgenommen sind laut Bundesverkehrsministerium reine Frachtflüge. Die Virusmutation ist nach britischen Behördenangaben bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form und weitet sich in London und Südostengland rasant aus. Für die Region ordneten die Behörden einen Shutdown mit Ausgangs- und Reisesperren an.
In Deutschland ist die neue Variante nach Angaben von Christian Drosten von der Berliner Charité bisher nicht aufgetaucht. Damit dies so bleibt, kündigte die Bundesregierung an, dass sie auch für den Reiseverkehr Einschränkungen beabsichtigt. Für Großbritannien und Südafrika, wo ebenfalls eine Corona-Variante nachgewiesen wurde, solle noch an diesem Montag eine Verordnung erlassen werden, kündigte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an. Das Innenministerium hatte die Bundespolizei bereits am Sonntagabend angewiesen, Reisende aus Großbritannien und Südafrika sofort systematisch zu kontrollieren.
Andere Länder haben bereits gehandelt: Die Niederlande sagten Flüge von und nach Großbritannien ab, Belgien schloß seine Grenzen zu Großbritannien. Das betrifft auch den Eurostar-Zug durch den Tunnel unter dem Ärmelkanal. Die italienische Regierung will die Flugverbindungen mit Großbritannien wegen der Corona-Lage in England aussetzen, Österreich kündigte ebenfalls ein Landeverbot an.
Die britische Regierung zeigte sich besorgt über die Virus-Mutation. „Sie ist außer Kontrolle, und wir müssen sie wieder unter Kontrolle bekommen“, sagte Gesundheitsminister Matt Hancock. Premier Boris Johnson betonte, es gebe keine Hinweise, dass die Mutation schwerere Krankheitsverläufe habe oder dass Impfstoffe gegen die Mutation weniger effektiv seien. Experten zeigten sich optimistisch, dass der Impfstoff auch gegen die neue Variante wirkt. „Ich sehe da derzeit keinen Grund für Alarm“, sagte Richard Neher vom Biozentrum der Uni Basel.
- Wirken Mundwasser, Schokolade oder Tee gegen Corona-Viren? Das legen Studien nahe. Was die Ergebnisse konkret bedeutet, erklärt Virologe Professor Thomas Mertens im Gespräch mit Theresa Gnann.
US-Forscher legen in einer neuen Studie nahe, dass Lebensmittel wie Schokolade und Tee das CoronaInfektionsrisiko reduzieren könnten. Für wie erfolgversprechend halten Sie diesen Ansatz?
Es handelt sich um eine interessante und gut gemachte Studie, allerdings wird nur über Laborergebnisse berichtet. Flavonoide als Substanzen, die aus verschiedenen Pflanzen gewonnen werden können, werden seit Langem als mögliche antivirale Substanzen untersucht, bislang aber ohne praktische Anwendung. In der hier zitierten wissenschaftlichen Arbeit wurde die Bindung verschiedener pflanzlicher Substanzen (unter anderen aus Kakao und grünem Tee) an ein virales Enzym untersucht und die Hemmung dieses Enzyms im Reagenzglas. Nun müssten zunächst quantitative Untersuchungen zur tatsächlichen Hemmung der Virusvermehrung in Zellkulturen und später geeigneten Versuchstieren (zum Beispiel Frettchen) folgen, bevor man etwas über den möglichen Nutzen dieser Substanzen bei der Behandlung von Sars-CoV-2 Infektionen sagen kann. Von einer Empfehlung zum Verzehr von Schokolade und Tee als Maßnahme gegen Covid-19 sind wir noch sehr weit entfernt.
Als ein weiteres Hausmittel ist schon seit einigen Monaten Mundwasser im Gespräch. Auch in Ulm wird zur Wirkung solcher Mundspülungen geforscht.
Welche Erkenntnisse gibt es hierzu inzwischen? Über dieses Thema haben wir schon früher gesprochen, und wir können das bekräftigen, was wir damals gesagt haben. Da bei Sars-CoV-2 früh im Infektionsverlauf, auch wenn noch keine Symptome bestehen, sich viel Virus im Rachen vermehrt und ausgeschieden wird, macht es durchaus Sinn, eine mögliche Wirksamkeit von medizinischen Rachenspüllösungen zu untersuchen. Virologen aus Deutschland, unter anderem auch aus Ulm, haben verschiedene handelsübliche Mundspüllösungen auf ihre virusinaktivierende Wirkung im Laborexperiment untersucht. Dabei wurde bei einigen Präparaten eine erhebliche Virusinaktivierung (um mehr als 99,9 Prozent) festgestellt. An Menschen fanden noch keine Untersuchungen statt. Ich halte es für möglich, dass ein Infizierter durch regelmäßige Anwendung einer solchen Mundspüllösung seine Virusausscheidung vermindern kann. Daten zur tatsächlichen Wirksamkeit von häufigem Mundspülen mit desinfizierenden Lösungen beim Menschen und zur Verminderung der Virusübertragung kenne ich noch nicht.
Deutsche Forscher haben einen auf dem Masernvirus basierenden Impfstoffkandidaten gegen SarsCoV-2 entwickelt. Könnte es also sein, dass es schon bald einen Impfstoff gibt, der sowohl gegen Masern als auch gegen Covid-19 wirkt?
Bei den sogenannten Vektorimpfstoffen werden verschiedene Viren als mögliche Vektoren untersucht. So zum Beispiel Adenoviren von Mensch und Tier, modifizierte Pockenviren und unter weiteren auch das Masernimpfvirus. Dieser Ansatz wird derzeit von mehreren Forschergruppen untersucht. Der Charme dieses Vorgehens besteht zunächst darin, dass das Masernimpfvirus ein sehr gut untersuchtes und für die Anwendung am Menschen weltweit zugelassenes Impfvirus ist. Darüber hinaus ist das Masernvirus, wie das Sars-CoV-2 ein RNA-Virus, was die Sache etwas erleichtert. Die Forscher haben nun dem Masernimpfvirus versuchsweise an verschiedenen Stellen seines RNAGenoms die zusätzliche Information für das Sars-CoV-2 Spike Glykoprotein eingebaut. In Mausexperimenten konnten sie danach bislang zeigen, dass mit diesen „Hybridviren“eine entsprechende Antikörperproduktion und auch spezifische T-Zellen hervorgerufen werden konnten. Tatsächlich könnte man durch ein Impfvirus gleich gegen zwei Krankheitserreger impfen. Ein Problem könnte sich allerdings aus der Tatsache ergeben, dass viele Menschen ja bereits Antikörper gegen das Masernvirus besitzen und deshalb eine weitere Impfung mit einem derartigen „Hybridvirus“nicht mehr so gut funktioniert.