Wenig Hoffnung auf vollen Präsenzunterricht im neuen Jahr
Verlängerung des Lockdowns mit Einschränkungen an Schulen und Kitas droht – Entscheidung in Baden-Württemberg fällt am 5. Januar
(dpa) - Lehrervertreter machen wenig Hoffnung auf eine Rückkehr zu einem normalen Schulbetrieb nach den Weihnachtsferien. „Auch wir rechnen nicht damit, dass vollständiger Präsenzunterricht ab dem 11. Januar wieder möglich ist“, sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger der Deutschen Presse-Agentur. Abhängig vom Corona-Infektionsgeschehen werde es weiterhin eine Phase des Wechselunterrichts mit halbierten Klassen, Hybridunterricht oder auch Phasen des reinen Distanzunterrichts geben müssen.
In Baden-Württemberg soll die Entscheidung über den Weiterbetrieb der Schulen erst wenige Tage vor dem Ende der Weihnachtsferien fallen. Südwest-Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) will zunächst die Konferenz der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am 5. Januar abwarten. „Unser grundsätzliches Ziel ist, so viel Präsenzunterricht wie möglich anzubieten“, erklärte die Ministerin. Denkbar ist, dass der Lockdown verlängert wird, sollten die Infektionszahlen
nicht deutlich sinken. Eisenmann betonte: „Der Lernerfolg ist im Präsenzunterricht am größten. Zudem dürfen wir soziale und psychologische Aspekte nicht vergessen. Schule gibt Kindern und Jugendlichen gerade in der schwierigen Pandemiesituation Struktur und Halt.“Das Ministerium bereite ein Konzept für den Wiedereinstieg nach dem 10. Januar vor. „Dieses Konzept soll ein flexibles Handeln ermöglichen, je nach regionaler Infektionslage und nach Alter der Kinder.“Dies habe sie den Schulen am Montag in einem Schreiben mitgeteilt. Darin informierte die Ministerin auch darüber, dass die Halbjahreszeugnisse diesmal nicht schon zum 10. Februar ausgegeben werden müssen, sondern bis Ende des Monats Zeit ist.
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe, geht von weiter steigenden Infektionszahlen aus. „Also ist auch zu befürchten, dass es mit dem Wechselunterricht länger dauern wird“, sagte sie. Ihrer Ansicht nach muss es nach den Ferien an den Schulen zunächst in einem solchen Wechselbetrieb weitergehen – also mit Klassenteilung und abwechselndem Unterricht in der Schule und zu Hause. Viele Lehrkräfte hätten damit inzwischen sehr gute Erfahrungen gemacht, sagte Tepe.
Vereinzelt gab es bereits Aussagen dazu, wie es in den Ländern im neuen Jahr weitergehen könnte. So plant etwa Niedersachsen ab 11. Januar bis zum Halbjahresende am 31. Januar für die Klassen 5 bis 12 mit Wechselunterricht, für die Abiturklassen und Grundschulen mit Präsenzunterricht, allerdings für alle Schüler mit Maske im Unterricht. NordrheinWestfalens Schulministerin Yvonne
Gebauer (FDP) bereitete die Schulen in einem Brief kurz vor Weihnachten auf drei verschiedene Szenarien im neuen Jahr vor. In dem Stufenmodell würde es im günstigsten Fall landesweiten Präsenzunterricht geben. Auch Gebauer verwies aber zunächst auf die Beratungen der Länder mit Merkel am 5. Januar.
Alles hängt an der Entwicklung der Infektionszahlen. Gehen die nicht runter, werden viele berufstätige Eltern im neuen Jahr wieder vor den inzwischen altbekannten Problemen stehen: Wer soll auf die Kinder aufpassen, wenn diese zu Hause bleiben müssen? Wie soll es mit dem Homeoffice klappen, wenn man sich tagsüber auch um den Nachwuchs kümmern muss? Für Schüler und Lehrer stellt sich außerdem die Frage, ob und wie es inzwischen mit dem Fernunterricht funktioniert. Und immer wieder wird auch die Befürchtung geäußert, dass benachteiligte Kinder durch fehlende Bildungs- und Betreuungsangebote weiter abgehängt werden.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek rief dazu auf, in den kommenden Monaten besonders auf die schwächeren Schüler zu achten.
„Was mir die größten Sorgen macht, ist die Frage, ob die Schülerinnen und Schüler, die ohnehin schon Probleme in der Schule hatten, in ihrer Entwicklung in den vergangenen Monaten noch weiter zurückgefallen sind“, sagte die CDU-Politikerin.
Bei den Schulschließungen im Frühjahr galt vielerorts noch das Prinzip Aufgabenzettel. Inzwischen wurden bedürftige Schüler zwar mit Leihlaptops ausgestattet, aber vor Weihnachten hatte sich gezeigt, dass es trotzdem noch große Probleme mit dem sogenannten Homeschooling gibt: In mehreren Bundesländern waren zum Start des Lockdowns die digitalen Lernplattformen überlastet und ausgefallen. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) und auch Familienministerin Franziska Giffey (SPD) hatten zuletzt versichert, Schulen und Kitas würden die ersten Orte sein, die wieder aufmachen. Aber eine klare Prognose kann derzeit keiner geben.
Die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Katja Suding, forderte die Kultusminister der Länder dazu auf, „bis zum 10. Januar jeden einzelnen Tag zu nutzen, um langfristige Strategien für den Unterricht
unter Corona-Bedingungen zu entwickeln“. Die Minister müssten alles dafür tun, möglichst flächendeckend mit geeigneten Schutz- und Hygienemaßnahmen den Präsenzunterricht sicherzustellen.
Das Thema gehört zu den umstrittensten in dieser Pandemie. Politisch war im Sommer die Devise ausgegeben worden, möglichst nicht wieder Schulen und Kitas zu schließen oder in einen Schichtbetrieb zu wechseln wie in der ersten Corona-Welle, mit Verweis auf drohende Bildungsverluste und soziale Nachteile für Kinder und Schüler. Bis Mitte Dezember war das weitgehend durchgehalten worden. Je mehr die Infektionszahlen stiegen, desto lauter wurde aber auch die Kritik von Bildungsgewerkschaften, dass der Gesundheitsschutz von Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern nicht genug berücksichtigt werde.
Die Stimmung sei geteilt, sagte GEW-Chefin Marlis Tepe. „Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die sind extrem besorgt, haben Wut und fühlen sich im Grunde genommen auch verraten, weil sie das Gefühl haben, der Staat nimmt seine Fürsorgepflicht nicht wahr.“