Plötzlich viel mehr Zeit fürs Kind
Das Wunder der Geburt in der Pandemie: Was Eltern und Pflegekräfte jetzt erleben
- „Ein Kind ist sichtbar gewordene Liebe.“Das hat Novalis gesagt, ein Schriftsteller und Dichter der Frühromantik. Die Geburt selbst ist weniger romantisch. Sie ist vor allem aufregend. Welche Sorgen haben werdende Eltern in Zeiten wie diesen? Was erleben Pflegekräfte in der Pandemie?
Claudia Schwabe geht es gut. Und dem kleinen Frederik auch. Die Ellwangerin hat am 14. Dezember entbunden. Wenige Tage, nachdem der Lockdown verkündet worden war. Angst vor einer Ansteckung hatte sie nicht. Dass sie nicht wusste, ob ihr Mann Dominik bei der Geburt dabei sein darf, war das Einzige, was sie wirklich aufgeregt hat, wie sie erzählt.
So geht es vielen Eltern. Das bestätigen Schwester Martina Ernsperger und Schwester Roswitha Vierkorn. Was genau ist seit Corona anders? „Der ganze Ablauf hat sich geändert“, sagt Schwester Martina. Bei jeder stationären Aufnahme wird ein Schnelltest gemacht. Was für die Geburtshilfe gilt, gilt freilich für die gesamte St.-Anna-Virngrund-Klinik.
Tatsächlich wurden sogar schon werdende Mütter positiv getestet, wie Schwester Martina bestätigt. Sie wurden deshalb nach Aalen verlegt. Die dortige Kinder- und Jugendklinik hat mehr Möglichkeiten als die Geburtsklinik in Ellwangen, wie die leitende Hebamme erläutert.
Natürlich wird auch bei den Vätern ein Corona-Abstrich gemacht. Sonst dürfen sie bei der Geburt nicht dabei sein und die Mütter auch nicht besuchen. Das sind die größten Ängste, wie Schwester Martina festgestellt hat. Nach ihrer Beobachtung wollen die Frauen auch schneller wieder heim, „Zwei, drei Tage – dann sind sie zu Hause.“
Eine Stunde Besuchszeit am Tag. Mehr ist nicht drin. Und das auch nur für die Väter. Und nur, wenn der Test negativ war. Sonst darf niemand kommen. Nicht einmal die Geschwisterkinder. Es gibt nur eine Ausnahme: Wenn ein Familienzimmer frei ist, können sich Väter mit einquartieren.
Corona verunsichert die Menschen. Und bei werdenden Eltern kommt die Sorge um das ungeborene Kind dazu. „Aber wenn der Schnelltest negativ ist, schnaufen sie schon auf“, sagt Schwester Martina. Das beruhigt die Eltern. Das ist der große Unterschied zum März und April. Deshalb ist in der Ellwanger Geburtsklinik trotz des Lockdowns alles „relativ entspannt“.
Letztlich, sagt Schwester Martina, könne man eine Ansteckung aber nie ganz ausschließen. Zum Beispiel wenn Mutter und Kind zu Hause Besuch bekämen. Ins Haus kommt zur Nachsorge auch die Hebamme. Mit ihr könne sich die Mutter besprechen. Auch in Sachen Corona.
Schwester Roswitha sieht das Ganze positiv. So seien überwiegend auch die Rückmeldungen, sagt sie. Die Mütter genießen die Ruhe und die Zeit mit dem Neugeborenen. „Die Familien sagen, es klopft nicht ständig jemand an der Tür und stört.“Schwester Roswitha zufolge gibt es viel weniger Stillprobleme, weil Mutter und Kind mehr Zeit füreinander haben. Und ganz nebenbei kann so auch das Personal in Ruhe arbeiten.
Schwester Roswitha glaubt, dass sich die Familien jetzt viel mehr über das neugeborene Kind freuen können. Und Freude soll ja auch Abwehrkräfte verleihen. Klar müsse man die Regeln einhalten, sagt die Leiterin von Station 5, aber die Einstellung mache eben auch was aus. Und: „Ängste sind für die Mutter und das Kind nicht gut.“
Und Corona? Ist die Pandemie denn gar kein Thema im Krankenhaus? Doch. Es wird darüber gesprochen, „was draußen läuft“, sagt Schwester Roswitha. Aber drinnen geht es vor allem ums Kind. Dass es gesund ist. Und gesund bleibt. Dass es mit dem Stillen klappt. „Das hat sich mit Corona nicht geändert.“
Schwester Martina arbeitet seit 40 Jahren in der Geburtshilfe in Ellwangen. Zuerst in der Anna-Klinik. Auch Schwester Roswitha hat 1986 dort angefangen. Sie wünscht sich, dass der Pflegeberuf aufgewertet wird. Auch finanziell. „Was hier gerade geschafft wird, sollte mal oben ankommen.“
Die Arbeit ist nach ihren Worten nur deshalb zu schaffen, weil sich die
Kolleginnen und Kollegen gegenseitig den Rücken stärken. Trotz der Sparzwänge und der Bürokratie, der Wochenend- und Nachtschichten und der Erschwernisse durch die Pandemie: Für Schwester Roswitha ist es nach wie vor „ein toller Beruf“in einem „tollen Team“.
Und wie ist Claudia Schwabes persönliche Weihnachtsgeschichte ausgegangen? Mit Happy-End. Ihr Mann Dominik durfte sie nach langem Hin und Her und großer Unsicherheit begleiten. „Wir haben es erst am Abend zuvor erfahren.“
Das war am Sonntag. Am Montag um 9.30 Uhr kam dann der kleine Frederik zur Welt. Per Kaiserschnitt.
Mit seinen 53 Zentimetern und 3580 Gramm war er ein „kleiner Brocken“, scherzt die Mama.
Claudia Schwabe musste nach der Geburt Mundschutz tragen. Das Personal sowieso. Aber sie hat sich im Krankenhaus immer wohl gefühlt und gut aufgehoben, wie sie erzählt. Hin und wieder war ihr „ein bissle“langweilig. Dafür war es „angenehm“, Zeit für sich zu haben. Und für ihren Frederik. Das hat sie genossen.
Bei Benno war das noch ganz anders. Als Frederiks großer Bruder im Februar 2018 geboren wurde, hatte Claudia Schwabe „ganz viel Besuch“. Sie hatte kaum Zeit fürs Kind. Und für sich, um auszuruhen. „Es war ein Kommen und Gehen.“Diesmal war nur ihr Mann Dominik da.
Und wie feiern Schwabes Weihnachten? Daheim in Schleifhäusle. Eine schöne Umgebung für Kinder, wie die Mama bestätigt. Die Omas feiern mit. Der Gottesdienstbesuch hat eigentlich Tradition. Diesmal verzichtet die Familie. Aber der Gottesdienst wäre durchs Stillen sowieso ausgefallen, wie Claudia Schwabe erzählt. Also bleibt es beim gemeinsamen Abendessen – Kassler mit Kraut. Danach gibt’s Bescherung.
Schwester Roswitha hat dann übrigens Dienst. Und sie hofft, dass in Ellwangen vielleicht wieder ein Christkind geboren wird.