Aktien ignorieren den Lockdown
An den Börsen wird die Erwartung auf eine Rückkehr zur Normalität gehandelt
- Nachdem die stille Nacht zu Heiligabend aufgrund des notwendigen Lockdowns in Deutschland noch ein bisschen stiller war als bisher, will sich eine Assetklasse partout nicht an die Ausgangsbeschränkungen halten. Die Rede ist von den Aktienmärkten, die den Lockdown global zu ignorieren scheinen – gerade so als hätten sich die Börsen von der Realwirtschaft abgekoppelt. Einmal mehr macht die gegenwärtige Situation für Anleger deutlich, dass an der Börse Erwartungen gehandelt werden.
Ist das der Grund, warum Analysten im Gegensatz zum Frühjahr, als es zum bis dato schnellsten Börsencrash der Geschichte gekommen war, diesmal so gelassen bleiben? „Ein Crash-Winter ist nicht zu befürchten“, versichert jedenfalls Robert Halver, Kapitalmarktstratege der Baader Bank. Dafür stehen die Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung, die die Hoffnung auf Lockdown-Lockerungen ab Frühjahr nähren und damit konjunkturabhängigen Werten Schwung verleihen sollten. Impfstoffe sind in dieser Situation eben das, was man einen konjunkturellen „Game Changer“nennt.
So steigen die Erwartungen, dass die Konjunktur nach einer zwischenzeitlichen Verlangsamung im kommenden Jahr wieder deutlich an Fahrt aufnehmen wird. Und angesichts der oft negativen Renditen am Anleihemarkt bleiben den Anlegern außer Immobilien ohnehin kaum Alternativen als eben Aktien. Aber da auf dem aktuellen hohen Niveau auch bei Aktien wenig zu holen sein dürfte, handeln Anleger gegenwärtig offensichtlich nach dem olympischen Gedanken: Dabei sein ist alles.
Das könnte sich als klug erweisen, nimmt doch der Optimismus allenthalben zu. Dieser basiert stark auf der Erwartung, dass im kommenden
Jahr die Mehrzahl der Weltbevölkerung gegen Covid-19 geimpft sein könnte, wie eine Umfrage der Deutschen Bank unter Finanzmarktexperten ergeben hat. Und so haben in Europa die Analysten ihre Gewinnerwartungen für die Sektoren Automobile (plus 7,6 Prozent), Banken (2,2 Prozent) und Einzelhandel (1,3 Prozent) am stärksten angehoben. In den USA führen Grundstoffe (3,6 Prozent) und zyklischer Konsum (3,3 Prozent) das Feld an. Im Gegenzug senkten die Experten ihre womöglich etwas zu hohen Erwartungen für europäische IT-Konzerne um 4,3 Prozent.
In Europa darf man darüber hinaus mit den Auswirkungen des kürzlich beschlossenen EU-Wiederaufbaufonds rechnen. Zwar werden im zweiten Halbjahr 2021 zunächst wohl nur zehn Prozent der insgesamt vorgesehenen 750 Milliarden Euro fließen. Der Löwenanteil wird auf die Jahre 2022 bis 2025 verteilt. Doch wenn dieser Schub aus Zuschüssen und Krediten auf eine impfstoffbasierte Konjunkturerholung trifft, kann der Aufschwung in der EU über das kommende Jahr hinaus anhalten. „Und das erhöht auch die Chancen für eine Fortsetzung der Hausse an den europäischen Aktienmärkten“, sagt Dirk Steffen, Leiter Kapitalmarktstrategie der Deutschen Bank.
Überraschend gut ist die Stimmung auch im Dienstleistungssektor, der besonders stark unter den Coronavirus-Beschränkungen zu leiden hat. Summa summarum erwartet daher das Research-Team der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) für 2021 einen Zuwachs der Weltproduktion von fünf Prozent. Die Verluste aus der Rezession im Zuge der grassierenden Corona-Pandemie und aufgrund der Maßnahmen zu deren Eindämmung werden damit noch nicht aufgeholt. Bis es soweit ist, muss man sich wohl in den meisten Fällen bis zum übernächsten Jahr gedulden. „Aber die Corona-Abwärtsspirale lässt sich durchbrechen“, ist sich Uwe Burkert, Chefvolkswirt der LBBW, sicher.
Neben der grundsätzlichen Erwartung besserer Zeiten spielt eine wichtige Rolle, dass die deutschen Privathaushalte dabei sind, hohe Summen auf die hohe Kante zu legen. Noch 2019 lag die Sparquote bei 10,9 Prozent. Heute sparen die Deutschen von 100 verfügbaren Euro 16 – soviel wie seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr. Das sind zum einen Vorsichtsmaßnahmen, zum anderen aber bedeutet dies auch aufgeschobenen Konsum.
Ein Teil dieser höheren Sparsumme dürfte den Weg an die Aktienmärkte finden – etwa im Rahmen von Sparplänen. Vor diesem Hintergrund traut das Research-Team der LBBW dem Deutschen Aktienindex 14 500 Punkte zu, dem Dow Jones gar 32 500. „Damit steht uns ein solides Aktienjahr bevor“, prognostiziert Halver von der Baader Bank.