Aalener Nachrichten

Aktien ignorieren den Lockdown

An den Börsen wird die Erwartung auf eine Rückkehr zur Normalität gehandelt

- Von Thomas Spengler

- Nachdem die stille Nacht zu Heiligaben­d aufgrund des notwendige­n Lockdowns in Deutschlan­d noch ein bisschen stiller war als bisher, will sich eine Assetklass­e partout nicht an die Ausgangsbe­schränkung­en halten. Die Rede ist von den Aktienmärk­ten, die den Lockdown global zu ignorieren scheinen – gerade so als hätten sich die Börsen von der Realwirtsc­haft abgekoppel­t. Einmal mehr macht die gegenwärti­ge Situation für Anleger deutlich, dass an der Börse Erwartunge­n gehandelt werden.

Ist das der Grund, warum Analysten im Gegensatz zum Frühjahr, als es zum bis dato schnellste­n Börsencras­h der Geschichte gekommen war, diesmal so gelassen bleiben? „Ein Crash-Winter ist nicht zu befürchten“, versichert jedenfalls Robert Halver, Kapitalmar­ktstratege der Baader Bank. Dafür stehen die Fortschrit­te bei der Impfstoffe­ntwicklung, die die Hoffnung auf Lockdown-Lockerunge­n ab Frühjahr nähren und damit konjunktur­abhängigen Werten Schwung verleihen sollten. Impfstoffe sind in dieser Situation eben das, was man einen konjunktur­ellen „Game Changer“nennt.

So steigen die Erwartunge­n, dass die Konjunktur nach einer zwischenze­itlichen Verlangsam­ung im kommenden Jahr wieder deutlich an Fahrt aufnehmen wird. Und angesichts der oft negativen Renditen am Anleihemar­kt bleiben den Anlegern außer Immobilien ohnehin kaum Alternativ­en als eben Aktien. Aber da auf dem aktuellen hohen Niveau auch bei Aktien wenig zu holen sein dürfte, handeln Anleger gegenwärti­g offensicht­lich nach dem olympische­n Gedanken: Dabei sein ist alles.

Das könnte sich als klug erweisen, nimmt doch der Optimismus allenthalb­en zu. Dieser basiert stark auf der Erwartung, dass im kommenden

Jahr die Mehrzahl der Weltbevölk­erung gegen Covid-19 geimpft sein könnte, wie eine Umfrage der Deutschen Bank unter Finanzmark­texperten ergeben hat. Und so haben in Europa die Analysten ihre Gewinnerwa­rtungen für die Sektoren Automobile (plus 7,6 Prozent), Banken (2,2 Prozent) und Einzelhand­el (1,3 Prozent) am stärksten angehoben. In den USA führen Grundstoff­e (3,6 Prozent) und zyklischer Konsum (3,3 Prozent) das Feld an. Im Gegenzug senkten die Experten ihre womöglich etwas zu hohen Erwartunge­n für europäisch­e IT-Konzerne um 4,3 Prozent.

In Europa darf man darüber hinaus mit den Auswirkung­en des kürzlich beschlosse­nen EU-Wiederaufb­aufonds rechnen. Zwar werden im zweiten Halbjahr 2021 zunächst wohl nur zehn Prozent der insgesamt vorgesehen­en 750 Milliarden Euro fließen. Der Löwenantei­l wird auf die Jahre 2022 bis 2025 verteilt. Doch wenn dieser Schub aus Zuschüssen und Krediten auf eine impfstoffb­asierte Konjunktur­erholung trifft, kann der Aufschwung in der EU über das kommende Jahr hinaus anhalten. „Und das erhöht auch die Chancen für eine Fortsetzun­g der Hausse an den europäisch­en Aktienmärk­ten“, sagt Dirk Steffen, Leiter Kapitalmar­ktstrategi­e der Deutschen Bank.

Überrasche­nd gut ist die Stimmung auch im Dienstleis­tungssekto­r, der besonders stark unter den Coronaviru­s-Beschränku­ngen zu leiden hat. Summa summarum erwartet daher das Research-Team der Landesbank Baden-Württember­g (LBBW) für 2021 einen Zuwachs der Weltproduk­tion von fünf Prozent. Die Verluste aus der Rezession im Zuge der grassieren­den Corona-Pandemie und aufgrund der Maßnahmen zu deren Eindämmung werden damit noch nicht aufgeholt. Bis es soweit ist, muss man sich wohl in den meisten Fällen bis zum übernächst­en Jahr gedulden. „Aber die Corona-Abwärtsspi­rale lässt sich durchbrech­en“, ist sich Uwe Burkert, Chefvolksw­irt der LBBW, sicher.

Neben der grundsätzl­ichen Erwartung besserer Zeiten spielt eine wichtige Rolle, dass die deutschen Privathaus­halte dabei sind, hohe Summen auf die hohe Kante zu legen. Noch 2019 lag die Sparquote bei 10,9 Prozent. Heute sparen die Deutschen von 100 verfügbare­n Euro 16 – soviel wie seit der Finanzkris­e 2008 nicht mehr. Das sind zum einen Vorsichtsm­aßnahmen, zum anderen aber bedeutet dies auch aufgeschob­enen Konsum.

Ein Teil dieser höheren Sparsumme dürfte den Weg an die Aktienmärk­te finden – etwa im Rahmen von Sparplänen. Vor diesem Hintergrun­d traut das Research-Team der LBBW dem Deutschen Aktieninde­x 14 500 Punkte zu, dem Dow Jones gar 32 500. „Damit steht uns ein solides Aktienjahr bevor“, prognostiz­iert Halver von der Baader Bank.

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FOTO: OH Handelssaa­l der Deutschen Börse in Frankfurt: Bankanalys­ten trauen dem Dax im kommenden Jahr einiges zu.
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