Das seltsamste Final Four aller Zeiten
Handball-Rekordmeister Kiel geht mit großen Nachteilen in die verschobene Champions-League-Endrunde in Köln
(SID/dpa) - Der verspätete Kampf um Europas Handball-Thron ist auch für einen so erfahrenen Mann wie Patrick Wiencek völliges Neuland. „Nichts ist normal derzeit“, sagte der Nationalspieler des THW Kiel vor dem bisher wohl verrücktesten Finalturnier der Champions League, bei dem der Rekordmeister einen Fluch bannen will. Sechs Jahre nach dem bislang letzten deutschen Triumph soll in Köln wieder ein BundesligaTeam jubeln.
„Wir sind extrem heiß“, versicherte Wiencek vor dem Halbfinale gegen das ungarische Topteam Veszprem HC am Montag (20.30 Uhr/DAZN und Eurosport). 304 Tage, fast ein Jahr, liegt das letzte THW-Spiel in der Vorsaison der Champions League dann zurück. Wegen der Corona-Pandemie wurde das „Final4“der Spielzeit 2019/ 20 gleich zweimal verlegt, für den THW und Wiencek bietet es jetzt eine historische Chance.
Erstmals werden innerhalb einer Saison zwei Titel in der Champions League ausgespielt. Jetzt im Dezember, dann wieder „regulär“im Juni. „Sehr seltsam“sei das, sagte Wiencek auch mit Blick auf die Tatsache, dass die sonst frenetisch feiernden 20 000 Fans aus der Arena ausgeschlossen sein werden.
Es ist nicht die einzige Kuriosität des Turniers, auch Sander Sagosen personifiziert eine solche. Der Ausnahmespieler, der im Sommer von Paris St. Germain nach Kiel wechselte, könnte im Finale auf seinen Ex-Verein treffen – also jenen Club, dem er noch selbst zum Sprung in das Finalturnier verholfen hatte. „Das ist schon ein bisschen komisch“, sagte der Norweger.
Gedanklich hat der THW-Star mit seiner Zeit bei PSG, das am Montag (18 Uhr) gegen Topfavorit FC Barcelona das erste Ticket für das Endspiel am Dienstag ausspielt, aber abgeschlossen. „Mein Traum ist es, mit Kiel diesen Titel zu holen. Ich glaube, dass wir etwas Großes schaffen können“, betonte Sagosen. Für den gehypten Rückraumspieler wäre es der erste Triumph in der Königsklasse, für Kiel der vierte.
Als Favorit gelten die Zebras aber nicht. Kiel fehlen in Nikola Bilyk, Magnus Landin und Pavel Horak drei wichtige Spieler. Zudem abslovierte Kiel seit dem Corona-Restart bereits 21 Spiele, die meisten aller „Final4“Teilnehmer. „Ich traue dem THW einiges zu, aber sie haben von allen Mannschaften die denkbar schlechteste Ausgangsposition: viel mehr Belastung
als die anderen, eine Reihe verletzter und erkrankter Spieler. Sie sind nicht in der Favoritenrolle“, sagt
Bundestrainer Alfred Gislason. Gegen Veszprem (33:41) und Barcelona setzte es diese Saison bereits deutliche Pleiten. Der THW klammert sich daher an die Geschehnisse der Vorjahre, die nach Meinung von Kiels Geschäftsführer Viktor Szilagyi zeigten, dass „traditionell nie der große Favorit den Titel gewonnen hat“. Ein Sieg wäre auch finanziell wertvoll: Dem Gewinner winken 500 000 Euro.
Das Finalturnier ist der Auftakt hochspannender Wochen im Handball. Bereits Mitte Januar startet in Ägypten die Mega-WM mit 32 Teams, davor stehen noch Termine in der EMQualifikation an. Ein Mammut-Programm. Wiencek winkt immerhin eine Auszeit. Der Kieler verzichtet wie seine Teamkollegen Hendrik Pekeler und Steffen Weinhold aus familiären Gründen auf die WM.