Der Wasseralfinger Pfarrer Harald Golla blickt auf sein Corona-Jahr zurück.
Harald Golla in Wasseralfingen: Wie ein Pfarrer das Corona-Jahr 2020 erlebt hat
- Die ausgefallenen Höhepunkte und Feste im Kirchenjahr, das zeitweise Verbot, überhaupt Gottesdienste feiern zu dürfen, die fehlende Nähe zu den Menschen, dafür Lockdown, Distanz und Bedrohung, Ängste vor einer Krankheit, die im schlimmsten Fall Menschen das Leben kostet: Harald Golla hat das Corona-Jahr 2020 seit März als Pfarrer und Seelsorger, aber auch als Privatmensch intensiv und mit vielen Facetten erlebt. „Ich habe großen Respekt vor dieser Krankheit“, sagt der 55-Jährige. Der zugleich genauso unmissverständlich deutlich macht, dass er für das Verhalten und die Gedanken von Gruppierungen wie den „Querdenkern“absolut gar nichts übrig hat.
Von der Taufe bis zum Tod, von der Erstkommunion bis zur Hochzeit – schon von Berufs wegen ist Harald Golla Begleiter der wichtigsten und emotionalsten Ereignisse in fast jeder Lebensphase vieler Menschen. Seit Corona war und ist alles anders. „Mir hat jede Absage leid getan“, sagt Golla. Und denkt an die ins nächste Jahr verschobenen Taufen, Hochzeiten, Erstkommunion- und Firmungsfeiern, an alle ausgefallenen Kirchenfeste und Gemeinsamkeiten, die ein Gemeindeleben erst ausmachen. Richtig belastet habe ihn aber alles, was mit Tod, Trauer und Abschiednehmen zu tun habe. „Der Tod lässt sich nicht verschieben“, meint Golla. Und wenn bei einer Beisetzung wegen der Beschränkung der Zahl der Trauergäste ein Teil der Familie außerhalb der Friedhofsmauer bleiben müsse, „dann tut das richtig weh“.
Privat hat den Pfarrer der katholischen Seelsorgeeinheit Wasseralfingen-Hofen am meisten belastet, dass er seine Mutter im Altenheim Marienhöhe über viele Wochen nicht besuchen konnte, was er sonst in der Regel täglich tut. Und sie sich dann auch noch mit Covid 19 infiziert hat. „Diese Monate der Isolation waren sehr schmerzhaft und die Zeit ihrer Erkrankung war eine große Sorge für mich“, räumt Golla ein. Seine Mutter überstand die Krankheit relativ gut, „ich aber habe, auch nach vielen und intensiven Gesprächen mit Ärzten und Pflegepersonal, großen Respekt vor dieser Krankheit“, sagt Golla. Der ziemlich am Anfang des ersten Lockdowns selbst 14 Tage lang in Quarantäne musste, weil es im privaten Umfeld einen Corona-Fall gab. „Ich habe dabei gemerkt, dass ich selbst dafür ziemlich privilegiert bin“, erinnert sich Golla zurück. Ein großes Pfarrhaus, das eigene Büro darin und die Tatsache, „dass ich mit mir selber immer etwas anfangen kann“– langweilig sei es ihm nie geworden. Auch wenn jemanden wie ihn, der gerne und viel plane, „Unplanbarkeit“sehr viel Energie koste. Golla hat aber viele Beobachtungen und sich selbst auch viele Gedanken gemacht.
„Ich bin froh, in Deutschland leben zu können. Ich bin froh, dass wir eine nüchterne Physikerin als Kanzlerin haben und keinen durchgeknallten Politiker wie Trump oder Bolsonaro, die vielen Menschen das Leben gekostet haben“, nimmt Golla kein Blatt vor den Mund. Froh sei er auch um all die hochkarätigen Wissenschaftler und Virologen, „die sich damit auskennen“. Google, so sagt er, sei für ihn kein Ersatz für sie. „Ich habe Verständnis für alle Menschen, die sich ernsthaft Sorgen machen“, meint Golla weiter, er habe aber kein Verständnis für Menschen wie die „Querdenker“. Denen schreibt er eine absolut egoistische Sichtweise zu, manchmal müsse in der Demokratie auch die Mehrheit vor einer Minderheit beschützt werden. „Glaube und Christsein haben nichts mit Dummheit, mit Egoismus und Wirklichkeitsverleugnung zu tun“, sagt Golla weiter. Vielmehr sei es Aufgabe eines Christen, die Realität zu sehen, sie anzuerkennen und im Vertrauen auf Gott zu schauen, „was ich tun kann“. Und als geradezu „irrsinnig“erscheint es Golla, dass all die heftigen Proteste und Demonstrationen in einem Land stattfinden, „das bisher so gut durchgekommen ist“.
Golla hält auch nichts davon, die Pandemie als Chance zu sehen. „Schlechtes muss man nicht schönreden“, sagt der Theologe, der im kommenden Jahr als neuer Pfarrer in die Seelsorgeeinheit Virngrund wechseln wird. Und alle Einschränkungen sind für ihn „die Notwendigkeit, dass es nicht noch mehr Übel gibt“. Insofern hat der Glaube für ihn auch mit Verantwortung, Solidarität und Rücksichtnahme zu tun. „Das Vertrauen in Gott ist aber kein Ersatz für ein eigenverantwortliches Handeln“, macht Golla deutlich.
Als leitender Pfarrer ist Golla dafür verantwortlich, wie die Seelsorgeeinheit mit ihren beiden Kirchengemeinden als Ganzes mit der Corona-Pandemie, mit allen Anordnungen von Staat und Diözese umgeht. „Ich bin gottfroh, dass wir uns im Pastoralteam zusammen mit den Gewählten Vorsitzenden der beiden Kirchengemeinderäte in den Grundsatzentscheidungen immer einig waren“, sagt Golla. Gerade das Pastoralteam habe er als „unglaublich wichtige Ergänzung“erlebt, vor allem auch im Bereich der sozialen Medien. Und er sei davon überzeugt, „dass 99 Prozent der Gemeindemitglieder das akzeptieren, was wir tun“. Obwohl alle gemeinsam hätten lernen müssen, dass auch im kirchlichen Leben vieles plötzlich einfach ganz anders sei als es bisher war.
In der jetzigen Form, so Golla, seien etwa die Gottesdienste schon „reduziert“. „Ich will mich nicht daran gewöhnen“, es sei aber notwendig. Dass plötzlich Menschen da seien, die Verantwortung übernehmen, etwa für die musikalische Gestaltung der Gottesdienste oder für Ordnerdienste, freut den Pfarrer ausdrücklich. Andere Bereiche wie etwa die Seniorenarbeit seien seit März völlig ausgefallen. In der Wasseralfinger Stephanusgemeinde kommt derzeit erschwerend hinzu, dass die Pfarrkirche noch bis Ende Januar wegen Renovierungsarbeiten geschlossen ist und das Gemeindezentrum Sängerhalle als Ersatz dient. Was wiederum eine anderweitige Nutzung einschränkt. An die Zeit, in der gar keine Gottesdienste stattfinden durften, erinnert sich Golla ungern. „Es war für mich extrem ungewohnt, am Sonntagvormittag keinen Gottesdienst feiern zu können. Da hatte ich meinen Pfarrer-Blues“, sagt er. Außerdem hätten ihm schlichtweg die Menschen gefehlt, die normalerweise in die Kirche kommen. „Mein Beruf lebt vom persönlichen Kontakt“, meint Golla weiter. Er habe zwar mit vielen „telefoniert wie der Weltmeister, aber das ist kein Ersatz“.
Deshalb geht es dem Pfarrer nicht anders als seinen Schäfchen. „Viele Menschen haben einfach Sehnsucht, wieder Gemeinschaft erleben zu können“, sagt Golla. Auch er sehne sich nach einem Miteinander und danach, „einfach wieder jemanden in den Arm nehmen zu können“. Wie wird es aber tatsächlich weitergehen in absehbarer Zeit? „Wir müssen schauen, was sein wird“, sagt Harald Golla mit einer fast schon abgeklärten Gelassenheit. Um aber doch noch zwei Dinge für die kommenden Wochen und vielleicht Monate nachzuschieben. „Wir vergessen immer wieder, was der Wert eines Menschenlebens ist“, meint er. Der sei nicht in Zahlen aufzurechnen, „und ich finde es gut, dass die Ärzte jedes Menschenleben retten wollen“. Menschenleben gegeneinander aufzuwiegen, „das wäre katastrophal und brutalster Sozialdarwinismus“. Nicht mehr abfinden will sich Golla auch mit dem Begriff systemrelevant. „Jeder Mensch ist systemrelevant, vom Kleinkind bis zum Senior“, sagt Golla. Die Einteilung in systemrelevante und nicht systemrelevante Menschen oder Gruppen spalte und schaffe Ungerechtigkeiten – und sei aus christlicher Sicht heraus deshalb absolut nicht zulässig.
„Das Vertrauen in Gott ist kein Ersatz für ein eigenverantwortliches Handeln.“
Zwischen den Jahren stellen die „Aalener Nachrichten / Ipf- und Jagst-Zeitung“in der Serie Corona-Helden Menschen vor, die in Zeiten der Corona-Pandemie an vorderster Front stehen und die unseren Dank und Respekt verdient haben.