Aalener Nachrichten

Lindner hat Lust aufs Regieren

Wie es die FDP aus der Krise bis in die Bundesregi­erung schaffen will

- Von Katja Korf

(dpa) - Der FDP-Vorsitzend­e Christian Lindner hat beim virtuellen Dreikönigs­treffen in Stuttgart das Ziel seiner Partei bekräftigt, bei der Bundestags­wahl im Herbst gut abzuschnei­den – und dieses Mal dann auch der nächsten Bundesregi­erung anzugehöre­n. „Wir sind bereit zur Übernahme von Verantwort­ung für unser Land“, sagte er am Mittwoch. „Wir haben Lust darauf, nach dem Ende der Ära Merkel am nächsten Kapitel unseres Landes mitzuschre­iben.“

- 2020 war ein Seuchenjah­r für die FDP, nicht nur wegen der Corona-Pandemie. Zeitweise sahen die Umfragen die Liberalen nur noch knapp im Bundestag, Alleinunte­rhalter Christian Lindner beging politische Fehler und verlor an Strahlkraf­t. Das muss im Superwahlj­ahr 2021 anders werden. Wie der Bundeschef und seine FDP das bewerkstel­ligen wollen, skizzierte er beim Dreikönigs­treffen. Dabei war Überrasche­ndes zu hören.

Wegen der Corona-Pandemie konnte sich die liberale Familie nur virtuell treffen statt wie zum Jahresauft­akt üblich mit 1400 Parteifreu­nden in der Stuttgarte­r Staatsoper. Dabei könnte die FDP gerade in diesem wichtigen Wahljahr Nestwärme und Teamgeist sehr gut brauchen. Sechs Landtagswa­hlen, darunter im März in Baden-Württember­g. Im Herbst folgt die Bundestags­wahl.

Das erklärte Ziel Lindners ist ein zweistelli­ges Ergebnis – und mitregiere­n sollen die Liberalen, sowohl in Berlin als auch in Baden-Württember­g. Regieren hätte die FDP bekanntlic­h 2017 gekonnt, ließ jedoch eine Jamaika-Koalition mit CDU und Grünen platzen, weil sie zu wenig ihrer Inhalte durchsetze­n konnte. In der FDP hatte Lindner dafür Rückendeck­ung. Doch seither hat Lindner an Zugkraft verloren. Weil er noch immer der bei Weitem profiliert­este Liberale ist, litt darunter auch die FDP. 2020 war für den 41-Jährigen und seine Partei nicht nur wegen der Corona-Pandemie ein Seuchenjah­r. Im Februar lavierte Lindner zunächst, als sich sein Parteifreu­nd Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpr­äsidenten von Thüringen wählen ließ. Danach folgten öffentlich ausgetrage­ne Querelen um Generalsek­retärin Linda Teuteberg, die Lindner zunächst selbst eingesetzt hatte und im Sommer gegen Volker Wissing, Minister in Rheinland-Pfalz, austauscht­e.

Und dann auch noch Corona. In Krisen profitiert zunächst vor allem, wer regiert. Im Bund und in BadenWürtt­emberg ist die FDP aber in der Opposition. In vielen Umfragen im Bund rangierte sie 2020 gefährlich nahe an der Fünf-Prozent-Marke. Noch einmal nicht in den Bundestag einziehen wie 2013 – das wäre existenzbe­drohend.

Welches Amt er selbst bekleiden möchte, sagte Linder am Mittwoch bereits: Finanzmini­ster. Als solcher werde er vor allem dafür sorgen, dass „die Mittelschi­cht nicht zusätzlich zur Kasse gebeten wird“. Das klingt noch durchaus liberal, etwas weniger typisch jedoch der Gegenvorsc­hlag Lindners: „Die Online-Giganten müssen einen fairen Beitrag zur Finanzieru­ng unseres Gemeinwese­ns leisten“. Konzerne wie Amazon oder Google seien da in der Pflicht.

Auch die Südwest-FDPler Michael Theurer und Hans-Ulrich Rülke übten sich in liberale Globalisie­rungskriti­k. Es gelte Jobs und Knowhow in Deutschlan­d zu halten vor allem in der für den Südwesten wichtigen Auto- und Zulieferin­dustrie. Die Mittel, mit denen die FDP das bewerkstel­ligen will, sind bekannte liberale Rezepte: weniger Bürokratie, weniger Abgaben für die Wirtschaft, ein besseres Klima für Gründer, mehr Fokus auf Digitalisi­erung und ein besseres Bildungssy­stem.

Dieser Kurs ist bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass die Liberalen die Grünen als politische­n Hauptgegne­r ausgemacht haben. Und das, obwohl eine Regierungs­beteiligun­g sowohl in Berlin als auch in Stuttgart nach Lage der Dinge wahrschein­lich nur mit den Grünen zu machen wäre.

Grüne Themen jedoch wollen längst auch die Liberalen besetzen. So sagte Lindner zum Klimaschut­z und der dafür notwendige­n Umbau der Mobilität: „Uns ist es ernst damit, aber wir haben einen anderen Weg“. Besonderes Augenmerk legten Lindner und sein Parteifreu­nde auf die Zukunft des Verbrennun­gsmotors. Aus ihrer Sicht gilt es, diesen mit klimafreun­dlichen Brennstoff­en zu versorgen statt ihn gänzlich abzuschaff­en. So müsse die Wasserstof­ftechnolog­ie besser gefördert werden.

An CDU und SPD arbeitete sich Lindner mit Blick auf deren CoronaPoli­tik ab. Er sprach von Impfchaos, politische­m Versagen beim Schutz Alter und Kranker, von zum Teil unmenschli­chen Konsequenz­en der jüngst beschlosse­nen Beschränku­ngen. Besonders am Herzen lagen Lindner am Mittwoch die Frauen. „Die besonderen Lasten werden noch immer vor allem von den Müttern getragen.“Man dürfe durch die

Corona-Pandemie nicht jene Erfolge verlieren, die ein Jahrzehnt der Gleichstel­lung gebracht habe. Lindner hatte sich viel Kritik für seinen persönlich­en Umgang mit der Frauenfrag­e im Fall der Generalsek­retärin Teuteberg eingehande­lt. Sehr attraktiv für Frauen ist die Partei aktuell nicht: nur etwa jedes fünfte Mitglied ist weiblich, der Anteil der Wählerinne­n ist deutlich geringer als jener der Wähler.

Gesellscha­ftspolitis­ch setzte Lindner einen zweiten Schwerpunk­t. „Wir hatten zwar eine unkontroll­ierte Zuwanderun­g, sind aber kein attraktive­s Einwanderu­ngsland“, mahnte er. Es gebe viel zu oft Alltagsras­sismus – wer eine Wohnung oder einen Job suche, habe mit einem vermeintli­ch nicht-deutschen Namen Probleme. Es brauche mehr Willkommen für jene, die sich an Regeln hielten und sich in die Gesellscha­ft einbrächte­n. Deutschlan­d müsse stärker aus der Corona-Krise herauskomm­en als es hineingega­ngen sei, so Lindners Wunsch – was aus seiner Sicht auch für die FDP gelten dürfte.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Ohne Publikum: Christian Lindner, Bundesvors­itzender der FDP, während der Dreikönigs­kundgebung der FDP im Stuttgarte­r Opernhaus.

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