Von der Normandie nach Lauchheim
Der 96-jährige Max Knödler erlebte den Jahreswechsel 1945/46 in Kriegsgefangenschaft
- Der Jahreswechsel hat gerade erst stattgefunden – und zahlreiche Menschen würden 2020 wegen der Corona-Pandemie sicherlich als besonders entbehrungsreich bezeichnen. Der gebürtige Lauchheimer Max Knödler hat jedoch noch ein ganz anderes „Silvesterfest“erlebt – in einer Zeit, in der es für viele Millionen Menschen ums nackte Überleben ging. Der 96-Jährige befand sich zwischen 1945 und 1946 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft.
Im Gespräch mit der „Ipf- und Jagst-Zeitung/Aalener Nachrichten“erzählt Max Knödler von der Jahreswende vor 75 Jahren in amerikanischer Gefangenschaft in einem Lager im Allgäu, und was er vorher erlebt hat. Wie die große Mehrheit der jungen Männer seiner Generation wurde er mit 18 Jahren zur Wehrmacht eingezogen. Es war mitten in der Lehrzeit zum Werkzeugmacher bei der damaligen Rüstungsfirma CollisWerke in Westhausen-Reichenbach, als er den Stellungsbefehl bekam. „Und wie habe ich mich darüber gefreut“, bekennt er freimütig.
Eine Meldung zur Luftwaffe war klar für ihn, denn schon seit Kindertagen baute er Segelflugzeuge. Waren das nur Modellflieger hegte er den Traum vom Fliegen, der sich aber erst viel später in seinem Leben erfüllen sollte. Zunächst musste er eine „Notgesellenprüfung“ablegen, so wollten es die Kriegsverordnungen im Dritten Reich. Es folgte eine Grundausbildung in einer Kaserne in Schongau und bald danach die erste Enttäuschung: Sein Traum vom Fliegen wurde mit der zwangsweisen Ausbildung zum Infanteriesoldaten zunichte gemacht. Über verschiedene Stationen kam er zum Kriegseinsatz in die Normandie. „Wir ahnten eine Invasion der Alliierten, wussten aber nicht, wann und wo es sein werde“, schilderte er das Warten „auf den Feind“.
Dann kam der Tag, der als D-Day in die Geschichtsbücher einging: Die Landung von 175 000 alliierten Soldaten
in der Normandie. Mit ihr begann der Rückzug der deutschen Wehrmacht. „Jedem von uns war klar, dass es nichts mehr zu verteidigen gab, denn als unausgesprochene Parole war angesagt: Rette sich wer kann“, beschreibt er die Übermacht der amerikanischen Truppen mit ihren Verbündeten. Sein Oberleutnant sprach aus, was jeder wusste, als er seinen Adjutant Max in Deckung zerrte: „Max jetzt haben wir den Krieg verloren.“Beim Rückzug kam es zu Kampfeinsätzen mit den nach eilenden Alliierten und dabei erlitt Max Knödler einen Durchschuss am linken Oberarm.
Nach 75 Jahren sind ihm Einzelheiten über den Rückzug entfallen, nicht aber sein Eintreffen in ein großes Lazarett in Heidelberg am Neckar. Dort wurde die Verwundung operiert, denn bislang hatten immer wieder Sanitäter Notversorgungen vorgenommen. Die vielen älteren Lauchheimern noch bekannte ehemalige Rot-Kreuz Schwester Hedwig Benz versorgte Verwundete in diesem Lazarett und entdeckte in deren Papieren den „kleinen KnödlerMax“,
den sie noch in Erinnerung hatte.
Es kam der Frühling 1945, die Verwundung war so weit verheilt, dass eine weitere Lazarettverlegung erfolgen konnte – und die sollte nach Crailsheim gehen. „Das dauerte einige Tage“, erinnert sich Max Knödler und erzählt, wie viele Gehfähige den Lazarettzug bei längerem Halt bei Nacht heimlich verließen, um sich zu Fuß auf den Heimweg machen. Für ihn bot sich die Gelegenheit bei einem längeren Aufenthalt des Zugs in Aalen. Zu Fuß erreichte er Lauchheim, doch hier wartete schon die amerikanische Besatzung.
Nicht lange sollte es dauern bis ihn die Besatzung ausgemacht hatte, gefangen nahm und in ein Lager nach Crailsheim brachte. Von hier ging es im Herbst 1945 in ein Arbeitslager ins Allgäu. Dort fragte eines Tags ein amerikanischer Bewacher, wer laubsägen könne. Als Modellsegelfliegerbauer war Max Knödler hierfür prädestiniert und bekam die Aufgabe, Weihnachtsschmuck für eine Offiziersfamilie zu fertigen. „Hier ging es mir besonders gut“, stellt er nach 75
Jahren fest und lobt die „humane Gefangenschaft beim Ami“. Ein Kontakt mit den Lieben zu Hause war ihm allerdings versagt. Doch mit List gelang es den Gefangenen, Nachrichten nach draußen zu schmuggeln. Dabei half ihnen ein evangelischer Pfarrer.
Per Fahrrad kam dieser regelmäßig zu Gottesdiensten ins Gefangenenlager. Dabei wurde das Fahrrad des Geistlichen folgendermaßen präpariert: „Während des Gottesdiensts schlich sich einer der Gefangenen zum Fahrrad, öffnete die Ventile, steckte unsere zusammengefalteten Briefchen zwischen Schlauch und Mantel und pumpte wieder auf. Draußen macht es der Pfarrer in derselben Weise und entnahm die Botschaften“, schmunzelt Max Knödler. Doch bei der geistlichen Postzustellung gab es Hemmschwellen, denn nicht viele von diesen Nachrichten kamen zu Hause an. Allerdings sei die Zeit abzusehen gewesen, sagt der Hochbetagte im Wohnzimmer seines 1958 erstellten Hauses.
In Lauchheim und darüber hinaus war Max Knödler in den 1950-Jahren unter „Segelfliegern“bald ein Begriff. Er baute selber Flugzeuge, vor 20 Jahren auch noch kleine Motorflugzeuge zusammen mit dem ehemaligen Apotheker Kurt Bäurle. Mit ihm startete er wiederholt zu Tagesausflügen, „bis Husum und zurück“.
Mit seiner vor drei Jahren verstorbenen Frau Hedwig durfte er eiserne Hochzeit feiern und die Familien seiner drei Kinder sind um ihn. Mit seiner Tochter Monika Handschuh zieht es ihn, wann auch immer es möglich, ist auf den Flugplatz nach Elchingen. „Einige Male waren wir auch letzten Sommer oben, wo uns Sportflieger schon kennen, zu Rundflügen einladen und auch dieses Jahr hoffen wir auf solche“, sagt sie. Dabei geht es auch mal ins Lechfeld oder ins Allgäu. Die Bilderbuchlandschaften erinnern Max Knödler nicht mehr an das, was dort vor 75 Jahren alles geschehen ist, vielmehr an unzählige Wanderungen und Urlaubsaufenthalte mit Familie und Freunden.