Kapitäne gegen Weltverband
Die Handballer protestieren gegen die WM mit Zuschauern, Wolff-Kritik sorgt für Wirbel
(dpa/SID) - Vor der WM-Generalprobe der deutschen Handballer in der EM-Qualifikation gegen Österreich ist Alfred Gislason mehr als Krisenmanager denn als Bundestrainer gefordert. Die Debatten um die scharfe Kritik von Torwart Andreas Wolff an den WM-Absagen einiger Teamkollegen und die Sorgen der Spieler wegen der geplanten Zulassung von Zuschauern bei der Endrunde in Ägypten erschweren die Arbeit des 61 Jahre alten Isländers in diesen Tagen erheblich.
Vor allem die verbale Attacke von Wolff gegen das Kieler Trio Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Steffen Weinhold, das wegen der Corona-Krise aus familiären Gründen auf die WM-Teilnahme verzichtete, hat Gislason missfallen. „Ich bin nicht zufrieden damit, dass es diese Diskussion gibt. Andi ist bekannt dafür, dass er seine Meinung raushaut. Aber das stört die Vorbereitung“, sagte der Bundestrainer.
Eine Aussprache mit Wolff habe es laut Gislason aber nicht gegeben. „Ich habe viele andere Aufgaben zu erledigen“, betonte er mit Blick auf das Österreich-Spiel am Sonntag in Köln. Dort kann die DHB-Auswahl, der im Falle des dritten WM-Triumphes nach 1978 und 2007 eine Rekordprämie von 500 000 Euro winkt, bereits das Ticket für die EM 2022 lösen und sich weiteren Rückenwind für die schwere Mission am Nil holen.
„Unter normalen Umständen würden wir mit voller Konzentration draufgehen, um das Spiel zu gewinnen. Ich werde aber viel testen, um mit der Mannschaft voranzukommen“, kündigte Gislason an. Das gilt sowohl taktisch als auch personell. So sollen die am Mittwoch im Hinspiel (36:27) nicht zum Einsatz gekommenen Christian Dissinger, Marian Michalczik, Antonio Metzner und Moritz Preuss eine Chance bekommen. Zudem wird Kapitän Uwe Gensheimer nach überstandenen Handgelenkproblemen wieder dabei sein.
Überlagert wird die Vorbereitung auf die WM-Endrunde vom 13. bis 31. Januar auch von der Diskussion um die vom Ausrichter geplante Zuschauerauslastung der vier Hallen von 20 Prozent. Die Vorrundenspiele der DHB-Auswahl gegen Uruguay, Kap Verde und Ungarn in Gizeh könnten somit bis zu 1040 Fans live verfolgen. „Vor Zuschauern zu spielen, ist nicht nur wegen der zusätzlichen Gesundheitsrisiken absurd, auch angesichts der Lage in unseren Heimatländern, in denen die Menschen ihre Wohnungen möglichst nicht verlassen sollen und unsere Spiele nur Familienkreise im Fernsehen verfolgen können“, sagte Torwart-Routinier Johannes Bitter.
Kurz vor dem WM-Auftakt hat sich daher in Spielerkreisen heftiger Widerstand gegen die Pläne formiert. „Die europäische Spielergewerkschaft E.H.P.U. hat am Mittwoch im Namen der Kapitäne und aller Spieler der europäischen Nationalmannschaften ein Schreiben an den ägyptischen Weltverbandspräsidenten Hassan Moustafa verfasst, mit der dringenden Bitte, während der WM auf Zuschauer zu verzichten“, berichtete Bitter. In dem Schreiben heißt es unter anderem: „Wir sind äußerst besorgt über die Corona-Situation und die Entscheidung, dass die Zuschauer an den Spielen teilnehmen dürfen. Unsere Besorgnis hat aufgrund der jüngsten Eskalation in den europäischen Ländern zugenommen. Für uns hat dies Bedenken hinsichtlich des Turniers ausgelöst.“
DHB-Vizepräsident Bob Hanning teilt diese Befürchtungen nicht, solange es ein funktionierendes Hygienekonzept auch für die Zuschauer gebe. „Dann habe ich damit keine Probleme“, sagte Hanning. Wenn er in Deutschland erlaubt bekommen würde, 30 Prozent Zuschauer zuzulassen, „würde ich die doch sofort in die Halle lassen“, sagte der Geschäftsführer der Füchse Berlin. „Alle meine 19 Bundesliga-Kollegen würden es auch tun. Nur weil wir es nicht dürfen und es in einem anderen Land erlaubt ist, kann ich das doch nicht verurteilen.“
Fest steht: Die WM-Generalprobe gegen Österreich steigt vor leeren Rängen statt vor 20 000 Fans. „Wir konzentrieren uns nur auf uns selbst“, sagte Gislason – und ging dann doch auf die Kritik von Wolff ein. „Die Spieler, die schon viel Zeit für Deutschland geopfert haben, sollten nicht ins Kreuzfeuer der Kritik geraten“, sagte der 61-Jährige.
Auch der THW stellte sich vor seine Profis. „Fünf unserer Spieler haben sich gegen eine WM-Teilnahme entschieden, sechs dafür. Alle haben dabei die volle Unterstützung des THW Kiel. Niemand sollte sich angesichts der Pandemie und der Vielschichtigkeit der Herausforderungen aber das Recht herausnehmen, über die individuell getroffene Entscheidung Einzelner urteilen zu wollen“, sagte THWGeschäftsführer Viktor Szilagyi. Hannovers Rückraumspieler Fabian Böhm sagte, es habe keinen Aufschrei im Team gegeben: „Wenn Andreas diese Meinung vertritt, ist das okay. Ich habe eine andere Meinung dazu.“