In der Krise vor allem Seelentrösterin
Eine Altenpflegerin erzählt von ihrem Corona-Alltag.
- Seit März hat sich für Ann Sophie Pruchner der Arbeitsalltag komplett geändert. Weil das Coronavirus die stellvertretende Heim- und Pflegedienstleiterin im DRK-Altenpflegeheim Oberkochen dauerhaft begleitet, dreht sich für die 26-Jährige alles darum, die Bewohner, die Mitarbeiter und auch sich selbst zu schützen. „Niemand will der sein, der’s in die Einrichtung trägt“, sagt Pruchner bestimmt. „Deshalb haben wir alle unsere Kontakte auf ein Minimum reduziert.“Sie selbst hat seit dem Beginn der Pandemie so gut wie gar nichts unternommen, „vielleicht mal eine Freundin draußen getroffen. Ansonsten war ich nur zuhause, beim Einkaufen oder Tanken und habe ab und an mal meine Mama besucht.“
Wie sehr sich alles verändert hat, wird schon beim Betreten der Einrichtung deutlich: „Im Eingangsbereich liegen Masken aus, die wir Mitarbeiter im gesamten Alltag tragen müssen. Außerdem müssen wir selber unsere Temperatur messen, ab 37,8 Grad muss man wieder gehen“, erklärt die gelernte Altenpflegerin. Auch bei den momentan 63 Bewohnern in drei Wohnbereichen werde täglich Fieber gemessen. Diese würden sogar bereits bei einer Temperatur von 37,6 Grad im Zimmer isoliert: „Wir beobachten dann die Symptome und meist kommt dann der Hausarzt, um einen Corona-Test zu machen.“Isoliert werde so lange bis der Patient drei Tage lang fieberfrei ist.
Auch die Besuche im Altenpflegeheim haben sich seither verändert. „Während der ersten Welle hatten wir ja komplett geschlossen“, blickt Pruchner zurück. Trotzdem seien natürlich die Patienten untereinander im Speisesaal in Kontakt gekommen und Angehörige hätten sich über das geöffnete Fenster mit ihren Liebsten unterhalten oder man habe diese eben in den Garten rausgebracht. „Wir hatten auch eine Bewohnerin, die über ein Tablet kommuniziert hat und natürlich allgemein viel mehr Anrufe.“Dieser Telefondienst, der zusätzlich geleistet werden musste, sei zwar zeitraubend gewesen, ebenso das Türöffnen, wenn wieder ein Dienstleister ins Gebäude wollte, aber am Ende habe ihr Team auch das gerne gemacht.
Obendrein sei das ganze eine neue Chance für die Bewohner gewesen, sich besser kennenzulernen. „Einer hat sich einen ganzen Tag Zeit genommen, um einer Frau das Rollstuhlfahren beizubringen, weil sie Schwierigkeiten damit hatte. Da sind wirklich viele Freundschaften entstanden und dadurch, dass das tägliche Betreuungsprogramm weggefallen ist, haben sich die Bewohner in Eigeninitiative selbst in Spielegruppen organisiert.“Die Beziehung zu den Mitarbeitern ist laut Pruchner ebenfalls noch intensiver geworden: „Wir waren ja schon immer Ansprechpartner, in der Zeit waren wir dann vor allem Seelentröster, weil die Angehörigen gefehlt haben. So hat man noch viel mehr über die Patienten erfahren.“Und zu guter Letzt seien auch die Kollegen noch näher zusammengerückt: „Der Hausmeister stellt alles für die Isolation bereit, wenn wir es brauchen, der Pflegehelfer bringt das Einmal-Geschirr, alles ist top getaktet.“
Während der zweiten Phase durften die Bewohner noch immer nicht raus, dafür die Angehörigen rein – in ein separates Besucher-Zimmer mit direktem Zugang von außen. Auch das habe zusätzlichen Aufwand bedeutet, schließlich galt es, die entsprechenden Zeitfenster zu planen, beim Aufeinandertreffen die AHARegeln (Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmaske tragen) zu beachten – ohne Kontakt oder Umarmung – und hinterher musste desinfiziert und ausreichend gelüftet werden. „Aber wir wollten alles möglich machen“, sagt Pruchner.
Über den Sommer durften die Bewohner die Einrichtung dann wieder für Spaziergänge verlassen, jedoch mussten sie und ihre Angehörigen Mundschutz tragen, und auch Besuche auf den eigenen Zimmern wurden wieder möglich. „Teilweise haben sich Besucher nicht an die Regeln gehalten, dann mussten wir intervenieren.“Doch die 26-jährige Zangerin hat auch Verständnis: „Vor allem bei Demenzkranken ist es schwierig, wenn sie ihre Angehörigen wegen der Maske überhaupt nicht mehr erkennen.“
Für solche Bewohner sei auch eine Isolation nicht einfach: „Man erklärt es ihnen, aber nach kurzer Zeit wissen sie nicht mehr, dass sie jetzt zwei Wochen ihr Zimmer nicht verlassen dürfen und dann stehen sie plötzlich auf dem Gang.“Einsperren sei natürlich keine Option, denn das wäre eine freiheitsentziehende Maßnahme. Zudem sei die Isolation an sich bereits anstrengend: „Nur Fachkräfte dürfen den Raum betreten, ausschließlich in Schutzbekleidung, mit Handschuhen und FFP2-Maske. Dann muss alles desinfiziert und regelmäßig gelüftet werden. Die Wäsche des Bewohners wird in einen extra Plastiksack geworfen mit der Aufschrift Infektionswäsche und kommt dann separat in die Wäscherei“, erläutert Pruchner.
In diesem Zusammenhang erzählt sie auch von dem Quarantäne-Heim, dass der DRK-Kreisverband Aalen zu Beginn der Pandemie in Neuler eingerichtet hatte: „Das war eine Erleichterung für uns. Alle Bewohner, die zwei Wochen in Quarantäne mussten, wurden dorthin verlegt und kamen erst wieder zu uns, wenn sie außer Gefahr waren.“Da habe das Deutsche Rote Kreuz sehr schnell und gut reagiert, ganz im Gegensatz zur Politik, von der sie sich bisweilen etwas alleingelassen fühlte: „Wir waren oft auf uns allein gestellt.“
Ganz am Anfang sei zwar ein Hoffnungsschimmer da gewesen, dass in der Pflege nun endlich etwas vorwärts geht. „Plötzlich waren wir systemrelevant und in aller Munde. Aber das ist schnell wieder untergegangen. Aber wir sind ja weiterhin da unter arbeiten unter schwierigen Bedingungen.“Sie wünsche sich, dass die Politik jetzt dranbleibe, schließlich sei der Pflegenotstand in sämtlichen Bereichen nicht von der Hand zu weisen. „Es sind nicht unbedingt nur die Fachkräfte, die fehlen, sondern auch die Helfer, die Spaß an ihrem Job haben“, so Pruchner.
Aber um den Job attraktiv zu machen, müsse etwas passieren. „Zwölf Tage im Schichtbetrieb für dieses Geld: Warum sollte man diesen Beruf ergreifen? Wir brauchen mehr Leute, mehr
Gehalt und an Wertschätzung fehlt es auch.“Natürlich sei es schön gewesen, mal gelobt zu werden, doch auch das sei schnell abgeebbt. Pruchner selbst ist da „irgendwie so reingerutscht“, wie sie schmunzelnd erzählt. „Ich bin nach dem Abi nach Australien, aber schnell wieder zurückgekommen. Das war nicht meins. Dann habe ich mein FSJ (freiwilliges soziales Jahr) in Oberkochen gemacht.“
Anschließend folgte ein Studium, wobei die Zangerin samstags und sonntags weiter nebenher im Altenheim arbeitete. „Ich habe dann gemerkt, dass ich mich montags schon wieder aufs Wochenende gefreut hab’, also habe ich irgendwann mein Studium abgebrochen und eine Ausbildung zur Fachkraft für Altenpflege gemacht und schließlich eine Weiterbildung zur Pflegedienstleiterin.“Mittlerweile ist sie seit sieben Jahren im Einsatz und sagt: „Für mich ist es eine Berufung. Ich habe diesen Beruf ergriffen, weil mir die Menschen am Herzen liegen. Ich habe kein Problem mit dem Abstand und weiß, die Maske hilft – auch wenn es nicht so angenehm ist, jemanden zu duschen, während man den Mundschutz trägt.“Und deshalb mache es ihr auch nichts aus, jedes zweite Wochenende zu arbeiten oder auch mal an freien Tagen oder im nicht geplanten Dienst einzuspringen.
Und dann springt die 26-Jährige zurück zum zweiten Lockdown, in dem Patienten mit deren Einwilligung vorsorglich auf Corona getestet werden – zuletzt einmal pro Woche –, Angehörige mit Anmeldung wieder ins eigens eingerichtete Besucherzimmer und die Bewohner das Heim verlassen dürfen – auch über Weihnachten. „Da konnten wir nur an die Vernunft der Menschen appellieren, dass alle die Regeln einhalten.
Aber ich muss sagen, die Abholungen waren in einem vertretbaren Rahmen. Die meisten Angehörigen haben ihre Lieben im Besucherzimmer besucht. Natürlich verstehe ich auch, wenn die Angehörigen ihre Liebsten nach Hause holen wollen, um gemeinsam mit ihnen zu essen. Andererseits ist es für uns wesentlich schwieriger nachzuvollziehen, mit wem der Patient Kontakt hatte.“Aber so sei es zuletzt auch gewesen, wenn ein Bewohner mal zum Einkaufen oder zum Rauchen rausging.
An den Feiertagen habe ihr Team versucht, es den Bewohnern auch in diesem besonderen Jahr schön zu machen. „Alle Bewohner haben wie immer ein Geschenk erhalten. Auf den Stationen gab es in kleinen Gruppen eine Mini-Weihnachtsfeier. Der Koch hat auf dem Akkordeon bekannte Weihnachtslieder gespielt. Singen durften wir leider nicht“, erzählt Pruchner.
Grundsätzlich habe sie das Gefühl, die Menschen seien im zweiten Lockdown unvorsichtiger und unvernünftiger geworden, was man ja auch an den Zahlen sehe. „Die Leute haben keine Angst mehr und die ist es eigentlich, die sie auseinander gehalten hat. Sie nehmen es nicht mehr so ernst, und das, obwohl jetzt auch immer mehr Jüngere sterben“, resümiert Pruchner. Jetzt müsse man abwarten, was die Impfung bringe. „Das ging ja alles schneller als gedacht. Und ich glaube, viele überlegen sich da zweimal, ob sie sich impfen lassen.“
„Es sind nicht unbedingt nur die Fachkräfte, die fehlen, sondern auch die Helfer, die Spaß an ihrem Job haben“, sagt Ann Sophie Pruchner.
„Im zweiten Lockdown haben die Leute keine Angst mehr und die ist es eigentlich, die sie auseinander gehalten hat“, ist die Altenpflegerin überzeugt.
In der Serie stellen die „Aalener Nachrichten/Ipf- und Jagst-Zeitung“Menschen vor, die in Zeiten der Corona-Pandemie an vorderster Front stehen und die Dank und Respekt verdient haben. Geplant sind noch folgende Berufsgruppen: Tierarzt, Ordnungsamt, Supermarkt, Baumarkt. Bisher erschienen sind: Tobias Krause, Polizei (28. Dezember); Wolfgang Hörmann, Feuerwehr (30. Dezember), Harald Golla, Pfarrer (31. Dezember); Caroline Grupp, Notaufnahme (2. Januar); Rettungsdienst, Rafael Pohlner, Rettungsdienst (4. Januar); Christina Schurr, KitaErzieherin (8. Januar). Weitere Artikel: www.schwaebische.de/corona-ostalb