Auf Kutteln muss keiner verzichten
Auch ohne Kalten Markt: Metzgermeister Schenk berichtet von einem guten Absatz
- Saure Kutteln gehören zum Kalten Markt wie die Gans zu Weihnachten. Gut 4,4 Tonnen der Delikatesse werden normalerweise in der fünften Ellwanger Jahreszeit verspeist. Das Kuttelessen am KalterMarkt-Montag im „Roten Ochsen“, zu dem die Stadt einlädt, ist ein Muss für alteingesessene Ellwanger. Ebenso wie die Prämierung von Pferden und Pferdegespannen auf dem Schießwasen, die Pferdewitze des Oberbürgermeisters, das KalterMarkt-Lied, der Festumzug der Reiter, Pferde und Pferdegespanne durch die Innenstadt und das Urteil des Preisgerichts. Doch in CoronaZeiten ist alles anders: Der Kalte Markt ist abgesagt.
Auf ihre heiß geliebten Kutteln müssen die Ellwanger und ihre Gäste aber nicht verzichten. Der Ellwanger Metzgermeister Reiner Schenk berichtet von einer verstärkten Nachfrage seit Mitte November, obwohl schon mit Beginn der Corona-Pandemie ab März Kutteldosen wie andere Fertiggerichte als beliebtes, schnelles Gericht für das Homeoffice sehr gefragt waren. „Wir haben ziemlich viele Anfragen.“
Vor allem im Dezember seien viele Fertiggerichte in der Dose gekauft worden, sagt Schenk. Er ist sich sicher, dass einige als Weihnachtsgeschenk unter den Christbaum gestellt wurden. Denn die Kutteln und der Kalte Markt seien bei der jungen, mittleren und älteren Generation ebenso in den Köpfen verankert wie Silvester und Neujahr. „Ich denke, dass die Metzger einen guten Absatz machen“, sagt Schenk – trotz der frühzeitigen Absage des Kalten Markts durch die Stadt. Denn: „Die Leute feiern zu Hause in der Familie ihren Kalten Markt mit Kutteln und Rotochsen-Bier.“
Reiner Schenk, der mehr als 30 Jahre Vorstand der früheren Ellwanger Metzgerinnung war, hat gerade 300 Liter Soße zubereitet und ist dabei, Kutteln in die Dosen abzufüllen. „Wir machen sonst fünfmal 300 Liter Kuttelsoße bis zum Kalten Markt“, verrät der Metzgermeister: „Das ist der Normalfall.“Und nach dem Kalten Markt werden mindestens fünf weitere Kessel Kuttelsoße gemacht, weil dann der Vorrat an Kuttelkonserven aufgebraucht ist.
80 Prozent der Kutteln verkauft die Metzgerei Schenk über Ein-KiloEinwegbecher zum Sofortverzehr und – in normalen Jahren ohne Corona – zu zehn, 20 oder 50 Portionen für Vereine, Stammtische und gesellige Abende. Der Rest wird in 400- und 800-Gramm-Dosen konserviert. Die sind bis zu drei Jahren haltbar und werden als Weihnachtspräsent auch an Studenten und Freunde in Übersee verschickt, wie Schenk weiß. „Unsere Kutteln gehen, weiß Gott, wohin. Wir verschicken sie bis nach Spanien und Amerika.“
Konservendosen werden als schnelle Mahlzeit für Mittag oder Abend vor allem von Single-Haushalten wie Studenten und älteren Menschen nachgefragt. Im Fleischerfachgeschäft gibt es auch gekochte und geschnittene frische Kutteln zum Selbermachen. Zu Hause werden sie dann je nach Geschmack mit einer hellen oder dunklen Soße zubereitet.
Butterschmalz, fein geschnittene Zwiebeln, Mehl, Tomatenmark,
Fleischbrühe, Essig, Wein, Lorbeerblatt, Wacholderbeeren, Salz, Zucker, Senf und schwarzer Pfeffer sind nur einige der Zutaten für das Gericht. Traditionell werden die Kutteln mit Bratkartoffeln oder Pariser Brot gegessen. In der Metzgerei Schenk gibt es Kutteln mit Röstkartoffeln bis Ende Januar auch als Tagesessen zum Mitnehmen.
Die Kutteln werden aus dem gereinigten und gebrühten Pansen von Rind und Kalb hergestellt. Der Metzger kocht sie weich und schneidet sie in feine Streifen. Kutteln, die heutzutage maschinell geputzt werden, sind ein Gericht vor allem für die Wintermonate. Früher galten sie als Armenessen, heute sind sie eine Spezialität das ganze Jahr über. Bei klirrender Kälte wie im Januar schmecken Kutteln am besten. Jede Gastwirtschaft, jede Metzgerei hat ihr eigenes Rezept.
Das Geheimnis der Sauren Kutteln liegt in der Soße. Und da wird in der Regel zwischen einer hellen und einer dunklen Soße unterschieden, je nach Gusto mit Weißwein oder Rotwein. Der eine mag die Kutteln saurer, der andere mit Cognac. „Da sind keine Grenzen gesetzt“, meint Reiner Schenk. Auf alle Fälle müssen die schwäbischen Kutteln gut gemacht sein, damit sie schmecken.
„Bei uns gibt es die dunklen Kutteln mit Rotwein, Wacholder und Gewürzen, die man nicht verrät, und einem Schuss Cognac“, berichtet Schenk. Sein Geheimrezept gibt er nicht preis. Doch Zwiebeln, Nelken und Piment seien dabei, „um nur einige der 15 bis 20 Gewürze verschiedener Art zu erwähnen“.
Der Kalte Markt ist mehr als 1000 Jahre alt. Kutteln werden in Ellwangen womöglich schon ebenso lange gegessen. Während der vier Tage sind sie für viele das Leib- und Magengericht. Dampfende Kutteln dienen zum Aufwärmen und zur Stärkung. Schon zur Eröffnung der Technikmesse am Sonntag werden Kutteln von der Ellwanger Trachtengruppe in einer der Messehallen auf dem Schießwasen serviert. Und nach der Bauernkundgebung oder beim Schlendern über den Krämermarkt am Mittwoch schmecken sie natürlich auch vorzüglich.
Reiner Schenks Vater, Metzgermeister Franz Schenk, ist dem Kalten Markt eng verbunden. Über 70 Jahre hinweg sang der 91-Jährige, der am 26. Januar Geburtstag hat, bei offiziellen Anlässen das Kalter-MarktLied: „Hurra! Hurra! Hurra! Der Kalte Markt ist da . . .“Sein Sohn indes hofft, dass die Ellwanger ihren Kalten Markt im nächsten Jahr „ohne Corona und ohne Beschränkungen wieder in alter Tradition hochleben lassen“.