Katzen im Visier
Das Töten eines gefangenen Tieres bei Augsburg hat einen Jagdskandal verursacht – Gleichzeitig weist der Fall auf das Problem mit streunenden Katzen hin
Jüngst hat das Töten einer Hauskatze bei Augsburg zu einem Tierschutz- und Jagdskandal geführt. Eine Jägerin erschoss das Tier, das in einer Falle gefangen war. Wobei Bayerns Jagdrecht anders als in Baden-Württemberg grundsätzlich das Töten von Katzen zulässt. Aber selbst der Jagdverband im Freistaat hat sich von der Frau abgewendet. Gleichzeitig weist der Fall auf das Problem mit streunenden Katzen hin. Zwei Millionen soll es davon bundesweit geben. Sie bedrohen andere Arten.
- Die schwarz-weiß gefleckte Katze hat keine Chance. Verängstigt drückt sie sich in einem kleinen Drahtkäfig herum – einer Falle zum Lebendfang von Tieren. Angelockt durch Fressen, lösen sie innen einen Mechanismus aus, der die Falle schließt. So ist die Katze zur Gefangenen geworden. Was nun folgt, sind erst einmal zwei Pistolenschüsse auf deren Schädel. Wie aus dem Off sagt eine Stimme: „Das waren jetzt zwei Kopfschüsse, und sie bewegt sich immer noch.“Ein dritter Schuss fällt. Langsam stirbt die Katze.
Sehen und hören kann man das alles auf einem Video – Aufnahmen, die zu einem Tierschutz- und Jagdskandal geführt haben. Ort des Geschehens ist ein Wald im Umland von Augsburg. Geschossen hat eine Jägerin – vermutlich im Dezember. Einer von mindestens zwei Begleitern der Frau nahm das Geschehen offenbar mit dem Smartphone auf. Der Film wurde ins Netz gestellt. Auf sozialen Medien kursierte der Clip zuerst in Jägerkreisen – bis die Aufnahmen der Soko Tierschutz zugespielt wurden. Die Tierschutzgruppierung veröffentlichte das Video zu Neujahr auf ihrer Internetseite. Friedrich Mülln, Vorsitzender der Soko Tierschutz, hat Strafanzeige gestellt. Seine lautstarke Forderung: „Dieser Jägerin gehören sofort Waffe und Jagdschein weggenommen.“
Mülln nutzte die Gelegenheit zudem für den Hinweis, das Schicksal der Katze stehe stellvertretend für Hunderttausende Katzen, die bundesweit in Lebendfallen gerieten. Tierschutzorganisationen sprechen seit Jahren immer wieder von solchen Zahlen, wollen die Fallenjagd verbieten. Noch stärker thematisieren sie das Töten von Katzen durch Jäger. So sollen in Deutschland angeblich jährlich bis zu
350 000 Katzen erschossen werden. Die Zahl stammt von der radikalen Tierschutzorganisation Peta – untermalt vom Vorwurf, Jäger würden hemmungslos um sich feuern.
Der altehrwürdige Deutsche Tierschutzbund geht von 100 000 getöteten Katzen aus. Wobei sämtliche Zahlen wissenschaftlich umstritten sind, weil es sich um hochgerechnete Schätzungen handelt.
Dies liegt daran, dass nur wenige Bundesländer Buch über geschossene Katzen führen. Hessen gehört dazu. Im Jagdjahr 2019/20 tauchen dort in der vorgeschriebenen Streckenliste der Jäger 188 getötete Katzen auf. Naturgemäß kann aber nur erfasst werden, was gemeldet wird.
Abseits des nebulösen Zahlenwirrwarrs stellt sich jedoch die Frage, wieso der Deutschen liebstes Haustier überhaupt ins Visier der Jägerschaft geraten kann. Sein Image bewegt sich schließlich irgendwo zwischen Kuscheltier und Stubentiger. Verdrängt wird jedoch gerne, dass Katzen effektive
Raubtiere sind. Domestiziert sollten sie ja einst das menschliche Umfeld von Mäusen und Ratten freihalten. Bei der heutigen Hauskatze ist dies meist nicht mehr gefragt. Trotz Sheba- oder WhiskasFutter hat sie sich jedoch den Jagdtrieb erhalten – und es sind zahlreiche Exemplare, die in Deutschland herumtigern.
Öko- und Tierschutzverbände schätzen ihre Zahl auf bis zu 15 Millionen. Sie beißen offenbar nach deren Erfahrungen richtig zu. Bis zu 200 Millionen Vögel würden sie jährlich bundesweit töten. Eine Zahl, die etwa auch Vertreter des Naturschutzbundes Deutschland immer mal wieder benutzen. Besser als Nabu bekannt, ist der Verband aus dem Bund für Vogelschutz hervorgegangen. Er bewegt sich also auf seinem ureigenen Terrain und zeigt sich höchst alarmiert. Ähnliche Organisationen tun dies ebenso. Die deutsche Sektion des World Wide Fund for Nature schreibt auf einer Webseite: „Die Überpopulation an Katzen in menschlichen Siedlungen kann Populationen von Vögeln und Kleintieren auslöschen.“
Neben gefiederten Kreaturen gehören laut Studien Junghasen, Eichhörnchen oder Eidechsen zu den Katzenopfern. Seit rund acht Jahren kursieren dazu US-Forschungen, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Nature Communications“. Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber vor allem eines: Als Übeltäter gelten zum einen Stubentiger auf Freigang, während aber die wichtigsten Bösewichter vor allem Streuner, herrenlose Katzen, sind. Gut zwei Millionen soll es davon in Deutschland geben. Für viele Jäger sind sie potenzielle Wilderer, eine Ansicht, die in früheren Weidmannsgenerationen Allgemeingut war. Weshalb Katzen einst ins Jagdrecht hineingeschrieben wurden. Ebenso übrigens Hunde.
In Bayern, also dort, wo sich das Drama der gefangenen Katze abspielte, heißt es im landeseigenen Paragrafenwerk, zum Jagdschutz berechtigte Personen dürfen „wildernde Hunde und Katzen“töten. Im Wortlaut steht geschrieben: „Hunde gelten als wildernd, wenn sie im Jagdrevier erkennbar dem Wild nachstellen und dieses gefährden können. Katzen gelten als wildernd, wenn sie im Jagdrevier in einer Entfernung von mehr als 300 Meter vom nächsten bewohnten Gebäude angetroffen werden. Diese Befugnis erstreckt sich auch auf solche Katzen, die sich in Fallen gefangen haben, die in einer Entfernung von mehr als 300 Meter vom nächsten bewohnten Gebäude aufgestellt worden sind.“
Bis vor wenigen Jahren war die Gesetzgebung deutschlandweit ähnlich. Inzwischen sind diverse Bundesländer ausgeschert. Sie haben das Recht der Jäger, Katzen und Hunde zu töten, stark eingeschränkt, beziehungsweise zu einer fast nur noch theoretischen Möglichkeit werden lassen. NordrheinWestfalen zählt zu diesen Ländern – und auch Baden-Württemberg.
Hier brachte die grün-rote Jagdrechtsnovelle 2015 eine Änderung. Nun braucht es für das Töten eines wildernden Hundes die schriftliche Genehmigung der Polizei. Bei Katzen ist ein Erschießen nur zulässig, wenn sie in Wildruhe- oder Schutzgebieten streunen. Jeder Fall muss zuvor von zuständigen Behörden abgenickt werden. Zusätzlich heißt es ausdrücklich, „lebend gefangene Hunde und Katzen sind als Fundsachen zu behandeln“.
Der Fall der Jägerin bei Augsburg wäre in Baden-Württemberg damit eindeutig: Sie hätte die Katze nicht töten dürfen, ansonsten läge eine Straftat vor. In ihrer weiß-blauen Heimat ist jedoch juristisch gesehen längst nicht alles klar. Offenbar hat die Frau auch im Bewusstsein gehandelt, auf der sicheren Seite zu sein. So erhielt die „Bild“-Zeitung von ihr folgendes Statement: „Das ist eine gängige Jagdpraxis. Es gab eine Fasanenfütterung einen Kilometer entfernt. Da stellt man eine Falle auf gegen wilderndes Raubzeug, da gehört eine Katze dazu.“
Eigentlich ist die Fallenjagd in erster Linie für Füchse oder Marder gedacht. Ihre Bedeutung sinkt jedoch. So haben einzelne Bundesländer die früher beliebten Totschlagfallen verboten. Vom Grundprinzip her bietet die Fallenjagd dem Jäger aber den Vorteil, nicht stundenlang auf dem Hochsitz lauern zu müssen – eine Erleichterung, die im besagten Fall wohl gerne wahrgenommen wurde.
Nach Polizei-Angaben laufen jetzt erst einmal Ermittlungen gegen die Frau. Eine erste Anzeige war demnach schon kurz nach Weihnachten eingegangen – noch bevor die „Soko Tierschutz“das Video veröffentlicht hatte. Diese Gruppierung beruft sich in erster Linie auf das Tierschutzgesetz. Ihr Vorsitzender Mülln schreibt, es stehe „unter Strafe, einem Wirbeltier aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen“. Er fügt an: „Unter Rohheit werden danach Handlungen verstanden, die sich durch Gleichgültigkeit sowie durch Emotionslosigkeit auszeichnen.“
Das Video vermittelt genau diese Sicht der Dinge – was unter anderem daran liegt, dass der offensichtlich verunsicherten Frau das schnelle Töten nicht gelingt. So dauert allein das Abspielen des Videos zwei Minuten und 17 Sekunden. Die allermeiste Zeit zeigen die Bilder Tötungsversuche. Wie dies im weiß-blauen Freistaat juristisch zu bewerten ist, bleibt allerdings offen. Gerichtlich wiegt deshalb womöglich schwerer, dass die Jägerin und ihre Begleiter eine für Katzen nicht zugelassene Drahtfalle benutzt haben.
Indes scheint es aber um die Frau herum bereits einsam zu werden. Der Bayerische Jagdverband hat empörte Distanz eingenommen. Mit knapp 50 000 Mitgliedern ist er die Generalvertretung der weißblauen Weidmänner – wobei nicht alle bayerischen Jäger in ihm organisiert sind. Davon abgesehen, soll jedoch ein Jägerausschuss des Verbandes prüfen, ob die Frau „gegen die Grundsätze der deutschen Weidgerechtigkeit“verstoßen habe. Käme dieser Ehrenrat zu einer solchen Erkenntnis, hätte dies laut Jagdverband folgende Konsequenz: Er würde den Behörden empfehlen, der Frau den Jagdschein zu nehmen.
Ernst Weidenbuch, Präsident des Bayerischen Jagdverbands und im Hauptberuf CSU-Landtagsabgeordneter, sagt dazu: „Für die weidmännisch jagenden Jäger gilt das ungeschriebene Verbot, kein Tier zu erlegen, das einen Namen tragen könnte.“Er ergänzt: „Wir lehren unseren Jagdschülern, versehentlich gefangene Katzen grundsätzlich in ein Tierheim zu bringen, wenn der Besitzer nicht bekannt ist.“
Bemerkenswerterweise scheinen Jagdverband, Öko- und Tierschutzorganisationen im aktuellen Fall gar nicht so weit auseinander zu sein. Ansonsten verharren Weidmänner, Tierschützer und Umweltaktivisten meist in ihren Schützengräben und feinden die andere Seite an. Aber speziell bei Katzen hat es in jüngerer Zeit Bewegung gegeben. So existiert etwa ein frontüberschreitender Konsens, dass zu viele samtpfötige Räuber ein Problem für andere Arten sein können.
„Wenn es gelänge, die Bestände verwilderter Hauskatzen zu reduzieren, hätte man das Problem sicherlich auf ein erträgliches Maß verringert“, hat etwa Nabu-Vogelschutzexperte Lars Lachmann in diversen Interviews gesagt. Mit Blick auf Forschungen und eigene Erfahrungen geht er davon aus, dass Brennpunkte der Vogelbedrohung besiedelte Gegenden sind – also Wohnviertel, in denen streunende Katzen auch weggeworfene Nahrungsmittel finden. Weniger betroffen seien Feld und Flur.
Bei Katzen kann für ihn und andere Tierschützer die Lösung nicht eine Kugel sein. In Wohnvierteln wäre dies sowieso verboten. Aber auch die verschiedenen Jagdverbände haben in jüngerer Zeit Abstand vom grundsätzlichen Katzentöten genommen – siehe das Statement des bayerischen Jägerpräsidenten. Als Patentlösung wird allerseits das Paderborner Modell gepriesen.
Das Beispiel aus der nordrheinwestfälischen Stadt geht auf das Jahr 2008 zurück. Paderborn litt unter verwilderten Katzen. Worauf der Stadtrat den Beschluss erließ, dass Katzenhalter ihre Tiere zu kastrieren und mittels Mikrochip oder Tätowierung zu kennzeichnen haben, sollten diese Freigang erhalten. Menschen, die streunende Katzen füttern, müssen deren Kastrierung sicherstellen.
Fünf Jahre später wurde das bundesweite Tierschutzgesetz entsprechend ergänzt. Demnach können Länder und Kommunen Katzenhalter zur Kastration ihrer Tiere verpflichten. Um herrenlose Tiere kümmern sich in diesem Zusammenhang oft Vereine oder einzelne Helfer – schon aus Mitleid. „Viele streunende Katzen sind krank, unterernährt oder verletzt“, notiert der Deutsche Tierschutzbund auf seiner Webseite.
Einen Haken hat die Hilfe jedoch: wenn immer neue geschlechtsreife Katzen ins herrenlose Leben drängen. „Entweder werden die Katzen nicht rechtzeitig kastriert und reißen dann aus. Oder sie werden von ihren Besitzern ausgesetzt, weil sie lästig, krank oder trächtig sind“, heißt es aus den Reihen des Katzenschutzbundes.
Gegen Gefühlslosigkeit scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Angeblich soll es auch noch Fälle geben, bei denen überzählige Jungkatzen einfach umgebracht werden – so wie es in alten Zeiten auf manchem Hof üblich war. Tierschutzvereine vermuten dies. Ein handfester Nachweis fehlt. Immerhin wäre auch das Töten der Katze bei Augsburg nicht publik geworden, hätte es das im Internet verbreitete Video nicht gegeben. Inzwischen will die Jägerin keine Stellung mehr dazu nehmen. „Aufgrund des laufendes Verfahrens möchte ich mich momentan nicht dazu äußern“, ist ihr bisher letztes öffentliches Zitat.
„Dieser Jägerin gehören sofort Waffe und Jagdschein weggenommen.“
Friedrich Mülln, Vorsitzender der Soko Tierschutz „Für die weidmännisch jagenden Jäger gilt das ungeschriebene Verbot, kein Tier zu erlegen, das einen Namen tragen könnte.“
Ernst Weidenbuch, Präsident des Bayerischen Jagdverbands und CSU-Landtagsabgeordneter