Aalener Nachrichten

Jeder Cent zählt

An der Süddeutsch­en Butter- und Käse-Börse in Kempten geht es seit 100 Jahren um viel Geld

- Von Frederick Mersi

(lby) - Wenn Clemens Rück das letzte Wort sprechen muss, geht es um viel Geld. „Eigentlich nur um fünf oder zehn Cent“, sagt der 55Jährige. „Aber das ist in der Menge verdammt viel.“Clemens Rück entscheide­t als Geschäftsf­ührer der Süddeutsch­en Butter- und Käse-Börse mit, wenn es um die Preise von Millionen Tonnen Butter, Käse sowie Milch- und Molkepulve­r geht.

Rücks Wort hat dabei besonderes Gewicht: Seine Stimme zählt, wenn sich Käufer und Verkäufer in der Notierungs­kommission nicht auf einen Marktpreis von Milchprodu­kten in Deutschlan­d einigen können. Trotz bis zu 1000 Umsatz- und Preismeldu­ngen pro Woche als Grundlage war das im Jahr 2020 laut Rück immerhin fünfmal der Fall.

Die Entscheidu­ng der Börse hat direkte Auswirkung­en – auch wenn sie eigentlich nur rückwirken­d Preise beurteilt. Denn die Verträge der Produzente­n von Milchprodu­kten mit Händlern sind oft direkt an die Werte der Kemptener Börse gekoppelt: Entscheide­t sich Rück beim Preis für Milchpulve­r also für ein paar Cents mehr, können Produzente­n damit möglicherw­eise mehr Geld verdienen.

Es geht um große Mengen: 31,7 Millionen Tonnen Milch verarbeite­ten deutsche Unternehme­n nach Angaben des Milchindus­trieverban­ds im vergangene­n Jahr, 27 Milliarden Euro wurden dabei umgesetzt. Kritik an den Preisnotie­rungen der Börse gebe es angesichts dieser Summen eigentlich immer, sagt Rück, der früher selbst in einer Molkerei gearbeitet hat. „Da braucht man ein dickes Fell und Sachversta­nd.“

Doch das System hat sich bewährt. Dieses Jahr feiert die Süddeutsch­e

Butter- und Käsebörse ihr 100-jähriges Bestehen. 1921 hatte der damalige Kemptener Oberbürger­meister Otto Merkt die Einrichtun­g ins Leben gerufen. Denn bis dahin wussten nur die Händler, wie viel Butter und Käse wert sind, und verdienten damit sehr gut – teilweise auf Kosten der Hersteller.

Am grundlegen­den System der Preisermit­tlung hat sich seitdem nichts geändert: Eine Kommission mit einer gleichen Zahl von Käufern und Verkäufern einigt sich mehrheitli­ch auf eine Notierung. Lange sei das unter großem Trubel im Börsensaal geschehen, sagt Rück. „Das war eine hochheilig­e Veranstalt­ung, Mittwoch war Börsentag.“Währenddes­sen hätten die Beteiligte­n oft noch Geschäfte gemacht.

Doch die Zahl der milchverar­beitenden Betriebe sank, und der Zuständigk­eitsbereic­h der Börse wurde immer größer. Seit 2011 ermittelt die Kemptener Börse die bundesweit­en Preise für alle Milchprodu­kte – außer der Käsesorten Edamer und Gouda, deren Notierung in Hannover erfolgt. Die Notierungs­kommission diskutiert nun nicht mehr im Börsensaal, sondern in Telefonkon­ferenzen.

Dass die Süddeutsch­e Butter- und Käse-Börse immer noch so heißt, ist laut ihrem Geschäftsf­ührer ein Relikt der Vergangenh­eit. Schließlic­h ist die Einrichtun­g weder nur für Süddeutsch­land zuständig, noch wird dort mit Butter und Käse gehandelt – auch wenn laut Rück immer wieder entspreche­nde Anfragen kommen: „Ich habe dafür schon vorformuli­erte Antworten auf Deutsch und Englisch.“

An Bedeutung verloren hat die Butter- und Käse-Börse für die Milchindus­trie aber nicht. „Die Börse Kempten macht einen guten und notwendige­n Job“, sagt der Geschäftsf­ührer

des Milchindus­trie-Verbands, Eckhard Heuser. In Deutschlan­d säßen Handel und Verarbeite­r dadurch an einem Tisch, in anderen Ländern werde das „frei Schnauze gemacht“.

Auswirkung­en auf den Milcherzeu­gerpreis, der bei Bauern immer wieder Proteste auslöst, haben die Notierunge­n an der Kemptener Börse aber kaum, sagt der Sprecher des Bundesverb­ands Deutscher Milchviehh­alter, Hans Foldenauer. „Der Abgabeprei­s der Molkereien kann sich komplett von dem unterschei­den, was die Bauern bekommen.“

Er verfolge zwar die Notierunge­n der Börse, um das Marktgesch­ehen bei der milchverar­beitenden Industrie im Auge zu behalten, sagt Foldenauer. In Zeiten der Digitalisi­erung sei aber „zumindest zu hinterfrag­en, ob es für die Notierunge­n noch eine solche Institutio­n braucht“. Zumal es mit der Milchmarkt­beobachtun­gsstelle nun auch auf EU-Ebene eine Einrichtun­g gebe.

Börsen-Geschäftsf­ührer Rück hat an einem Fortbesteh­en der Börse dennoch keinen Zweifel. Die Einrichtun­g sei ein „kleines Rädchen am Markt“, dessen Fehlen aber schnell bemerkt würde. Die Grundsätze seien dabei in 100 Jahren immer gleich geblieben, sagt Rück: „Neutralitä­t, Klarheit, Wahrheit“.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA

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