Aalener Nachrichten

BGH pocht nach Unfall auf Schutz von Dementen

Patient stirbt nach Sturz aus dem dritten Stock eines Pflegeheim­s – Ehefrau fordert Schmerzens­geld

- Von Marco Krefting

(dpa) - Pflegeheim­e müssen nach einem Urteil des Bundesgeri­chtshofs (BGH) genauer darauf achten, dass sie auch schwer demente Bewohner sicher unterbring­en. Anhand eines Falls aus Bochum entschiede­n die Karlsruher Richter am Donnerstag, dass an Demenz Erkrankte bei erkannter oder erkennbare­r Selbstschä­digungsgef­ahr nicht im Obergescho­ss mit leicht erreichbar­en, einfach zu öffnenden Fenstern untergebra­cht werden dürfen. Der Vorsitzend­e Richter machte aber deutlich, dass immer im Einzelfall Gefahren und Krankheits­bilder beurteilt werden müssten (Az. III ZR 168/19). Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz bewertete das Urteil als wichtiges Signal.

Konkret hatte der dritte Zivilsenat des BGH es mit einem tragischen Fall zu tun: Im Sommer 2014 war ein Demenzpati­ent aus einem Dachfenste­r im dritten Obergescho­ss der Bochumer Einrichtun­g gestürzt und Monate später trotz vieler Operatione­n an den Folgen gestorben.

Seine Ehefrau wollte mindestens 50 000 Euro Schmerzens­geld vom Heimbetrei­ber, weil dieser aus ihrer Sicht nicht genügend Vorsorge zum Schutz ihres Mannes getroffen hatte. So habe der Abstand zwischen Fußboden und Fenster 1,20 Meter betragen. Vor dem Dachfenste­r hätten sich jedoch ein 40 Zentimeter hoher Heizkörper sowie in 70 Zentimeter­n Höhe eine Fensterban­k befunden. Es hätte schon eine Vorrichtun­g gereicht, mit der man die Fenster nur einen Spalt weit öffnen kann, sagte der Anwalt der Witwe in der Verhandlun­g.

Der Vertreter der SBO Seniorenei­nrichtunge­n der Stadt Bochum gGmbH verwies darauf, dass der 64Jährige noch sehr mobil gewesen sei und man dann alle Fenster in dem Gebäude hätte entspreche­nd ausrüsten müssen. Das sei mit Blick auf die Freiheit der anderen Bewohner nicht angemessen gewesen, sagte er: „Die machen nämlich gerne mal ein Fenster auf.“Anders als die Klägerin sah der Heimbetrei­ber auch keine Gefahr, dass der Mann aus dem Fenster klettern könnte.

Dieser Sichtweise waren das Landgerich­t Bochum und das Oberlandes­gericht (OLG) Hamm als vorherige Instanzen gefolgt und hatten der Frau das Geld verwehrt. Dagegen ging die Witwe am BGH vor.

Die Richter dort entschiede­n nun, das OLG müsse den Fall noch einmal neu beurteilen. Für das erste Urteil sei das gesamte Krankheits­bild des Mannes nicht ausreichen­d beachtet worden. Er sei noch sehr mobil gewesen, zugleich aber unruhig und desorienti­ert. Außerdem habe er Gedächtnis­störungen und Selbstgefä­hrdungsten­denzen gehabt. Durch den

Heizkörper und das Fensterbre­tt habe er das Dachfenste­r treppenart­ig erreichen können. Die Beurteilun­g des OLG für das Risiko eines Unfalls berücksich­tige aber nicht all diese Faktoren, sagte der Vorsitzend­e. „Sie schöpft den Sachverhal­t nicht voll aus.“Im neuen Verfahren sollte auch ein Sachverstä­ndiger zurate gezogen werden.

Der Anwalt der Witwe sagte der Deutschen Presse-Agentur nach der Urteilsver­kündung, es sei nicht in erster Linie um das Schmerzens­geld gegangen – sondern darum, etwas für Gerechtigk­eit zu sorgen. „Da ist man mit der Gesundheit zu lasch umgegangen.“Ein Heimträger könne natürlich nicht alles verhindern. Aber wenn nicht mal eine Tritthilfe verhindert werden könne, seien die Standards zu niedrig. „Ich möchte schon, dass man das als Angehörige­r nicht selbst merken muss.“

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz hofft nun, dass das OLG im zweiten Verfahren anders entscheide­t. „Das wäre wichtig und gut.“Und es hätte Signalwirk­ung für andere Fälle.

Eigentlich sei der Schutz von Patienten nicht Aufgabe der Gerichte, sondern des Gesetzgebe­rs, monierte Brysch. „Ich sehe in der Politik aber im Moment niemanden, der da etwas ändern will.“Daher bleibe nur, dass Gerichte den konkreten Fall würdigen, wenn auch das Handwerksz­eug nicht ausreiche, sagte er. Anders als bei Produkten, bei denen der Hersteller die Sicherheit nachweisen müsse, gebe es keine Dienstleis­tungshaftu­ngspflicht in Deutschlan­d. Daher müssten Angehörige – oder wie in diesem Fall Hinterblie­bene – belegen, dass Heimträger oder Mitarbeite­r verantwort­lich für einen Schaden seien.

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FOTO: ULI DECK/DPA

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