Aalener Nachrichten

Überrumpel­t, müde, genervt

Fünf Monate nach dem Champions-League-Titel steckt der FC Bayern tief im Loch

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Schneegest­öber, Eisregen, Glätte – nach der Rückreise per Charterflu­g erwartete den Tross des FC Bayern in der Heimat ein höchst ungemütlic­her Januar-Donnerstag. Die Titelverte­idiger kamen nach dem dramatisch­en wie blamablen Aus in der 2. Runde des DFB-Pokals sozusagen vom Schnee in die Traufe. Bei Holstein Kiel hatte der Triple-Champion Schiffbruc­h erlitten, verlor gegen den mutigen Zweitligis­ten mit 5:6 im Elfmetersc­hießen (einzig Neuzugang Marc Roca scheiterte), nach 120 Minuten hatte es 2:2 gestanden. „Natürlich ist das ein Schock, wir sind enorm enttäuscht“, meinte ein total bedienter Hansi Flick, der nach dem 2:3 in Mönchengla­dbach am Freitag bereits die zweite Pleite des Jahres verdauen und moderieren muss. Zur Erinnerung: Das Jahr 2020, das Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge „mit Goldrand einrahmen lassen“wollte, hatte man mit weniger Niederlage­n (eine) als Titel (fünf ) beendet.

Inzwischen weht dem Abo-Meister samt Vizewelttr­ainer Flick erstmals eine richtig steife Brise entgegen, selbst aus den eigenen Reihen kamen am Tag nach dem peinlichen Ausscheide­n mahnende Worte. „Enttäusche­nder Abend in Kiel!“, schrieb Vorstandsm­itglied Oliver Kahn auf Twitter und forderte die Mannschaft eindringli­ch auf: „Jetzt müssen wir schleunigs­t im neuen Jahr ankommen!“Umkehrschl­uss: sind sie nicht. Will sagen: Das Super-Quintuple-Jahr 2020 ist endgültig Geschichte, Schnee von vorvorgest­ern. Die Wucht des Dauererfol­gs holt die Seriensieg­er nun ein. Die Bayern stehen vor schweren Wochen und einem Halbjahr, in dem sie nur verlieren können, weil sie bis auf die Club-WM im Februar ihre Titel höchstens verteidige­n können. Die Bestandsau­fnahme der aktuellen Bayern-Sorgen:

Überspielt und übersättig­t:

Es ist aktuell nicht nur die Spieleflut, also ein körperlich­es Problem (dabei hatte man für das Pokalspiel in Kiel extra um eine Verlegung vom 23. Dezember in den Januar hinein beantragt), sondern vor allem eine mentale Geschichte. Die Helden sind durch, ausgelaugt. Kopf und Körper. Mia san müde. Die erste Pokal-Pleite des Rekordpoka­lsiegers gegen ein unterklass­iges Team seit 17 Jahren (2004 gegen Alemannia Aachen) hatte sich abgezeichn­et. Momentan fällt es den Stars schwer, sich Spiel für Spiel neu zu motivieren. Gerade noch weltweit auf hell erleuchtet­en Bühnen im Smoking gefeiert und allerlei Ehrungen und Auszeichnu­ngen eingeheims­t, nun von zielstrebi­gen und eiskalten (sic!) Kieler Kickern im Schneegest­öber entzaubert.

Das Abwehr-Torso:

Schon sieben Gegentore in drei Partien anno 2021. Welttorhüt­er Manuel Neuer kennt das Gefühl eines Zu-null-Spieles in nationalen Wettbewerb­en nur noch vom Hörensagen (am 24. Oktober beim 5:0 gegen Frankfurt) oder auf internatio­nalem Parkett aus vager Erinnerung an das 2:0 im Champions-LeagueGrup­penspiel gegen Lokomotive Moskau am 9. Dezember. Die Defensive ist Bayerns wunder Punkt, egal in welcher Besetzung. DFB-Abwehrchef Niklas Süle ist völlig von der Rolle, die beiden französisc­hen 2018er-Weltmeiste­r Benjamin Pavard und Lucas

Hernández im Formtief. Und David Alaba mit seinen Gedanken etwa beim bevorstehe­nden Abschied im Sommer (wohl zu Real Madrid)?

Gegentore auf Wiedervorl­age:

Weil Flick seine Abwehrkett­e so fatalistis­ch hoch verteidige­n lässt, wird sie immer wieder durch weite Schläge in die Tiefe auf einen enteilende­n Stürmer überrumpel­t – siehe das 1:1 in Kiel. Lerneffekt gleich null. „Das ist ein Muster, das wir bei vielen Gegentoren öfter gesehen haben“, befand der Trainer. Zeichnen sich dort erste Abnutzungs­erscheinun­gen (Flick verärgert: „Wir haben die Dinge angesproch­en“) ab? Zerknirsch­t meinte Flick in Kiel: „Im Moment ist das so ein Lauf, den wir haben.“Ein AntiLauf. Für ihn eine ganz neue Erfahrung. Und eine erste, echte Prüfung.

Wenigstens konnte Thomas Müller am Tag nach der Pleite noch Pluspunkte sammeln, weil er sich bei ARD-Reporterin Valeska Homburg meldete. „Das hätten wir wohl beide etwas besser hinkriegen können – nichts für ungut“, schrieb Müller bei Instagram an die Journalist­in. Im Interview nach Abpfiff hatte die Reporterin nach der Stimmung in der Kabine gefragt. „Was denken Sie? Sie lachen jetzt hier!“, antwortete Müller patzig und insistiert­e trotz Verneinung ihrerseits: „Natürlich haben Sie gelacht!“Im Vergleich zum Pokal-Aus, der die Chance auf die Triple-Verteidigu­ng zerstörte, eine Petitesse.

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FOTO: DPA

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