Überrumpelt, müde, genervt
Fünf Monate nach dem Champions-League-Titel steckt der FC Bayern tief im Loch
MÜNCHEN - Schneegestöber, Eisregen, Glätte – nach der Rückreise per Charterflug erwartete den Tross des FC Bayern in der Heimat ein höchst ungemütlicher Januar-Donnerstag. Die Titelverteidiger kamen nach dem dramatischen wie blamablen Aus in der 2. Runde des DFB-Pokals sozusagen vom Schnee in die Traufe. Bei Holstein Kiel hatte der Triple-Champion Schiffbruch erlitten, verlor gegen den mutigen Zweitligisten mit 5:6 im Elfmeterschießen (einzig Neuzugang Marc Roca scheiterte), nach 120 Minuten hatte es 2:2 gestanden. „Natürlich ist das ein Schock, wir sind enorm enttäuscht“, meinte ein total bedienter Hansi Flick, der nach dem 2:3 in Mönchengladbach am Freitag bereits die zweite Pleite des Jahres verdauen und moderieren muss. Zur Erinnerung: Das Jahr 2020, das Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge „mit Goldrand einrahmen lassen“wollte, hatte man mit weniger Niederlagen (eine) als Titel (fünf ) beendet.
Inzwischen weht dem Abo-Meister samt Vizewelttrainer Flick erstmals eine richtig steife Brise entgegen, selbst aus den eigenen Reihen kamen am Tag nach dem peinlichen Ausscheiden mahnende Worte. „Enttäuschender Abend in Kiel!“, schrieb Vorstandsmitglied Oliver Kahn auf Twitter und forderte die Mannschaft eindringlich auf: „Jetzt müssen wir schleunigst im neuen Jahr ankommen!“Umkehrschluss: sind sie nicht. Will sagen: Das Super-Quintuple-Jahr 2020 ist endgültig Geschichte, Schnee von vorvorgestern. Die Wucht des Dauererfolgs holt die Seriensieger nun ein. Die Bayern stehen vor schweren Wochen und einem Halbjahr, in dem sie nur verlieren können, weil sie bis auf die Club-WM im Februar ihre Titel höchstens verteidigen können. Die Bestandsaufnahme der aktuellen Bayern-Sorgen:
Überspielt und übersättigt:
Es ist aktuell nicht nur die Spieleflut, also ein körperliches Problem (dabei hatte man für das Pokalspiel in Kiel extra um eine Verlegung vom 23. Dezember in den Januar hinein beantragt), sondern vor allem eine mentale Geschichte. Die Helden sind durch, ausgelaugt. Kopf und Körper. Mia san müde. Die erste Pokal-Pleite des Rekordpokalsiegers gegen ein unterklassiges Team seit 17 Jahren (2004 gegen Alemannia Aachen) hatte sich abgezeichnet. Momentan fällt es den Stars schwer, sich Spiel für Spiel neu zu motivieren. Gerade noch weltweit auf hell erleuchteten Bühnen im Smoking gefeiert und allerlei Ehrungen und Auszeichnungen eingeheimst, nun von zielstrebigen und eiskalten (sic!) Kieler Kickern im Schneegestöber entzaubert.
Das Abwehr-Torso:
Schon sieben Gegentore in drei Partien anno 2021. Welttorhüter Manuel Neuer kennt das Gefühl eines Zu-null-Spieles in nationalen Wettbewerben nur noch vom Hörensagen (am 24. Oktober beim 5:0 gegen Frankfurt) oder auf internationalem Parkett aus vager Erinnerung an das 2:0 im Champions-LeagueGruppenspiel gegen Lokomotive Moskau am 9. Dezember. Die Defensive ist Bayerns wunder Punkt, egal in welcher Besetzung. DFB-Abwehrchef Niklas Süle ist völlig von der Rolle, die beiden französischen 2018er-Weltmeister Benjamin Pavard und Lucas
Hernández im Formtief. Und David Alaba mit seinen Gedanken etwa beim bevorstehenden Abschied im Sommer (wohl zu Real Madrid)?
Gegentore auf Wiedervorlage:
Weil Flick seine Abwehrkette so fatalistisch hoch verteidigen lässt, wird sie immer wieder durch weite Schläge in die Tiefe auf einen enteilenden Stürmer überrumpelt – siehe das 1:1 in Kiel. Lerneffekt gleich null. „Das ist ein Muster, das wir bei vielen Gegentoren öfter gesehen haben“, befand der Trainer. Zeichnen sich dort erste Abnutzungserscheinungen (Flick verärgert: „Wir haben die Dinge angesprochen“) ab? Zerknirscht meinte Flick in Kiel: „Im Moment ist das so ein Lauf, den wir haben.“Ein AntiLauf. Für ihn eine ganz neue Erfahrung. Und eine erste, echte Prüfung.
Wenigstens konnte Thomas Müller am Tag nach der Pleite noch Pluspunkte sammeln, weil er sich bei ARD-Reporterin Valeska Homburg meldete. „Das hätten wir wohl beide etwas besser hinkriegen können – nichts für ungut“, schrieb Müller bei Instagram an die Journalistin. Im Interview nach Abpfiff hatte die Reporterin nach der Stimmung in der Kabine gefragt. „Was denken Sie? Sie lachen jetzt hier!“, antwortete Müller patzig und insistierte trotz Verneinung ihrerseits: „Natürlich haben Sie gelacht!“Im Vergleich zum Pokal-Aus, der die Chance auf die Triple-Verteidigung zerstörte, eine Petitesse.