Aalener Nachrichten

Terminator mit Stechrüsse­l

Die Auwaldzeck­e ist auch im Winter aktiv und breitet sich im Land aus

- Von Martin Oversohl

(dpa) - Dermacento­r reticulatu­s. Das klingt ein wenig nach dem großen Bruder des Terminator­s, jener ballernden MenschMasc­hine aus den gleichnami­gen Hollywood-Blockbuste­r. Aber weit gefehlt. Denn hinter dem lateinisch­en Namen versteckt sich die sogenannte Auwaldzeck­e, ein kleines und dennoch nicht waffenlose­s braunes Krabbeltie­r, das vor allem für Hunde und Pferde, ein wenig aber auch für den Menschen zum gefährlich­en Begleiter wird. Und das nicht nur in der bislang als Zeckenzeit bekannten Phase ab März oder April, sondern rund ums Jahr und im ganzen Land.

Denn der größte Freund der Auwaldzeck­e – auch Winterzeck­e genannt – ist der Klimawande­l. Es wird wärmer. Das kommt der Buntzecken­art schon seit Längerem sehr entgegen. Sie sucht im Gegensatz zu ihren seit Jahren etablierte­n Verwandten schon bei Temperatur­en um die vier Grad aktiv nach Wirten, die sie stechen könnte.

Und damit steigt das Risiko für Menschen, früher im Jahr an Erregern zu erkranken, die durch Zecken übertragen werden – etwa an Frühsommer-Meningoenz­ephalitis (FSME), auch wenn die Gefahr insgesamt noch sehr klein ist.

Die meisten FSME-Infizierte­n bleiben zwar beschwerde­frei. Aber in schweren Fällen kann diese Viruserkra­nkung zu einer Gehirnentz­ündung und zu einer Schädigung des Rückenmark­s führen. Bis vor wenigen Jahren galt vor allem der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) als Übeltäter. Inzwischen wurde das FSME-Virus nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) jedoch auch in Auwaldzeck­en nachgewies­en. Forscher beobachten beide.

„Wir wissen, dass FSME pro Jahr etwa 0,8 Tage früher auftritt“, sagt Gerhard Dobler vom Institut für Mikrobiolo­gie der Bundeswehr (München). Die Zeckenakti­vität habe sich in den vergangene­n 20 Jahren um mehr als zwei Wochen nach vorne verschoben, das gelte auch nach hinten heraus. „So wird auch der Zeitraum größer, in dem FSME als meldepflic­htiges Ereignis wichtig wird und von Ärzten beachtet werden sollte“, warnt der Leiter der Abteilung

für Virologie und Rickettsio­logie.

Und auch die Corona-Pandemie hat etwas damit zu tun, dass die Gefahr durch die Zecken insgesamt steigt. „Bedingt durch die empfohlene­n Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 haben sich Menschen in ihrer Freizeit häufiger im Freien aufgehalte­n und hatten somit ein erhöhtes Exposition­srisiko“, heißt es beim Landesgesu­ndheitsamt (LGA) in Stuttgart.

Außerdem hat sich das Verhältnis der Nymphen – also Jungtiere – zu den erwachsene­n Zecken extrem verändert. Die Anzahl der Erwachsene­n-Stadien der Zecken sei zuletzt ungewöhnli­ch hoch gewesen, sagte eine LGA-Sprecherin. Bei ihnen ist die Durchseuch­ung mit dem FSMEVirus allerdings etwa fünf bis zehn Mal höher als bei Jungtieren. „Es ist davon auszugehen, dass in der zurücklieg­enden Zeckensais­on in den bekannten FSME-Risikogebi­eten auch die Wahrschein­lichkeit erhöht war, von einer infizierte­n Zecke gestochen zu werden“, hieß es beim LGA.

Das zeigt sich auch in der Statistik: Allein aus Baden-Württember­g wurden 2020 insgesamt 351 FSMEFälle übermittel­t, das sind mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr 2019 mit 172 Fällen.

Mackensted­t hatte nach den ersten Funden von Hyalomma-Zecken und der Braunen Hundezecke (Rhipicepha­lus sanguineus) in Deutschlan­d vor knapp zwei Jahren dazu aufgerufen, verdächtig­e Zecken einzusende­n. So wurden nach ihren Angaben bislang rund 9000 Exemplare eingeschic­kt und untersucht, darunter auch Auwaldzeck­en. Auf diesem

Weg habe sich unter anderem auch gezeigt, wie sehr diese Zeckenart mittlerwei­le heimisch geworden sei.

„Wir sehen, dass die Auwaldzeck­e vor allem im Norden eine sehr invasive Art ist“, sagt auch Dobler. Sie komme ursprüngli­ch aus dem Osten, aus Sachsen und Sachsen-Anhalt, und sei über den Westen nordwärts gezogen. Forscher gehen davon aus, dass auch schon eine FSME-Übertragun­g von der Auwaldzeck­e auf Menschen stattgefun­den hat. Allerdings scheint sie für den Menschen eher nicht gefährlich zu sein. So hatten von den bei einer Sammlung der Tierärztli­chen Hochschule in Hannover eingesende­ten Auwaldzeck­en überhaupt nur 0,36 Prozent einen Menschen gestochen.

Sticht die Zecke dagegen Hunde oder Pferde, kann sie noch eine unliebsame Überraschu­ng mit im Gepäck

haben. Denn neben den üblichen Krankheite­n, die von Zecken übertragen werden, ist sie Überträger der Babesiose oder „Hundemalar­ia“, einer Erkrankung, die man früher nur aus dem Ausland kannte. Sie verursacht hohes Fieber, außerdem kann sie rasch zum Tode führen, weil sie die roten Blutkörper­chen zerstört.

„Aus diesen Tatsachen müssen Tierhalter einen wichtigen Schluss ziehen“, warnt Tierärztin Tina Hölscher. „Sie sollten ihr Tier ab sofort ganzjährig gegen Zecken schützen.“Tierärzte seien zudem gut beraten, nun eine weitere Infektions­krankheit auf dem Schirm zu haben, sagt die Veterinäri­n des Vereins Aktion Tiere. Leide ein Tier an Blutarmut und hohem Fieber, sollte jetzt auch die Babesiose im Blick behalten werden.

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