Händler befürchten dauerhafte Schäden für die Innenstädte
Schuhhändler Friedrich Werdich über die Verzweiflung der Einzelhändler und Corona-Hilfen, die auf sich warten lassen
(hego) - Der Geschäftsführer des Schuhhauses Werdich, Friedrich Werdich, warnt angesichts der schwierigen Lage für die stationären Einzelhändler vor verwaisten Innenstädten im Südwesten. „Die Innenstadt ist ein kulturelles Gut für unsere Gesellschaft mit Strukturen, die über Jahrhunderte gewachsen sind“, sagte Werdich im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Dieses Kulturgut drohe zu verschwinden. Der Handelsverband Deutschland schätzt, dass bis zu 50 000 Geschäfte wegen der Corona-Krise schließen müssen. „Wenn Geschäfte schließen, gehen Mieter und Arbeitsplätze verloren, die einen großen Teil zum Bruttosozialprodukt in der Innenstadt beitragen“, sagte Werdich. Und das habe langfristige Folgen.
- Ohnmacht. Das fühlt Friedrich Werdich, wenn er an die Lage der stationären Einzelhändler in Baden-Württemberg und auch an seine eigene Lage denkt. Der Geschäftsführer des Schuhhauses Werdich musste seine 38 Filialen wegen des Lockdowns schließen. Eine Wiedereröffnung rückt in immer weitere Ferne. Die Corona-Hilfen kommen bisher nicht an. Mit anderen betroffenen Kollegen hat Werdich die Initiative „Handel steht zusammen“gegründet, um auf die Situation der Einzelhändler aufmerksam zu machen. Helena Golz hat mit Friedrich Werdich über die Verzweiflung der Branche und die Kritik an den staatlichen Hilfen gesprochen.
Der Handelsverband Deutschland schätzt, dass bis zu 50 000 Geschäfte wegen der Corona-Krise schließen müssen. Was passiert, wenn der kleine und mittelständische Einzelhandel aus den Innenstädten verschwindet?
Die Innenstadt ist ein kulturelles Gut für unsere Gesellschaft mit Strukturen, die über Jahrhunderte gewachsen sind. Dieses Kulturgut geht verloren, wenn die Innenstädte verwaisen. Wenn Geschäfte schließen, gehen Mieter und Arbeitsplätze verloren, die einen großen Teil zum Bruttosozialprodukt in der Innenstadt beitragen. Heutige schöne Fassaden werden nicht mehr so gut in Schuss gehalten werden können, weil das Geld fehlt. Außerdem geht Vielfalt verloren. Vakante Mietflächen werden – und das sieht man ja jetzt schon – entweder leer bleiben oder mit weniger attraktiven Geschäften aufgefüllt.
Um das zu verhindern haben Sie die Initiative „Handel steht zusammen“gegründet. Was steckt dahinter?
Die notwendigen gesetzlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben den Handel bis ins Mark getroffen. Zwei Shutdowns binnen eines Zeitraumes von neun Monaten haben die wirtschaftliche Basis kleiner und großer Handelsunternehmen nachhaltig geschädigt. Völlig unverschuldet steht die Existenz zahlreicher Firmen und Arbeitsplätze auf dem Spiel. Mit unserer Initiative haben wir diesen akuten Sorgen des Handels ein Gesicht gegeben. Die Unternehmen der Initiatoren – Mode & Sport Reischmann, Amica Parfümerie Bittel, Rupp Leder- und Spielwaren, Modehaus Binder, Modehaus Michelberger und eben unser Schuhhaus Werdich – verkörpern einen repräsentativen Querschnitt des mittelständischen Fachhandels. So können wir der Politik glaubhaft ein Bild der Situation im Handel zeichnen und Lösungen aufzeigen.
Sie und Ihre Kollegen kritisieren, dass die bisherigen staatlichen Hilfen nicht adäquat sind. Im Gegenteil: Sie seien unfair.
Vorab ist es uns wichtig zu betonen, dass wir alle Maßnahmen der Politik, die dem Schutz menschlichen Lebens dienen, explizit unterstützen. Sehen Sie, die Händler haben die Hygienekonzepte sehr akribisch umgesetzt. Die wenigen Corona-Fälle, die es in den Betrieben gab, waren zum überwiegenden Teil auf den privaten Bereich zurückzuführen, nicht auf eine Ansteckung im Geschäft. Wenn wir trotz alldem zum Wohle der Gesellschaft schließen müssen, dann brauchen wir im Gegenzug adäquate Hilfe. Es wurden zwar relativ viele Hilfsprogramme aufgelegt, aber beim mittelständisch geprägten Handel sind die Hilfen bis dato nicht angekommen. Von versprochenen elf Milliarden Euro, wurden bis Jahresende nur 90 Millionen Euro ausgezahlt.
Dabei klingt die Hilfe auf dem Papier eigentlich gut. Die Politik hat mit der Überbrückungshilfe III schon vor Wochen zugesagt, Unternehmen, die direkt oder indirekt von den Schließungen betroffen sind, mit bis zu 500 000 Euro monatlich zu helfen. Je nach Höhe des Umsatzausfalls gibt es einen Zuschuss zu den monatlichen Fixkosten. Die Geschäfte können außerdem den Wertverlust der Ware, die wegen des Lockdowns nicht verkaufen konnten, von der Steuer absetzen. Was kritisieren Sie daran?
Die bisher kommunizierten Regeln der Überbrückungshilfe III können leider in nur sehr wenigen Punkten die tatsächlichen Bedürfnisse der Firmen erfüllen. Im modischen Handel sind beispielsweise die aktuell hohen Lagerbestände an Saisonware ein großes Problem. Diese sollten zunächst als „Teilwertabschlag“bei der Steuer abgesetzt werden können. Der überwiegende Teil des modischen Einzelhandels wird 2020 in Folge von zwei Shutdowns tiefrote Zahlen schreiben. Eine Sonderabschreibung zur Minderung der faktisch nicht vorhandenen Steuerlast infolge hoher Verluste macht keinerlei Sinn. Vielmehr brauchen die Händler Liquidität, um bei keinen oder nur sehr geringen Einnahmen die laufenden Kosten bezahlen zu können. Der zweite Punkt ist die Begrenzung der monatlichen Hilfen auf maximal 500 000 Euro Fixkosten. Es gibt viele Mittelständler hier in Baden-Württemberg, die deutlich darüber liegen. Der dritte Punkt ist, dass der Zeitraum der Entschädigung nicht dem tatsächlichen Schließungszeitraum entspricht. Entschädigungszeiträume auf Kalendermonate festzulegen, obwohl die Schließungen mitten im Monat beginnen und wahrscheinlich enden, verwässert die Anspruchsgrundlage.
Nun verspricht die Politik Anpassungen. Sie will beispielsweise die Zuschüsse von 500 000 Euro pro Monat auf bis zu 1,5 Millionen Euro anheben und Abschreibungen auf saisonale Ware in den Katalog erstattungsfähiger Fixkosten aufnehmen. Bringt das die von der Intitiative „Handel steht zusammen“gefoderte Entlastung?
Wir sind hier auf einem guten Weg. Leider sind aber heute noch viele Ausgestaltungspunkte der Hilfen völlig offen. Die Politik vermittelt seit Wochen in der Öffentlichkeit das Bild, dass auskömmliche Hilfen für den Handel bereitgestellt wurden. Die Realität zeigt aber ein anderes Bild. Es sind bislang kaum Hilfen ausbezahlt worden. Bei #handelstehtzusammen stehen wir für branchenspezifisch faire Hilfen ein. Hier kommt es in den weiteren Gesprächen mit der Politik und den Verantwortlichen auf die berühmten Details an.
Wie schnell muss das jetzt gehen?
Die Zeit drängt, denn insbesondere im modischen Einzelhandel haben die Händler ein klassisches Saisongeschäft. Sechs Monate im Voraus bestellt der Modehandel die Ware. Das heißt jetzt im Januar wird die Mode für das kommende Frühjahr geliefert und damit flattern auch die Rechnungen ins Haus. Die Liquiditätssituation aller Händler ist momentan aber dramatisch angespannt. Die nächsten vier, fünf, sechs Wochen sind jetzt sehr entscheidend. Die Hilfen müssen ganz dringend ausbezahlt werden, denn die Händler leben derzeit im besten Fall von ihrem Ersparten, Geld, das eigentlich für Zukunftsinvestitionen gedacht ist. Das geht nur eine gewisse Weile lang gut.
Sie selbst beschäftigen rund 500 Mitarbeiter? Was sagen Sie ihnen, wie es weitergeht?
Wir vertrauen auf den Impfstoff und versuchen, sehr viel und sehr offen die aktuelle Situation im Unternehmen zu kommunizieren. Aber die Lage ist natürlich für unsere Mitarbeiter dramatisch. Sie sind daheim und beziehen Kurzarbeitergeld, das leider weit weg von dem ist, was sie verdienen würden, wenn sie ihrer Tätigkeit nachgehen könnten. Das ist natürlich schon ein dramatischer Einschnitt, der richtig weh tut.
Das Schuhhaus Werdich hat einen Onlineshop. Kann dieser die Umsatzverluste aus dem stationären Einzelhandel nicht auffangen?
Das ist natürlich ein Argument, das wir auch oft von unseren Vermietern zu hören bekommen. Wir könnten doch online weiter verkaufen. Das stimmt, das machen wir auch in großem Umfang, aber wir verdienen dabei kein Geld. Denn wenn wir ehrlich sind, gibt es bei Onlinebestellungen Rücksendequoten zwischen 50 und 70 Prozent. Das heißt im besten Fall: Sie schicken zwei Paar Schuhe raus, dann behält der Kunde eines. Da verdient man kein Geld mit. Bei dem Onlineshop geht es uns primär um den Service und darum, den Kontakt mit den Kunden nicht abreißen zu lassen.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagt, dass die Corona-Krise auch eine Chance ist, dass sich die Einzelhändler besser digital aufstellen. Hat der Einzelhandel das Thema bisher vernachlässigt und wird jetzt davon eingeholt?
Das sehe ich nicht so. Unser Unternehmen arbeitet bereits seit vielen Jahren intensiv an den digitalen Themen. Beispielsweise ging unser Onlineshop bereits 2006 an den Start. Man braucht eine enorme Finanzkraft und einen langen Atem, um ein erfolgreiches digitales Modell aufbauen zu können. Und die große Mehrheit der 200 000 Unternehmen im Nicht-Lebensmitteleinzelhandel sind mittelständische oder kleine Unternehmen. Für die ist es eine echte Herausforderung, so etwas zu stemmen. Deswegen haben sicherlich viele Unternehmen in der Vergangenheit diese Investition gescheut.
Wie ist die Situation für Sie ganz persönlich als Chef und Verantwortlicher zurzeit? Wie haben Sie das vergangene Jahr erlebt?
Das sind Existenzängste, die einen umtreiben, ohne dass unser Haus derzeit akut in seiner Existenz bedroht wäre. Aber ich habe eine Verantwortung gegenüber 500 Mitarbeitern und auch gegenüber der 126jährigen Unternehmenshistorie. Ich führe das Schuhhaus Werdich in der vierten Familiengeneration. Also möchte ich alles tun, damit das Unternehmen die Krise bestmöglich übersteht. Dabei wird man sehr demütig. Man ist wieder froh und dankbar über die vielen positiven, vermeintlich kleinen Dinge des Alltags und Geschäftslebens.