Streit um Rüben und Bienen
Debatte über Einsatz einer umstrittenen Chemikalie
(thg) - Das Ziel ist klar: Baden-Württembergs Landesregierung möchte, dass in der Landwirtschaft generell weniger Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen. nun jedoch ist ein Streit über den Einsatz von Neonicotinoiden entbrannt. Denn die Bauern dürfen die Chemikalie, die seit 2018 innerhalb der EU verboten ist und vor allem für Bienen als gefährlich gilt, mit einer Notfallzulassung einsetzen. Die Erklärung hierfür: Da die Zuckerrübe unter einem Virus leidet, wäre mit einem Verzicht auf das Mittel womöglich die komplette Ernte gefährdet.
Sowohl der Naturschutzbund (Nabu) als auch das Institut für ökologische Bienenhaltung Pro Biene kritisieren dies massiv. Pro Biene ruft zu Protesten auf. Larissa Kamp, Geschäftsführerin der Zuckerrübenanbauer im Südwesten, sagt indes: „Wir suchen nach Alternativen, aber im Moment gibt es einfach keine. Wir haben keine andere Wahl.“
- Deutlich weniger Pflanzenschutzmittel: Das ist erklärtes Ziel des Landes. Doch nun dürfen Landwirte eine Chemikalie einsetzen, die besonders für Bienen gefährlich ist. Der Grund: Ohne das Mittel wäre eine komplette Zuckerrübenernte in Gefahr.
Die Zuckerrübe leidet unter einem Virus. Ist eine Pflanze befallen, färben sich ihre Blätter gelb und werden brüchig. Viröse Vergilbung nennt sich die Krankheit. Die Folge für Rübenbauern: Ertragsausfälle von bis zu 50 Prozent. Abhilfe schafft die Behandlung mit einem Neonicotinoid – das ist aber seit 2018 in der Europäischen Union verboten. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat nun eine Notfallzulassung für das eigentlich verbotene Insektizid erteilt. Zurecht, sagt Larissa Kamp, Geschäftsführerin des Verbands baden-württembergischer Zuckerrübenanbauer. „Der Fortbestand des Rübenbaus in Baden-Württemberg hängt im Moment von den Neonicotinoiden ab“, sagt sie. „Wir suchen nach Alternativen, aber im Moment gibt es einfach keine. Wir haben keine andere Wahl.“Seit dem Verbot 2018 behandelten die Bauern ihre Rübenpflanzen flächendeckend und mehrfach mit anderen Insektiziden – statt wie zuvor nur das Saatgut mit den Neonicotinoiden. „Das ist nicht nur viel mehr Aufwand, es wirkt auch nicht so gut und man schadet nicht nur dem Schädling, sondern auch den Nützlingen. Man bringt also das gesamte Gefüge durcheinander“, sagt Kamp. Das sei keine umweltschonendere Alternative zu den Neonicotioniden.
Doch die größte Sorge der Naturschützer bei den Neonicotioniden gilt ebenfalls einem Nützling: der Biene. „Bereits fünf Milliardstel Gramm der Chemikalie reichen aus, um eine Honigbiene zu töten, Schädigungen treten bereits bei noch geringeren Mengen auf. Die zugelassene Wirkstoffmenge pro Hektar würde somit theoretisch reichen, um 9,9 Milliarden Bienen zu töten“, sagt Nabu-Landwirtschaftsreferent Jochen Goedecke. Der Naturschutzbund (Nabu) sieht in dem Vorgehen einen Widerspruch zu dem 2020 von der grün-schwarzen Landesregierung verabschiedeten Artenschutzgesetz. Demnach muss der Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel bis 2030 um 40 bis 50 Prozent zurückgefahren werden.
Das Institut für ökologische Bienenhaltung Pro Biene, das den Weg zum Artenschutzgesetz in BadenWürttemberg per Volksbegehren bereitete, ruft die Bürger deshalb dazu auf, gegen die Neonicotinoide zu protestieren. „Die Landesregierung hat auf unser Drängen im Rahmen des Volksbegehrens hin versprochen, Baden-Württemberg zum Vorreiter in Sachen Insektenschutz zu machen“, sagt Pro-Biene-Geschäftsführer und Imker Tobias Miltenberger. „Alle Bürger und Bürgerinnen, die damals im Vertrauen auf die Versprechen der Landesregierung für die vorzeitige Beendigung des Volksbegehrens waren, werden damit hintergangen.“
Das Agrarministerium verweist darauf, dass nicht das Land die Notfallzulassung erteilt, sondern der Bund. Trotzdem verteidigt das Ministerium die Notfallzulassung. „Ohne ein Eingreifen stünde der Zuckerrübenanbau in weiten Teilen Deutschlands und damit auch in Baden-Württemberg vor dem Aus“, sagt ein Sprecher. Durch das gewählte Vorgehen könne die Ausbringung wesentlich höherer Mittelmengen vermieden werden. Insgesamt werde dies zu einer Reduktion der Insektizidausbringung auf den betroffenen Flächen führen.
Auf einer Fläche von 17 500 Hektar werden in Baden-Württemberg Zuckerrüben angebaut. Auf 12 000 Hektar kann mithilfe der Notfallzulassung das umstrittene Neonicotinoid eingesetzt werden – befristet bis zum 30. April 2021. Baden-Württemberg ist nicht das einzige Bundesland, das zum Schutz der Rüben auf ein eigentlich verbotenes Mittel zurückgreift. Notfallzulassungen gelten auch in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern.
Die Beantragung sei aufgrund der existenzbedrohenden Betroffenheit der Anbauregion Franken erfolgt, heißt es etwa aus dem Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Ein Grund für die Existenznot deutscher Zuckerrübenbauer liegt auch darin, dass Nachbarstaaten wie Frankreich, Österreich oder Polen längst eine Notfallzulassung ausgesprochen hätten, wie die Chefin des baden-württembergischen Verbands der Zuckerrübenanbauer betont. „Ich sags mal salopp: Die Deutschen waren der Mops in der Geschichte“, sagt sie. „Wir haben uns an das Verbot gehalten und die anderen haben trotzdem weitergemacht. Die deutschen Rübenlandwirte waren also einfach nicht mehr wettbewerbsfähig.“
Rückendeckung für die Rübenbauern kommt ausgerechnet von Imkern. Zwar hat sich auch der Deutsche Berufs- und ErwerbsimkerBund mit dem Imkerverband Rheinland-Pfalz und der Aurelia Stiftung mit einem offenen Brief an Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sowie den Präsidenten des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) gewandt. Die Forderung: Sie sollen die bereits erteilte Notfallzulassungen zur Saatgutbehandlung im Zuckerrübenanbau wieder zurückziehen. Vor allem scheint es den Imkern jedoch nicht um den Zuckerrübenanbau, sondern um den Einsatz von Neonicotinoiden beim Rapsanbau zu gehen.
Das bestätigt Raphael Buck, baden-württembergischer Landesgeschäftsführer des Bunds der Berufsimker aus Vogt (Landkreis Ravensburg). „In der Vergangenheit gab es mit Neonicotinoidbeize immer wieder größere Vergiftungen von Bienenvölkern und die stecken uns Imkern noch in den Knochen“, sagt er. „Man muss aber sagen: Bei der Zuckerrübe ist der Einsatz von Neonicotinoiden am unkritischsten von allen Kulturen.“
Man wolle die Rübenbauern auf keinen Fall im Regen stehen lassen. „Wir sehen die Probleme. Und wir wollen natürlich auch, dass der Zucker auch weiterhin regional angebaut wird. Die Frage ist halt, was für eine langfristige Strategie dahintersteckt. Die Notfallzulassung gilt jetzt für ein Jahr. Aber wie soll es danach weitergehen?“, fragt er.
Aus dem Landwirtschaftsministerium heißt es, Baden-Württemberg setze sich für die Forschung im Bereich alternativer, nicht chemischer Verfahren und die Züchtung widerstandsfähiger Sorten ein. Noch ist aber unklar, wie lange es dauert, bis die Zuckerrübe gegen ihr Virus immun ist.