Kritik an Impfkampagne
FDP nennt Vorgehen „peinlich“– EU setzt hohe Ziele
(dpa/sz) - Es ist alles gerichtet. Seit einer Woche stehen die Kreisimpfzentren im Land bereit. Die Termine sind begehrt, nur fehlt das Wichtigste: der Impfstoff. Das Gesundheitsministerium in Stuttgart gibt sich zurückhaltend, denn die Spritze gegen das Coronavirus wird vorerst ein knappes Gut bleiben. Eine Tatsache, die Kritik seitens der Opposition auslöst. Agnes Strack-Zimmermann, kommunalpolitlitische Sprecherin der FDP, sagte der „Schwäbischen Zeitung“: „Das ist peinlich für ein Land wie Deutschland, das in der Logistik eigentlich weltweit herausragend ist.“Die Kommunen, so Strack-Zimmermann, könnten „nichts dafür“.
Derweil hat die EU-Kommission den Mitgliedstaaten hohe Ziele für ihre Corona-Impfkampagnen gesetzt. Bis März sollten mindestens 80 Prozent des Pflegepersonals und der Menschen über 80 geimpft sein, hieß es am Dienstag in Brüssel.
(lsw) - Nach 20 Minuten war’s auch schon wieder vorbei. „Nichts geht mehr“, hieß es am Dienstag bei den Anmeldungen für die heiß begehrten ersten Termine im Heilbronner Kreisimpfzentrum. Kein Impfstoff, keine Termine. „Wir würden gerne sehr viel mehr Termine anbieten“, bedauerte Bürgermeisterin Agnes Christner (parteilos). „Die Menschen wollen sich impfen lassen.“Es werde aber anders als ursprünglich angekündigt nur sehr wenig Impfstoff geliefert.
Das Impfzentrum in der Stauwehrhalle im Stadtteil Horkheim ist wie die anderen fast 50 in BadenWürttemberg seit Tagen startklar. Am Freitag geht es los und täglich könnten allein in Heilbronn bis zu 800 Menschen geimpft werden. Aber nicht zuletzt auch wegen der Verzögerungen bei den Impfstofflieferungen des Pharmakonzerns Biontech werden es nun nur 152. Und das an einem ganzen Wochenende.
Das Gesundheitsministerium bremste am Dienstag jede Euphorie: „Klar ist: Es wird sehr, sehr wenig Termine geben. Und viele Menschen werden keinen bekommen“, sagte ein Sprecher in Stuttgart. „Das muss man in aller Deutlichkeit so sagen und wir müssen weiterhin um Geduld bitten.“Grund sei der nicht vorhandene Impfstoff.
Biontech und sein US-Partner Pfizer hatten wegen der Erweiterung ihrer Kapazitäten im zentralen Werk in Belgien angekündigt, die Lieferungen des Corona-Impfstoffs reduzieren zu müssen. Nach Angaben des Ministerium sollte am Dienstag die mit den Herstellern Biontech und Pfizer vereinbarte Menge noch geliefert werden. Es handelt sich um eine größere Menge von 111 115 Dosen in 19 Boxen – bezogen auf die nun zugelassene Entnahme von sechs statt fünf Dosen aus einer Ampulle. In der Woche vom 25. Januar werden es aber nur noch 64 360 Impfdosen, wie aus einem Lieferplan von Biontech hervorgeht, der der Gesundheitsministerkonferenz der Länder vorgestellt wurde. In den ersten beiden Februarwochen erwartet das Land weitere insgesamt rund 193 000 Dosen.
Dem Betrieb der Kreisimpfzentren (KIZ) stehe dennoch nichts im Wege, sagte Sprecher Markus Jox. Bis Ende Januar könne dort auch bei Lieferverzögerungen geimpft werden, allerdings weniger als geplant. Unterm Strich stehen zunächst in jedem KIZ nur 585 Impfdosen pro Woche für eine Erstimpfung zur Verfügung. „Und die werden auch noch einmal auf Impfungen im Zentrum selbst sowie auf Impfungen durch die Mobilen Impfteams in den Pflegeheimen verteilt“, sagte Jox. Allein die Personengruppe der über 80-Jährigen und des medizinischen Personals, die momentan impfberechtigt sind, addierten sich aber auf rund eine Million Menschen. „Und derzeit können wir täglich in Baden-Württemberg nur rund 7000 Menschen impfen“, sagte Jox. Werde nicht mehr Impfstoff geliefert, koste es fast fünf Monate, bis auch der letzte Anspruchsberechtigte einen Termin habe.
Der Impfstoff bleibe weiterhin ein knappes Gut, sagte der Ministeriumssprecher. „Das ist schade, weil unsere Infrastruktur eigentlich mehr zulässt. Wir können diese Lieferungen aber als Land nicht beeinflussen“, verteidigt er die Strategie des Ministeriums. Denn die geriet auch am Dienstag von der Opposition schwer unter Beschuss: SPD-Fraktions- und Parteichef Andreas Stoch warf Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) vor, den Schwarzen Peter den Impfzentren zuzuschieben. Lucha müsse vielmehr sinnvoll priorisieren. Andere Bundesländer konzentrierten die Impfungen derzeit noch auf die Bewohner und das Personal in Pflegeheimen. Dort sei das Sterberisiko mit Abstand am größten. Wichtig seien auch die Beschäftigten im medizinischen Bereich, die tagtäglich in sehr engem Kontakt zu Corona-Kranken stünden.