Kampfzone vor der Kinderklinik
Unweit einer Reha-Einrichtung bei Villingen-Schwenningen könnte ein militärischer Übungsplatz entstehen – Heilstätten-Betreiber und Eltern der kleinen Patienten sind entsetzt
- Die Nachsorgeklinik Tannheim ist vor allem für schwerstkranke Kinder und ihre Familien da. Tief verschneit liegt sie an einem Fichtenwald auf der Baar, einer Hochebene am östlichen Schwarzwaldrand. Alles weiß, die Sonne lässt Schneekristalle funkeln. Ein Wintertraum. Doch dieser wird heftig von fernen Gedankenspielen gestört: Die Bundeswehr überlegt, ob sie in der Nähe der Klinik einen militärischen Übungsplatz einrichten könnte.
„Ein Irrsinn, überhaupt an so etwas zu denken“, schimpft Andreas Schlor aus Filderstadt bei Stuttgart. Mit seiner Frau und dem zwölfjährigen Sohn Timm wandelt er durch die Winterlandschaft bei den Gebäuden der 152-Betten-Klinik. Der Bub ist Herzpatient. Sein Vater sagt, es sei „gerade die Ruhe hier, die einem guttut“. Sollten die Soldaten kommen, fürchtet er Gefechtslärm, zur Klinik herüber hallende Schüsse.
Ähnlich fallen Reaktionen weiterer Klinikgäste zu den Bundeswehr-Überlegungen aus. „Schwachsinn. So was geht gar nicht“, betont Thorsten Meerphol, ein weiterer Vater. Er ist vom Sauerland her auf die Baar gefahren: „Zum dritten Mal schon.“Sein jüngster Sohn leidet unter einem angeborenen Herzfehler.
Annegret Gehrke hat ein Kind mit Mukoviszidose, einer unheilbaren Stoffwechselkrankheit. Vier Wochen ist ihre Familie in der Klinik. „Die Kinder sind hier so glücklich“, freut sich die Mutter. Drei sind es an der Zahl. Sie toben dick in Kleidung eingepackt durch den Schnee. Die Mutter schaut lächelnd hinterher, meint dann ernst, eine militärische Einrichtung passe einfach hier nicht her. „Ich habe auch schon dagegen unterschrieben.“
Damit bezieht sich Gehrke auf eine öffentliche Petition an den Bundestag und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Über 45 000 Menschen haben sie laut Klinikleitung bereits gezeichnet. Unterschriften sind noch bis Ende Januar möglich. Erreicht die Bittschrift dann das Quorum von 50 000 Teilnehmern, muss sie der Petitionsausschuss des Bundestages üblicherweise öffentlich beraten. Roland Wehrle, Gründer der Klinik und einer der beiden Geschäftsführer, ist höchst zuversichtlich, die Hürde zu nehmen.
Einer breiteren Öffentlichkeit ist er als langjähriger Präsident der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte bekannt. Seine Klinikgeschichte reicht bereits 30 Jahre zurück. 1991 hat Wehrle mit den konkreten Planungen für die Nachsorgeklinik angefangen. Die Idee war „eine familienorientierte Nachsorge bei der Krebs-, Herz- oder Mukoviszidose-Erkrankung eines Kindes“.
Hinzugekommen sind RehaProgramme für Jugendliche und Erwachsene sowie eine Trauerbegleitung für Eltern, die ein erkranktes Kind verloren haben. Die Zahl solcher Einrichtungen in Deutschland lässt sich an einer Hand abzählen. Jedenfalls, so sagt Wehrle, sollte die Klinik von Anfang an ein Ort der Abgeschiedenheit sein, „eine Oase der Ruhe, wo man sich fallen lassen kann“. Deshalb sei ganz bewusst dieser Standort gewählt worden.
Die Klinik ist 500 Meter vom Rand des 1300-Seelen-Dorfes Tannheim entfernt. Wehrle und seine Unterstützer mussten bei den Planungen hart mit Landratsamt und Regierungspräsidium darum ringen, abseits des Ortes bauen zu dürfen. „Wir haben uns durchgesetzt“, fährt Wehrle fort. „Aber welche Ruhe soll hier sein, wenn im Hintergrund eine Geräuschkulisse da ist?“
Die Grenze des BundeswehrÜbungsplatzes läge bloß zweieinhalb Kilometer entfernt. Es sind hügelige Forststücke mit so blumigen Namen wie Ochsenkopf und Weißwald, gut 400 Hektar. Von der Klinik aus gesehen schweift der Blick erst einmal übers Dorf, bis er schließlich an einem Waldtrauf hängen bleibt: die anvisierte Grenze des Militärgebiets. Viel zu nahe, ist sich Wehrle sicher. Er erwähnt noch, dass die Klinik einen Therapiestall mit Pferden betreibe: „Und dann knallt es? Und die Pferde werden unruhig? Nicht vorstellbar!“
Beim Kampf gegen den Übungsplatz hilft ihm, dass ein gewichtiger Klinikunterstützer an seiner Seite ist: die Sparda-Bank Baden-Württemberg. Über ihren Gewinnsparverein helfe man der Klinik „seit vielen Jahren“, teilt sie mit. Zudem habe die Bank den Bau des Therapiestalls mit einem Zuschuss von einer halben Million Euro ermöglicht. Fast schon folgerichtig ging die Sparda-Bank wegen der Militärpläne vergangenen November an die Öffentlichkeit. „Wir mussten es unseren Kunden einfach mitteilen, was in Tannheim passiert“, erklärt Martin Hettich, Vorstandsvorsitzender der Bank. „Schließlich sind es deren Spendengelder, um die es hier geht.“
Die Aktion fand lauten medialen Widerhall. Sie schaffte es sogar in den Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Auch das Fernsehen hat sich des Themas angenommen. Hingegen übt sich der Verursacher der ganzen Aufregung zunehmend in Zurückhaltung: das Militär.
Zuständig für die Pläne ist in dessen Reihen das Bundesamts für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr mit Sitz in Bonn. Eine aktuelle Mitteilung dieser Behörde klingt beschwichtigend. Man nehme die Bedenken wegen der Klinik „sehr ernst“, heißt es. Gegenwärtig gäbe es erst einmal eine Machbarkeitsstudie für das Projekt.
„Dabei werden insbesondere auch die Belange der Nachsorgeklinik Tannheim, der benachbarten Anliegerinnen und Anlieger sowie des Natur- und Umweltschutzes berücksichtigt“, teilt ein Sprecher des Bundesamtes mit. Er geht davon aus, dass Ergebnisse dieser Untersuchungen nicht vor Mitte 2022 vorliegen würden. Selbst ein Besuch des Generalinspekteurs der Bundeswehr wurde inzwischen avisiert, um die Wogen zu glätten.
Durchaus forscher klang die militärische Seite, als sie im Juli erstmals öffentlich über das Projekt informierte. Zwei Offiziere des Bundesamtes waren hierzu in den Gemeinderat von VillingenSchwenningen gekommen. Die Doppelstadt ist involviert, weil Tannheim und große Teile des anvisierten Übungsplatzes auf der eigenen Gemarkung liegen. Einer der Offiziere teilte knapp mit, die Einbindung der Bevölkerung im Vorfeld sei nicht üblich – um anschließend ein Entgegenkommen zu signalisieren: Man habe sich nun aber dazu entschieden.
Zu hören bekamen die Gemeinderäte detaillierte Bundeswehrvorstellungen: Zwar nichts für den scharfen Schuss, aber Übungsanlagen für die Panzerfaust, für Handgranatenwurf, für Granatpistolen und den Waldkampf. Eine vorläufige Karte zeigte, wo was sein soll. Von den VillingenSchwenninger Räten wurde dies alles pikiert aufgenommen. Sie zeigten sich überrascht und verärgert, dass die Bundeswehr mit der Tür ins Haus gefallen sei: „Wir hatten zuvor keine Ahnung von den Plänen.“
Vom Himmel gefallen ist das Projekt jedoch nicht. Intern war bei der Bundeswehr seit Langem klar, dass ein solcher Übungsplatz in der Region praktisch sein würde. Dies hat mit dem Jägerbataillon 292 zu tun, einem Teil der deutsch-französischen Brigade. Es hat seinen Sitz in der Fürstenberg-Kaserne von Donaueschingen, einige Kilometer südöstlich von Tannheim gelegen. Der Auftrag einer solchen Truppe besteht unter anderem im Kampf im freien Gelände, etwa im Wald.
Klar ist: Will man einsatzfähige Soldaten, müssen sie trainieren.
„Ein Irrsinn, überhaupt an so etwas zu denken.“
Andreas Schlor zu den Übungsplatzplänen. Sein Sohn ist Patient in der Nachsorgeklinik.
Dies gestehen beispielsweise auch Klinikgründer Wehrle oder die Sparda-Bank der Bundeswehr zu. Gleich bei Donaueschingen hinter der Stadtgrenze hat das Jägerbataillon auch schon einen Standortübungsplatz. Dies sind Trainingsgebiete fürs einfache Soldatenhandwerk: Schützenlöcher buddeln, Alarmposten üben und Ähnliches. Schwere Geschütze gehen hier nicht in Stellung. Für so etwas sind die großen Truppenübungsplätze gedacht – etwa der Heuberg bei Stetten am Kalten Markt mit seinen 48 Quadratkilometern.
Bei Donaueschingen rollen auch keine Kampfpanzer – schon deswegen nicht, weil das Jägerbataillon keine hat. Ihm ist der bestehende Standortübungsplatz aber seit Langem zu klein. Bis 2014 war dies weiter kein Problem. Die Jäger wichen aufs Trainingsgebiet des benachbarten Bundeswehrstandortes Immendingen aus. Dieser wurde aber aufgelöst. Jetzt testet der Autokonzern Daimler dort Fahrzeuge. Dem Jägerbataillon fehlt wiederum das Gelände. Worin der Grund liegt, dass es Bedarf für das Erweitern seines bisherigen Donaueschinger Standortübungsplatzes bei den höheren Bundeswehrstellen angemeldet hat.
Für die Suche nach geeigneten Orten ist wiederum das besagte Bundesamt zuständig. Weshalb das Jägerbataillon bei Anfragen an die ferne Behörde in Bonn verweist. Einer deren Sprecher erklärt, dass im Umkreis von 30 Kilometern um Donaueschingen herum „keine geeigneten und zusammenhängenden Flächen im Eigentum des Bundes beziehungsweise der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben vorhanden sind“. Wo aber könnte etwas Brauchbares sein? Das militärische Auge fiel auf das Waldstück bei Tannheim – viel Landschaft, nur wenige Kilometer vom bestehenden alten Standortübungsplatz entfernt.
Der Löwenanteil gehört dem Fürstenhaus der Fürstenbergs. Ein weiterer großer Teil ist in Landesbesitz. Weder von den Adeligen noch aus Stuttgart gibt es allerdings ein Statement zu den BundeswehrAmbitionen. Dafür hat sich die regionale und lokale Politik umso lautstarker zu Wort gemeldet. Landtagsabgeordnete der Grünen und der SPD sind strikt gegen den Übungsplatz - zumal der betroffene Wald auch noch zu einem Fördergebiet des Naturschutzgroßprojektes Baar gehört.
Eine linke Internetplattform warnt wortgewaltig vor einer Militarisierung der Region. Die Bürgermeister angrenzender Gemeinden stellen sich gegen die Pläne. Sie fürchten in erster Linie Krach. Tannheims Ortsvorsteherin Anja Keller sagt: „Die Lärmbelästigung ist für unsere Bürger sowie die Umlandgemeinden und vor allem für die Patientenfamilien der Nachsorgeklinik unzumutbar.“Der Wald sei zudem als Naherholungsgebiet nicht mehr nutzbar.
Keller und andere Anlieger fragen sich, warum das Jägerbataillon zum Trainieren nicht auf den Truppenübungsplatz Heuberg ausweiche – wie bisher offenbar auch. So weit sei es bis dahin schließlich nicht. Dies ist jedoch Ansichtssache. Es sind rund 78 Kilometer von Donaueschingen bis zum Heuberg. Zu viel, heißt es vom zuständigen BundeswehrBundesamt. Hin und zurück seien dies vier Stunden Fahrzeit. Ein Unding für die tägliche standortnahe Ausbildung, teilt die Behörde mit.
Das Argument ist für den Bundestagsabgeordneten der Region, Thorsten Frei von der CDU, eingängig. Er glaubt, es gäbe für einen neuen „leistungsfähigen Standortübungsplatz“keine Alternative. Ob wirklich nur die Fläche bei Tannheim infrage komme, müsse die Bundeswehr weiter untersuchen. Zunächst solle aber „geprüft werden, inwiefern die Klinik von den Auswirkungen eines Übungsplatzes tatsächlich tangiert wäre“.
Frei hätte gerne weitere Informationen zu den Plänen des Militärs: „Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass die Bundeswehr realistisch und glaubhaft darlegt, wie, wie oft und in welchem Umfang geübt werden soll.“Ein heikler Punkt. Klinikgründer Wehrle zitiert Offiziere, die nach seinen Worten in Tannheim auf Reha waren. Demnach solle man keinesfalls auf die Pläne eingehen. Sie seien immer mit Lärm verbunden.
In der weit vom Schuss befindlichen Bonner Bundeswehrbehörde wird eine mögliche Störung hingegen als minimal gesehen. Detonationshall wie bei scharfer Munition sei nicht vorgesehen. Wobei auch Übungsmunition oder Übungshandgranaten nicht in aller Stille funktionieren. Für den Moment bleibt es in der Nachsorgeklinik jedoch weitgehend ruhig. Ein Wintertraum – zumindest noch.