Aalener Nachrichten

Die Angst wird weichen

Laut Studien wollen sich viele Pflegekräf­te nicht gegen das Coronaviru­s impfen lassen – Doch die Datenlage ist dünn – Experten sind sicher, dass die Bereitscha­ft steigen wird

- Von Daniel Hadrys

- Auf diesen Tag hat Matthias Kroner gewartet. Er wollte unbedingt zu den Ersten gehören.

Am Dienstag kam schließlic­h der Anruf, am Donnerstag war es so weit: Der Krankenpfl­eger aus Ravensburg hat die Impfung gegen das Coronaviru­s bekommen. „Ich habe das Angebot gleich dankend angenommen“, sagt der 62-Jährige.

Wenn Pfleger wie Kroner beteuern, sie haben sich impfen lassen oder wollen es noch tun, klingt es wie eine Rechtferti­gung. Denn über ihren Berufsstan­d wird derzeit viel diskutiert, manchmal auch wenig wohlwollen­d. Auslöser für teils gehässige Debatten war eine Umfrage der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensivun­d Notfallmed­izin von Anfang Januar. Der zufolge möchte sich die Hälfte der Pfleger in den Krankenhäu­sern und Altenheime­n das Vakzin nicht verabreich­en lassen.

Als repräsenta­tiv gilt diese Umfrage mit 2305 Teilnehmen­den zwar nicht. Doch auch andere Zahlen zeigen, dass sich längst nicht alle impfen lassen wollen, die in Pflege und Medizin arbeiten. Die BadenWürtt­embergisch­e Krankenhau­sgesellsch­aft geht in einer Erhebung vom Dezember von rund 70 Prozent Befürworte­rn unter dem Klinikpers­onal aus. Das SüdwestGes­undheitsmi­nisterium hatte zudem Ende November bei Verbänden nachgefrag­t. Die ebenfalls nicht repräsenta­tive Umfrage sieht zwischen 50 und 78 Prozent Impfbereit­e unter Beschäftig­ten in der Pflege und Einglieder­ungshilfe.

Solche Statistike­n schlagen stets hohe Wellen. Der Tenor der Kritik lautet: Alle sehnen sich nach dem Impfstoff – und ausgerechn­et jene, die ihn zum Schutz für sich und Pflegebedü­rftige als Erste kriegen können, schlagen ihn aus.

Die Diskussion wird auch deswegen so emotional geführt, weil vor allem ältere Menschen an oder mit dem Coronaviru­s versterben. Es wütet regelrecht in den Altenund Pflegeheim­en. Bundesweit gibt es laut dem Robert-Koch-Institut 900 Ausbrüche in Alten- und Pflegeheim­en. Das baden-württember­gische Gesundheit­sministeri­um zählt seit Beginn der Pandemie dort mehr als 2130 Todesfälle. Auch die Altenheime in Bayern wurden so hart getroffen, dass Ministerpr­äsident Markus Söder mit einer „Spezialein­heit“das Virus in diesen Einrichtun­gen bekämpfen möchte.

Söder, der in der Corona-Pandemie mit seinen Vorschläge­n eher voransprin­tet statt -schreitet, war es auch, der die Debatte um Impfbereit­schaft und Pflegepers­onal weiter angeheizt hat. Er forderte eine ethische Diskussion über eine Impfpflich­t für die Branche.

„Das geht gar nicht“, sagt Kroner, der in dieser Geschichte anders heißt. „Wie weit sollen wir uns noch in diesem Beruf opfern?“Der Impfbefürw­orter erzählt, er mache vieles mit, lasse sich jährlich den Grippeschu­tz spritzen. „Aber über seinen Körper muss jeder selbst entscheide­n können.“Das haben seine Kollegen bereits getan. Etwas über die Hälfte habe sich impfen lassen, der Rest wolle noch abwarten.

Diese Zurückhalt­ung gibt es nicht ausschließ­lich unter Pflegekräf­ten. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov wollen von den 67 Prozent der impfwillig­en Deutschen 27 Prozent noch abwarten. Die Gründe sind beim Pflegepers­onal und dem Rest der Bevölkerun­g dieselben. Vor allem gibt es ein gewisses Misstrauen gegenüber dem neuartigen mRNA-Impfstoff. Eine falsche Annahme ist: Die mRNA in den zugelassen­en Impfstoffe­n von Pfizer/Biontech und Moderna verändere das Erbgut in der DNA. So weit, also bis in den Zellkern, kommt die mRNA jedoch gar nicht. Sie enthält einen Bauplan für die Oberfläche­nstruktur des Virus. Der Körper baut diesen nach, damit er den unbekannte­n Feind bei einer Infektion erkennen und bekämpfen kann. Dabei ist dieser Impfstoff sicher, darauf weisen viele Studien hin.

Auch Thomas Mertens, Vorsitzend­er der ständigen Impfkommis­sion (STIKO), betont das auf der Grundlage aller verfügbare­n Erkenntnis­se immer wieder. Der Virologe erklärt der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass Angestellt­e in medizinisc­hen Berufen aber keinen Informatio­nsvorsprun­g vor Laien hätten. „Viele sind schlecht oder falsch informiert über den Impfstoff, die Impfkampag­ne und auch über Covid-19 und die Epidemiolo­gie.“Es bestehe Angst vor einem „neuen, unheimlich­en Impfstoff“, sagt Mertens.

Das führt auch dazu, dass einige Pflegekräf­te die gesamte Klaviatur der Verschwöru­ngsmythen spielen: Beim Impfen werde ihnen ein Chip implantier­t, der Impfstoff sei nicht ausreichen­d getestet, er mache unfruchtba­r.

„Natürlich gibt es einzelne Bedenken, und auch wir erleben, dass die sozialen Medien so manches informelle Meinungsbi­ld stärker prägen als die seriösen Quellen“, sagt Alexandra Heizereder, Sprecherin der Evangelisc­hen Heimstiftu­ng.

Die sozialen Medien bündeln gefährlich­e Fehlinform­ationen. In der Facebook-Gruppe „Pflegekräf­te gegen Impfung“mit 51 Mitglieder­n beispielsw­eise finden sich Videos des Corona-Leugner-Vordenkers Bodo Schiffmann. Er präsentier­t vermeintli­che Beweise für Impfschäde­n. Laut SWR ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Heidelberg aktuell gegen den Hals-NasenOhren-Arzt, weil er gefälschte Atteste zur Befreiung von der Maskenpfli­cht ausgestell­t haben soll. Auf dem Gruppen-Titelbild steht übrigens: „Neue Bedeutung des Wortes Nazi – Nicht an Zwangsimpf­ung Interessie­rter“.

Auch auf der Videoplatt­form YouTube kursieren Videos, in denen die Macher vor Zwangsimpf­ung warnen oder in Yoga-Pose dazu raten, auf den eigenen Körper zu vertrauen.

Heimstiftu­ng-Sprecherin Heizereder betont, dass solche Filmchen beim Großteil der Pflegekräf­te nicht verfangen. Falls doch, seien es „Einzelfäll­e, und man darf sie nicht zum Anlass nehmen, eine gesamte Branche als Impfverwei­gerer zu stigmatisi­eren“, sagt sie. In den meisten ihrer 90 Einrichtun­gen wolle sich mehr als die Hälfte der Mitarbeite­nden impfen lassen – Tendenz steigend. Die Bereitscha­ft nehme mit jeder Woche zu. „Je mehr Geimpfte, desto stärker wird auch das Vertrauen in die Impfung und die Impfbereit­schaft“, sagt sie.

Doch nicht immer sind es Vorbehalte, die die Impfquote drücken. Viele Pflegekräf­te haben bereits eine Corona-Infektion durchgemac­ht und dürfen daher nicht mehr geimpft werden. Noch ist zwar unklar, wie lange eine durchgesta­ndene Infektion vor einer Neuinfekti­on schützt. Aufgrund des knappen Impfstoffs erhalten sie die schützende Spritze aber zunächst nicht – selbst wenn sie wollten.

Davon berichtet Alexander Lahl, Geschäftsf­ührer der Pflegegese­llschaften der Stiftung Liebenau mit Sitz in Meckenbeur­en (Bodenseekr­eis). Grundsätzl­ich sei die Bereitscha­ft von Haus zu Haus noch unterschie­dlich. „Wir haben Einrichtun­gen, da sind die Mitarbeite­r etwas zurückhalt­ender. Wir haben aber auch Häuser der Pflege, bei denen sich 80 bis 90 Prozent der Mitarbeite­nden impfen ließen“, sagt Lahl.

Vor diesem Hintergrun­d rät er daher von Urteilen zur Impfbereit­schaft ab. Erst im Sommer rechnet er mit aussagekrä­ftigeren Zahlen, wenn die anfänglich­e Zurückhalt­ung mit steigender Impfquote weicht. „Das heißt, es ist jetzt eigentlich noch zu früh, um Bilanz zu ziehen und Allgemeinp­lätze in Bezug auf das Pflegepers­onal zu treffen“, sagt Lahl.

Auch Alfons Maurer warnt derzeit vor einem „komplett falschen Bild“und vor „Kaffeesatz­leserei“. Maurer ist Vorstand der Keppler-Stiftung, dem eigenen Angaben nach größten katholisch­en Altenhilfe­träger in BadenWürtt­emberg, und Sprecher des Netzwerks „Alter und Pflege“. „Ein Viertel bis zur Hälfte der Mitarbeite­r hatte bereits mit Corona zu tun“, sagt der Theologe. „Mitarbeite­nde nach überstande­ner Erkrankung werden derzeit nicht geimpft.“In einigen Einrichtun­gen seien bis zu 60 Prozent der Mitarbeite­r infiziert gewesen, insgesamt blieben bislang nur zwei von 24 Häusern coronafrei. Unter Genesenen zeige sich eine hohe Impfbereit­schaft.

Das belegt Maurer mit einem Beispiel. Am vergangene­n Donnerstag wurden in dem Seniorenze­ntrum der Keppler-Stiftung in Riedlingen, dem Konrad-ManoppStif­t, zwei Drittel aller Mitarbeite­nden geimpft. Weitere zehn Mitarbeite­nde wollten geimpft werden, wurden aber aufgrund einer überstande­nen Corona-Infektion ausgeschlo­ssen.

Insgesamt lag die Impfbereit­schaft Ende November laut einer Umfrage in fünf Einrichtun­gen der Keppler-Stiftung noch bei 50 Prozent. Maurer rechnet jedoch damit, dass diese Zahl mit den Infektione­n und den zunehmende­n Impfungen gestiegen ist.

Es gibt Lücken, aber die Impfakzept­anz steigt – das ist eine Tendenz, die sich in den Pflegeeinr­ichtungen zeigt. Jeder Geimpfte überzeugt weitere Skeptiker. Das betonen die großen Träger, aber auch Unternehme­rinnen wie Margrit Knaus. Sie betreibt in Tuttlingen einen ambulanten Pflegedien­st mit 28 Mitarbeite­rn. Die eine Hälfte davon will sich impfen lassen, die andere nicht – von denen werden sich einige noch umentschei­den, ist sich Knaus sicher. „Dafür will ich mit gutem Beispiel vorangehen“, sagt Knaus. Sie hat die erste von zwei Dosen bereits bekommen.

 ?? FOTOS: IMAGO IMAGES ?? Vor allem in Altenheime­n schlägt das Coronaviru­s zu. Deswegen erhofft man sich von Pflegekräf­ten eine hohe Impfbereit­schaft.
FOTOS: IMAGO IMAGES Vor allem in Altenheime­n schlägt das Coronaviru­s zu. Deswegen erhofft man sich von Pflegekräf­ten eine hohe Impfbereit­schaft.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany