Die Angst wird weichen
Laut Studien wollen sich viele Pflegekräfte nicht gegen das Coronavirus impfen lassen – Doch die Datenlage ist dünn – Experten sind sicher, dass die Bereitschaft steigen wird
- Auf diesen Tag hat Matthias Kroner gewartet. Er wollte unbedingt zu den Ersten gehören.
Am Dienstag kam schließlich der Anruf, am Donnerstag war es so weit: Der Krankenpfleger aus Ravensburg hat die Impfung gegen das Coronavirus bekommen. „Ich habe das Angebot gleich dankend angenommen“, sagt der 62-Jährige.
Wenn Pfleger wie Kroner beteuern, sie haben sich impfen lassen oder wollen es noch tun, klingt es wie eine Rechtfertigung. Denn über ihren Berufsstand wird derzeit viel diskutiert, manchmal auch wenig wohlwollend. Auslöser für teils gehässige Debatten war eine Umfrage der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivund Notfallmedizin von Anfang Januar. Der zufolge möchte sich die Hälfte der Pfleger in den Krankenhäusern und Altenheimen das Vakzin nicht verabreichen lassen.
Als repräsentativ gilt diese Umfrage mit 2305 Teilnehmenden zwar nicht. Doch auch andere Zahlen zeigen, dass sich längst nicht alle impfen lassen wollen, die in Pflege und Medizin arbeiten. Die BadenWürttembergische Krankenhausgesellschaft geht in einer Erhebung vom Dezember von rund 70 Prozent Befürwortern unter dem Klinikpersonal aus. Das SüdwestGesundheitsministerium hatte zudem Ende November bei Verbänden nachgefragt. Die ebenfalls nicht repräsentative Umfrage sieht zwischen 50 und 78 Prozent Impfbereite unter Beschäftigten in der Pflege und Eingliederungshilfe.
Solche Statistiken schlagen stets hohe Wellen. Der Tenor der Kritik lautet: Alle sehnen sich nach dem Impfstoff – und ausgerechnet jene, die ihn zum Schutz für sich und Pflegebedürftige als Erste kriegen können, schlagen ihn aus.
Die Diskussion wird auch deswegen so emotional geführt, weil vor allem ältere Menschen an oder mit dem Coronavirus versterben. Es wütet regelrecht in den Altenund Pflegeheimen. Bundesweit gibt es laut dem Robert-Koch-Institut 900 Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen. Das baden-württembergische Gesundheitsministerium zählt seit Beginn der Pandemie dort mehr als 2130 Todesfälle. Auch die Altenheime in Bayern wurden so hart getroffen, dass Ministerpräsident Markus Söder mit einer „Spezialeinheit“das Virus in diesen Einrichtungen bekämpfen möchte.
Söder, der in der Corona-Pandemie mit seinen Vorschlägen eher voransprintet statt -schreitet, war es auch, der die Debatte um Impfbereitschaft und Pflegepersonal weiter angeheizt hat. Er forderte eine ethische Diskussion über eine Impfpflicht für die Branche.
„Das geht gar nicht“, sagt Kroner, der in dieser Geschichte anders heißt. „Wie weit sollen wir uns noch in diesem Beruf opfern?“Der Impfbefürworter erzählt, er mache vieles mit, lasse sich jährlich den Grippeschutz spritzen. „Aber über seinen Körper muss jeder selbst entscheiden können.“Das haben seine Kollegen bereits getan. Etwas über die Hälfte habe sich impfen lassen, der Rest wolle noch abwarten.
Diese Zurückhaltung gibt es nicht ausschließlich unter Pflegekräften. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov wollen von den 67 Prozent der impfwilligen Deutschen 27 Prozent noch abwarten. Die Gründe sind beim Pflegepersonal und dem Rest der Bevölkerung dieselben. Vor allem gibt es ein gewisses Misstrauen gegenüber dem neuartigen mRNA-Impfstoff. Eine falsche Annahme ist: Die mRNA in den zugelassenen Impfstoffen von Pfizer/Biontech und Moderna verändere das Erbgut in der DNA. So weit, also bis in den Zellkern, kommt die mRNA jedoch gar nicht. Sie enthält einen Bauplan für die Oberflächenstruktur des Virus. Der Körper baut diesen nach, damit er den unbekannten Feind bei einer Infektion erkennen und bekämpfen kann. Dabei ist dieser Impfstoff sicher, darauf weisen viele Studien hin.
Auch Thomas Mertens, Vorsitzender der ständigen Impfkommission (STIKO), betont das auf der Grundlage aller verfügbaren Erkenntnisse immer wieder. Der Virologe erklärt der „Schwäbischen Zeitung“, dass Angestellte in medizinischen Berufen aber keinen Informationsvorsprung vor Laien hätten. „Viele sind schlecht oder falsch informiert über den Impfstoff, die Impfkampagne und auch über Covid-19 und die Epidemiologie.“Es bestehe Angst vor einem „neuen, unheimlichen Impfstoff“, sagt Mertens.
Das führt auch dazu, dass einige Pflegekräfte die gesamte Klaviatur der Verschwörungsmythen spielen: Beim Impfen werde ihnen ein Chip implantiert, der Impfstoff sei nicht ausreichend getestet, er mache unfruchtbar.
„Natürlich gibt es einzelne Bedenken, und auch wir erleben, dass die sozialen Medien so manches informelle Meinungsbild stärker prägen als die seriösen Quellen“, sagt Alexandra Heizereder, Sprecherin der Evangelischen Heimstiftung.
Die sozialen Medien bündeln gefährliche Fehlinformationen. In der Facebook-Gruppe „Pflegekräfte gegen Impfung“mit 51 Mitgliedern beispielsweise finden sich Videos des Corona-Leugner-Vordenkers Bodo Schiffmann. Er präsentiert vermeintliche Beweise für Impfschäden. Laut SWR ermittelt die Staatsanwaltschaft Heidelberg aktuell gegen den Hals-NasenOhren-Arzt, weil er gefälschte Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt haben soll. Auf dem Gruppen-Titelbild steht übrigens: „Neue Bedeutung des Wortes Nazi – Nicht an Zwangsimpfung Interessierter“.
Auch auf der Videoplattform YouTube kursieren Videos, in denen die Macher vor Zwangsimpfung warnen oder in Yoga-Pose dazu raten, auf den eigenen Körper zu vertrauen.
Heimstiftung-Sprecherin Heizereder betont, dass solche Filmchen beim Großteil der Pflegekräfte nicht verfangen. Falls doch, seien es „Einzelfälle, und man darf sie nicht zum Anlass nehmen, eine gesamte Branche als Impfverweigerer zu stigmatisieren“, sagt sie. In den meisten ihrer 90 Einrichtungen wolle sich mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden impfen lassen – Tendenz steigend. Die Bereitschaft nehme mit jeder Woche zu. „Je mehr Geimpfte, desto stärker wird auch das Vertrauen in die Impfung und die Impfbereitschaft“, sagt sie.
Doch nicht immer sind es Vorbehalte, die die Impfquote drücken. Viele Pflegekräfte haben bereits eine Corona-Infektion durchgemacht und dürfen daher nicht mehr geimpft werden. Noch ist zwar unklar, wie lange eine durchgestandene Infektion vor einer Neuinfektion schützt. Aufgrund des knappen Impfstoffs erhalten sie die schützende Spritze aber zunächst nicht – selbst wenn sie wollten.
Davon berichtet Alexander Lahl, Geschäftsführer der Pflegegesellschaften der Stiftung Liebenau mit Sitz in Meckenbeuren (Bodenseekreis). Grundsätzlich sei die Bereitschaft von Haus zu Haus noch unterschiedlich. „Wir haben Einrichtungen, da sind die Mitarbeiter etwas zurückhaltender. Wir haben aber auch Häuser der Pflege, bei denen sich 80 bis 90 Prozent der Mitarbeitenden impfen ließen“, sagt Lahl.
Vor diesem Hintergrund rät er daher von Urteilen zur Impfbereitschaft ab. Erst im Sommer rechnet er mit aussagekräftigeren Zahlen, wenn die anfängliche Zurückhaltung mit steigender Impfquote weicht. „Das heißt, es ist jetzt eigentlich noch zu früh, um Bilanz zu ziehen und Allgemeinplätze in Bezug auf das Pflegepersonal zu treffen“, sagt Lahl.
Auch Alfons Maurer warnt derzeit vor einem „komplett falschen Bild“und vor „Kaffeesatzleserei“. Maurer ist Vorstand der Keppler-Stiftung, dem eigenen Angaben nach größten katholischen Altenhilfeträger in BadenWürttemberg, und Sprecher des Netzwerks „Alter und Pflege“. „Ein Viertel bis zur Hälfte der Mitarbeiter hatte bereits mit Corona zu tun“, sagt der Theologe. „Mitarbeitende nach überstandener Erkrankung werden derzeit nicht geimpft.“In einigen Einrichtungen seien bis zu 60 Prozent der Mitarbeiter infiziert gewesen, insgesamt blieben bislang nur zwei von 24 Häusern coronafrei. Unter Genesenen zeige sich eine hohe Impfbereitschaft.
Das belegt Maurer mit einem Beispiel. Am vergangenen Donnerstag wurden in dem Seniorenzentrum der Keppler-Stiftung in Riedlingen, dem Konrad-ManoppStift, zwei Drittel aller Mitarbeitenden geimpft. Weitere zehn Mitarbeitende wollten geimpft werden, wurden aber aufgrund einer überstandenen Corona-Infektion ausgeschlossen.
Insgesamt lag die Impfbereitschaft Ende November laut einer Umfrage in fünf Einrichtungen der Keppler-Stiftung noch bei 50 Prozent. Maurer rechnet jedoch damit, dass diese Zahl mit den Infektionen und den zunehmenden Impfungen gestiegen ist.
Es gibt Lücken, aber die Impfakzeptanz steigt – das ist eine Tendenz, die sich in den Pflegeeinrichtungen zeigt. Jeder Geimpfte überzeugt weitere Skeptiker. Das betonen die großen Träger, aber auch Unternehmerinnen wie Margrit Knaus. Sie betreibt in Tuttlingen einen ambulanten Pflegedienst mit 28 Mitarbeitern. Die eine Hälfte davon will sich impfen lassen, die andere nicht – von denen werden sich einige noch umentscheiden, ist sich Knaus sicher. „Dafür will ich mit gutem Beispiel vorangehen“, sagt Knaus. Sie hat die erste von zwei Dosen bereits bekommen.