Zähneknirschend durch die Krise
Bruxismus gilt als Stresserkrankung – Botox und Biofeedback-Schienen können helfen
Corona lässt immer mehr Menschen mit den Zähnen knirschen. Die Folgen des Bruxismus, wie das Phänomen in Fachkreisen heißt, sind oft ein Fall für den Zahnarzt. Doch die Behandlung eher ein Fall für die Verhaltenstherapie – wobei man diese auch in Eigenregie durchführen kann.
Egal, ob Virus oder Lockdown: Die Corona-Krise belastet – und wir scheinen uns im wahrsten Sinne die Zähne an ihr auszubeißen. Denn eine in Polen und Israel durchgeführte Studie zeigt: Die Menschen knirschen mehr denn je mit den Zähnen. Die Forscher befragten 1800 Probanden, inwieweit sie vom Bruxismus und damit einhergehenden Symptomen wie Schmerzen und Knacken in den Kiefergelenken betroffen sind. Parallel dazu wurden auch ihre demografischen, sozialen und finanziellen Hintergründe abgeklopft.
Im Ergebnis zeigte sich für Israel, dass hier während des ersten Lockdowns die Quote der Bruxismus-Beschwerden von 35 auf 47 Prozent und die Quote der nächtlichen Zähneknirscher von 10 auf 36 Prozent hochschnellten. Für Polen fielen die
Zahlen ähnlich aus, wobei dort vor allem diejenigen auffielen, die schon vor der Corona-Krise mit den Zähnen knirschten. Denn 34 Prozent von ihnen berichteten, dass sich ihre Bruxismus-Symptome mit dem Beginn der Krise deutlich verschlimmert hätten.
Studienleiterin Ilana Eli von der Tel Aviv University betont zudem, dass zu Corona-Zeiten vor allem die Menschen zwischen 35 und 55 Jahren mit den Kiefern mahlen. „Sie werden durch die Krise wohl überdurchschnittlich stark belastet“, vermutet die Zahn- und Schmerzmedizinerin, „weil sie gleichzeitig mit ihren Kindern zu Hause eingesperrt sind, sich Sorgen um ihre eigenen Eltern machen und mit Sorgen um ihre finanziellen Perspektiven von zu Hause arbeiten müssen“. In der Folge bauen sie besonders viele Spannungen auf, die dann der Betroffene über das Zähneknirschen abzubauen versucht.
Das Problem an dieser Art des Stressabbaus ist freilich, dass bei ihm Kräfte von mehr als 100 Kilogramm auf den Kiefer und die Zähne wirken. Und das kann bei Dauerknirschern erhebliche Schäden verursachen, von abgeschmirgelten Zähnen und zerbrochenen Kronen bis zur berüchtigten Craniomandibulären Dysfunktion, bei der sich die Kiefer kaum noch – und wenn, dann nur unter Schmerzen – bewegen lassen. Mitunter zieht die Muskelverspannung sogar über den Hals bis in den Brust- und Lendenbereich.
Es ist daher kein Wunder, dass in Deutschland jährlich mehr als 1,5 Millionen Aufbiss-Schienen verordnet werden, um vor den Folgen des Zähneknirschens zu schützen. Allein die Techniker Krankenkasse zahlte dafür im Jahre 2017 über 100 Millionen Euro. Ganz zu schweigen davon, dass die Behandlung für den Patienten ziemlich aufwendig ist, weil die Schiene individuell angepasst und später immer wieder gereinigt werden muss. Und ob sich all das wirklich lohnt, ist fraglich.
So schützen zwar die Schienen das Gebiss, weil die Zähne nicht mehr direkt aufeinander reiben können. Doch auf die nächtlichen Pressund Knirschaktionen selbst wirken sie eher mäßig und zeitlich begrenzt auf die ersten Monate, in denen sie zum Einsatz kommen. Gegen Kieferschmerzen helfen sie laut einer aktuellen Studie aus Brasilien nur, wenn man sie mit Massagen kombiniert, was aber den Aufwand noch weiter nach oben schraubt.
Studienleiterin Sandra Bussadori von der University Nove De Julho in São Paulo sieht demgegenüber größere Chancen für eine Therapie, die man hierzulande vor allem als kosmetische Anwendung kennt: Botox. Denn diese bekanntermaßen lähmende Substanz lässt sich mittlerweile beim Injizieren in die Kieferund Kaumuskeln so präzise dosieren, dass sie oft die Kieferschmerzen und das nächtliche Zähneknirschen dämpfen können, ohne den Patienten tagsüber beim Essen und Sprechen zu behindern. Die Effekte der Injektion halten vier bis sechs Monate an. Doch Bussadori betont: „Gegen die Ursachen des Zähneknirschens helfen sie auch nicht.“