Bayern oder Berlin
Die Stimmen für eine Kanzlerkandidatur Söders mehren sich – Es gibt auch Mahnungen
- Der Vizepräsident des bayerischen Landtags und CSU-Abgeordnete Karl Freller hat einen fundierten Vorschlag für den nächsten Bundeskanzler zu machen. Freller empfiehlt einen ehemaligen Mitarbeiter, der 1991 für monatlich 480 DMark in seinem Schwabacher Abgeordnetenbüro tätig war. Das Arbeitszeugnis für Söder, Markus, findet Freller zwar nicht mehr, aber es sei „sicher gut“gewesen, erinnert er sich.
Sein ehemaliger Mitarbeiter sei „absolut fähig, das Amt des Bundeskanzlers exzellent auszuführen“, sagt Freller: „Er wird mit Sicherheit ein guter Bundeskanzler werden.“Freller ermutigt seinen Parteichef und Bayerns Ministerpräsident Söder, den Hut in den Ring zu werfen. Jede Kandidatur berge Risiken, sagt Freller. Es wäre aber „keine Schande“, in einer so schwierigen Situation wie der jetzigen das Rennen um das Kanzleramt zu verlieren. Anderenfalls wäre es „für Bayern schon eine tolle Sache“. Jeder sollte sich jetzt die Gewissensfrage stellen: „Was ist gut für Deutschland?“
Die Aufforderung richtet sich an diverse Parteifreunde, die eine Kanzlerkandidatur Söders für keine gute Sache halten. Deren Zahl schrumpft aber offensichtlich, was auch mit der Alternative, dem CDU-Vorsitzenden Armin Laschet, zu tun hat. Josef Zellmeier, niederbayerischer CSU-Abgeordneter und Vorsitzender des Haushaltsausschusses, hat sich nach früherer Skepsis zu der Einschätzung durchgerungen: „Wenn die CDU ihn will, sollte er (Söder) es machen.“Das sei auf jeden Fall besser, als im Bund „eine Situation wie in Baden-Württemberg“zu bekommen, sagt Zellmeier und meint damit eine grün-schwarze Koalition mit der Union als Juniorpartner.
Markus Ferber, Chef des CSU-Bezirksverbands Schwaben, äußert sich kryptisch: „Ich bin dafür, dass der nächste Bundeskanzler nicht von den Grünen kommt.“Ulrike Scharf, Vorsitzende der CSU-Frauenunion, sagt: „Wir haben einen absoluten Siegeswillen – wir wollen gewinnen.“Und es klingt nicht so, als ob dies ein Plädoyer für den CDU-Vorsitzenden Laschet wäre.
In jedem Fall wächst auch in der CSU die Ungeduld. In der K-Frage „muss jetzt Klarheit her“, sagt der ehemalige CSU-Vorsitzende Erwin Huber. Andere Namen als Laschet und Söder jetzt noch ins Spiel zu bringen, „führt nicht weiter“. Bedenken
in seiner Partei über die Folgen, die eine von der CSU getragene Kanzlerschaft etwa für die nächste Landtagswahl mit sich bringen könnte, lässt Huber nicht gelten: Das „mächtigste politische Amt“würde zur CSU kommen, der „politische Wert“der CSU gewaltig steigen. Huber fordert: Dieses Gewicht sollte jedem CSU-Anhänger bewusst sein. „Ein Rumnörgeln über Folgeentscheidungen zählt nicht.“
Die Folgeentscheidungen umschreibt der ehemalige bayerische Justizminister Winfried Bausback so: „Für uns in Bayern würde die Situation nach einer Wahl von Markus Söder zum Kanzler nicht leichter, aber die Volkspartei CSU kann auch so eine Situation meistern.“Für den Aschaffenburger Abgeordneten kommt nur einer als Unionskanzlerkandidat infrage: Deutschland brauche gerade nach der Pandemie einen „pragmatischen Macher wie Markus Söder an der Spitze der Bundesregierung, der die in der Krise deutlich gewordenen Schwachpunkte unseres Landes anpackt“.
Obwohl es für Bayern ein großer Verlust wäre, sollte sich Söder „in den Dienst der Sache stellen“, sagt auch der unterfränkische Parlamentarier Berthold Rüth: „Aus meiner Sicht ist er der einzige Kandidat, dem man guten Gewissens Deutschland in dieser schwierigen Phase anvertrauen kann.“
Den früheren bayerischen Wirtschaftsminister und Landesvorsitzenden der Mittelstandsunion (MU), Franz Josef Pschierer, beunruhigt die Äußerung Söders „Wer die Stimmen von Merkel möchte, muss Politik wie sie machen“. Egal, wer Kanzlerkandidat der Union werde, er werde die Bundestagswahl „nicht in erster Linie mit Merkel-Stimmen gewinnen“, warnt der CSU-Wirtschaftspolitiker. Die Menschen wollten kein „Weiterso“, sondern Antworten darauf, wie man mit den Herausforderungen der gegenwärtigen Krise und Zukunftsfragen umgehen will, so Pschierer: „Sie wollen jetzt kein ,Merkel 2.0’. Ich befürchte sogar, dass viele dann lieber ein ,Baerbock 1.0’ bevorzugen.“
Der Münchener Politikwissenschaftler und Leiter des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP), Werner Weidenfeld, teilt in gewisser Weise Pschierers Sorgen. Von keinem der infrage kommenden Kanzlerkandidaten ist der Politikforscher begeistert. Weder bei den Unionskandidaten noch bei den Grünen sei „eine wirkliche strategische Konzeption dahinter“, sagt Weidenfeld.
Auch Söder lasse eine „strategische Perspektive“vermissen. Die Macht aber bekomme, wer „die Lage deuten und erklären kann“. Solange dazu keiner der potenziellen Kandidaten in der Lage sei, seien das alles nur „Machtspiele im fluiden Stimmungsmilieu“.
Weidenfeld rät Söder von einer Kandidatur ab. Es gab noch nie einen erfolgreichen CSU-Kanzlerkandidaten. Söder sei auch nur „so lange beliebt, wie er Ministerpräsident von Bayern ist“. Als Kanzler könnte er nicht so eine Politik zum Wohle Bayerns betreiben, wie er das derzeit tue, „und außerhalb von Bayern wäre er als Kanzler möglicherweise weit weniger beliebt“.
Sollte das Wirklichkeit und ein CSU-Chef Kanzler werden, stellt sich zwingend die Frage, wer ab Herbst den Freistaat Bayern regieren soll. Die besten Chancen hat in diesem Fall wohl Landtagspräsidentin Ilse Aigner. Als Vorsitzende des größten CSU-Bezirksverbands Oberbayern könnte sie die parteiinterne Machtbalance zwischen Franken und Altbayern wieder austarieren und eine Frau an der Spitze des Freistaats würde der CSU ohnehin gut anstehen. Genannt werden aber auch noch die derzeitige bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber sowie die CSU-Minister Albert Füracker (Finanzen), Joachim Herrmann (Inneres) und Florian Herrmann (Staatskanzlei).