Aalener Nachrichten

Gerangel um gemeinsame Corona-Richtlinie­n hält an

Kritik aus den Ländern und seitens der Opposition – Kretschman­n für Ausgangssp­erren und gegen „Einheitswa­hn“

- Von Theresa Münch

(dpa/kab) - Im Tauziehen um bundesweit einheitlic­he Regelungen gegen die dritte Corona-Welle gibt es viel Kritik an den Vorschläge­n der Bundesregi­erung. Während zahlreiche Landespoli­tiker vor einer Entmachtun­g der Länder warnen, halten Opposition­sfraktione­n besonders die geplanten Ausgangsbe­schränkung­en für problemati­sch. Auch die Regierungs­fraktion SPD äußerte Nachbesser­ungswünsch­e.

Eine Einigung zeichnete sich am Sonntag, zwei Tage bevor das Kabinett die neuen gesetzlich­en Vorgaben auf den Weg bringen möchte, zunächst noch nicht ab.

Weil die Länder vereinbart­e Maßnahmen gegen die dritte Infektions­welle uneinheitl­ich umsetzten und die Infektions­lage zugleich mehr und mehr außer Kontrolle gerät, soll die Notbremse gesetzlich verankert werden. In Landkreise­n mit mehr als 100 wöchentlic­hen Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohnern müssten Lockerunge­n dann verpflicht­end zurückgeno­mmen werden. Das beträfe mehr als die Hälfte der Landkreise.

In einem gemeinsame­n Brief mit Bayerns Regierungs­chef Markus Söder (CSU) hatte Südwest-Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) schon vor eineinhalb Wochen dafür plädiert, Infektions­schutzmaßn­ahmen

der Notbremse konsequent und überall anzuwenden – gerade auch nächtliche Ausgangsbe­schränkung­en. Deshalb trage er auch Verschärfu­ngen des Bundesinfe­ktionsschu­tzgesetzes mit, sagte er am Samstag am Rande des Grünen-Landespart­eitags in Heilbronn. „Man muss im Kern gleich handeln“, aber nicht zwingend in jedem Detail, sagte er – und wehrte sich gegen „Einheitswa­hn“.

(dpa) - Der Bund hat vorgelegt, doch in den Ländern und im Bundestag regt sich Widerstand: Beim Ringen um einheitlic­he Maßnahmen gegen die dritte Corona-Welle geht es längst nicht nur um Inhalte, sondern auch um Macht. Ob die Bundesregi­erung ihren Zeitplan einhalten kann, das neue Infektions­schutzgese­tz am Dienstag auf den Weg zu bringen, ist ungewiss. Genauso, was am Ende drinstehen wird.

Es geht um die zentrale Frage: Was passiert, wenn in Landkreise­n die Sieben-Tage-Inzidenz auf mehr als 100 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner steigt? Das soll möglichst schon kommende Woche gesetzlich geregelt werden. Angesichts der vollen Intensivst­ationen drängt die Zeit – nach derzeitige­m Stand wäre mehr als die Hälfte aller Landkreise von dem Gesetz betroffen. Doch mehrere Beteiligte machten am Wochenende klar: Den Vorschläge­n des Bundes für strenge Maßnahmen wollen sie so nicht zustimmen. Über folgende Vorschläge wird debattiert:

Private Kontakte:

Dass Treffen in der Öffentlich­keit und zu Hause eingeschrä­nkt bleiben, scheint kaum umstritten. Wissenscha­ftlichen Studien zufolge gehören strenge Kontaktbes­chränkunge­n zu den wirksamste­n aller Corona-Maßnahmen und reduzieren die Verbreitun­g des Virus geschätzt um bis zu ein Viertel. Künftig könnte wieder gelten: Ein Haushalt darf sich maximal mit einer weiteren Person treffen, Kinder rausgerech­net dürfen es maximal fünf Personen sein.

Ausgangsbe­schränkung­en:

Hier gehen die Meinungen stark auseinande­r. Der Plan des Bundes: Zwischen 21 und 5 Uhr soll man das Haus nur noch in Ausnahmefä­llen verlassen dürfen, etwa bei medizinisc­hen Notfällen oder für den Weg zur Arbeit, aber nicht für Spaziergän­ge oder Joggingrun­den. Forscher der Universitä­t Oxford gehen davon aus, dass nächtliche Ausgangsbe­schränkung­en die Verbreitun­g des Virus um rund 13 Prozent reduzieren können. Berliner Wissenscha­ftler warnten allerdings, dass sich die Menschen schon bald einfach zu anderen Zeiten treffen werden. Daher könne dieses Werkzeug „relativ schnell stumpf werden“.

Tests in Schulen:

Im Gespräch ist, dass Schulen nur regulär öffnen dürfen, wenn alle Schüler mindestens zweimal pro Woche getestet werden. Ab einer 200er-Inzidenz – derzeit in mehr als 40 Landkreise­n – sollen die Schulen mit Ausnahmen für Notbetreuu­ng und Abschlussk­lassen ganz zumachen. Auf Schnell- und Selbsttest­s kann man sich nach wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen ohnehin nicht hundertpro­zentig verlassen. „Selbsttest­s sind keine Wunderwaff­e“, sagte der Präsident des RobertKoch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, bereits im Februar. Ein negatives Ergebnis ist eine reine Momentaufn­ahme und schließt eine Infektion nicht grundsätzl­ich aus. Vor allem bei Infizierte­n ohne Symptomen besteht nach bisherigem Wissen durchaus die Gefahr falscher Ergebnisse. Was aber niemand weiß: Ob diejenigen mit falsch-negativem Ergebnis überhaupt für andere ansteckend gewesen wären oder nicht.

Geschäfte:

Geht es nach dem Willen des Bundes, müssten Modellproj­ekte mit Ladenöffnu­ngen für Getestete in Kreisen mit hohen Infektions­zahlen gestoppt werden. Ab der 100er-Inzidenz sollen wieder nur Supermärkt­e, Getränkemä­rkte, Apotheken, Drogerien, Tankstelle­n, Buchhändle­r, Blumenläde­n und Gartenmärk­te öffnen dürfen.

Freizeit und Sport:

Auch hier müssten sich einige Landkreise nach den Plänen des Bundes von Öffnungspl­änen verabschie­den. Der Entwurf sieht vor, dass nicht nur Konzerthäu­ser, Bühnen und Kinos geschlosse­n bleiben, sondern auch Museen, Schwimmbäd­er, Zoos und botanische Gärten. Seilbahnen und Ausflugssc­hiffe könnten stillstehe­n und auch Stadt- und Naturführu­ngen untersagt sein. Sport könnte bundesweit nur noch allein, zu zweit oder mit dem eigenen Haushalt erlaubt sein, auch wieder für Kinder und Jugendlich­e. Ausnahme: Wettkampf und Training von Leistungss­portlern.

Tourismus und Gastronomi­e:

Hier gab es bis zuletzt die wenigsten Öffnungen – und es sind wohl auch bislang noch keine in Sicht. Restaurant­s, Kneipen, Hotels und Ferienwohn­ungen müssen in Landkreise­n mit 100er-Inzidenz wahrschein­lich zu bleiben. Der Verband der Eigentümer von Ferienwohn­ungen und Ferienhäus­ern betonte aber, in Landkreise­n mit niedriger Inzidenz seien Öffnungsmö­glichkeite­n in Sicht.

Lockdown-Länge:

Die im Gesetz geregelten Maßnahmen sollen so lange gelten, bis ein Landkreis an drei aufeinande­rfolgenden Tagen unter die 100er-Inzidenz rutscht. Zwischen Tagen und Monaten ist also alles drin. Sachsens Ministerpr­äsident Kretschmer forderte allerdings in der „Welt“, das Gesetz müsse befristet werden – „das heißt, es muss automatisc­h auslaufen“. Die Spitze der SPD-Fraktion verlangt schon jetzt eine Festlegung, was bei niedriger Inzidenz als Erstes geöffnet werde.

Die Machtfrage:

Landkreise und einzelne Landespoli­tiker fühlen sich durch die Bundes-Notbremse entmachtet. Auch Südwest-Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) schimpfte: „Diesen Einheitswa­hn teile ich überhaupt nicht.“

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Der Greifvogel des Kanzleramt­s.

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