Als Juden Aalen nicht betreten durften
In Ostwürttemberg gab es schon früh Juden – Ständig Verfolgung und Mord ausgesetzt
- Das ganze Jahr über wird ein besonderes Jubiläum gefeiert: 1700 Jahre jüdisches Leben auf dem Gebiet des heutigen Deutschland. Auch in Ostwürttemberg lebten schon früh Juden, nämlich in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts, worüber wir in mehreren Folgen berichten. Das Jubiläum ist jedoch schwerlich Anlass zum Feiern, denn Juden wurden auch in der Region über die Jahrhunderte vielfach vertrieben, mit Verboten belegt, verfolgt und getötet – bis hinein ins 20. Jahrhundert, als sie auch in Ostwürttemberg Opfer des Rassenwahns der Nationalsozialisten wurden. Heutzutage erinnern so genannte Stolpersteine in Städten der Region an die jüdischen Mitbürger und an die Verbrechen der Nazizeit.
Im elften Jahrhundert sollen in Schwäbisch Gmünd Juden gelebt haben. Gesicherte Nachweise stammen jedoch erst aus dem 13. Jahrhundert. Demnach gab es, dies legt das Reichssteuerverzeichnis von 1241 nahe, jüdische Gemeinden in den Reichsstädten Bopfingen und Schwäbisch Gmünd. In Ellwangen sind Juden Ende des 13. Jahrhunderts nachweisbar. In Aalen dagegen lebten damals noch keine Juden. Zwischen 1785 und 1803, also bis zum Ende der Reichsfreiheit, war es ihnen sogar verboten, die Stadt Aalen zu betreten.
Der frühere Aalener Stadtarchivar Karlheinz Bauer hat in den Aalener Jahrbüchern die Geschichte der Juden auf der Ostalb ausführlich dargestellt. Die Stadt Aalen war demnach zwar des öfteren bei Vereinbarungen und Gesetzen, die die Juden betrafen, einbezogen. Es finden sich aber wiederholte Bestätigungen, dass keine Juden in der Stadt wohnten. 1385 gehörte Aalen zu den Reichsstädten, die König Wenzel 40 000 Gulden schenkten. Im Gegenzug erklärte er die Schuldforderungen, die die Juden gegenüber den Bürgern hatten, für nichtig.
1559 erwirkte der Rat ein Privileg Kaiser Ferdinands I., wonach es den Juden untersagt war, an Aalener Bürger Geld auszuleihen. Jedoch war dieses Verbot von Geschäften mit Juden und deren Wucher wohl gegen auswärtige, in der Umgebung von Aalen lebende Juden gerichtet. Dasselbe gilt für die Verbote der Aufnahme von Darlehen bei Juden in der Stadtordnung von 1672. Im April 1685 baten die Gebrüder von Woellwarth, der Rat möge erlauben, dass ihre in Essingen neu aufgenommenen Juden, wie die aus der Nachbarschaft, auf öffentlichen Jahrmärkten ihren Handel und Wandel treiben dürften. Der Rat äußerte zwar Bedenken, erlaubte es aber doch. Außer an den Jahrmärkten sollte jedoch keiner ohne besondere Ursache in die Stadt gelassen werden.
Auch eine Nachricht aus der Zeit um 1700 bestätigt, dass in der Reichsstadt Aalen keine Judenniederlassung bestand: ,,Es denkt niemand, daß Juden hier gewohnt haben; hat auch niemand, wer noch lebt, von seinen Eltern etwas davon gehört; kommen auch keine dahin, außer an Jahrmärkten und wenn sie durchreisen um doppelten Zoll." 1752 befürchtete der Rat, dass Juden gestohlene Gegenstände aufkaufen und vertauschen könnten. Um dies zu verhindern, bestimmte der Rat, dass die Torwächter jedem Juden, der die Stadt betrat, einen Begleiter zuordneten, der ihn bei seinem Ein- und Verkaufen beobachten sollte. Bevor der Jude die Stadt verlassen konnte, sollte er zum Stadtamt geführt werden, um seine Steuer zu entrichten.
Für die Begleitung durch den Stadtkorporal waren pro Stunde zwei Kreuzer fällig.
Später zählten Juden nur sporadisch und über wenige Jahrzehnte zur Stadtgemeinschaft. Pfarrer Philipp Ludwig Hermann Roeder schrieb 1821 in einem geographischstatistischen Werk über Aalen: ,,Mit den Juden ist auch dieses Oberamt bisher verschont geblieben, denn es ist und bleibt ein wahres Unglück, wo diese sich einschleichen." In seiner Stadtchronik notierte Stadtschultheiß Julius Bausch noch 1890: ,,In Aalen hat bis dato kein Jude sich niedergelassen, wird aber die längste Zeit gedauert haben." Im Jahre 1900 waren zehn israelitische Einwohner zu verzeichnen, seit 1905 waren es nur noch sieben.
So viele waren es auch 1933. Sie ereilten während der NS-Herrschaft unterschiedliche Schicksale. Hatte die Propaganda der Nationalsozialisten schon in ihrer Kampfzeit die Juden mit Schmutz beworfen, so steigerte sich nach der Machtergreifung durch Hitler die Agitation gegen den so genannten „Volksfeind Nr. 1" fortwährend. Zunächst versuchte man, die Juden durch Diskriminierungen und Schikanen aus dem bürgerlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben zu verdrängen und dadurch zur Auswanderung zu veranlassen, nach Möglichkeit ohne ihre Vermögenswerte. So fanden ab 1933 zunächst ohne ein konkretes umfassendes Ziel illegale Aktionen und gewalttätige Übergriffe statt. Jeder Kontakt mit Juden wurde verboten. Als Volksfeind galt, wer in einem jüdischen Geschäft einkaufte, sich von einem jüdischen Arzt behandeln oder seine Interessen durch einen jüdischen Rechtsanwalt wahrnehmen ließ.
Jüdische Geschäfte wurden gekennzeichnet, SA-Männer bezogen vor den Eingängen Posten und verwehrten Kauflustigen den Zutritt. Die Parole hieß: ,,Wer beim Juden kauft, ist ein Feind des Vaterlandes!" Es folgte die Ausschaltung der jüdischen Beamten aus dem öffentlichen Dienst. Zahlreiche Verwaltungsbeamte, Richter und Hochschullehrer wurden zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Die Theater wurden „entjudet", Künstler verfemt.
Jüdischen Ärzten wurde die Zulassung zu den Krankenkassen, jüdischen Viehhändlern die Handelserlaubnis entzogen. Die Juden verloren das Bürgerrecht und das Wahlrecht, sie durften keine bürgerlichen Ehrenämter mehr bekleiden. Einem zermürbenden Kleinkrieg waren jüdische Geschäfte, Handels- und Gewerbebetriebe ausgesetzt. Jüdischen Unternehmern entzog man alle öffentlichen Aufträge und setzte sie unter Druck; vielen blieb keine andere Möglichkeit, als ihren Betrieb zu verkaufen und auszuwandern. Die nationalsozialistische Propaganda hatte ihre Judenhetze vor allem auf das Warenhaus Heilbron, Bahnhofstraße 18, konzentriert. Heilbron verpachtete sein Geschäft an den Warenhausring „Wohlwert“.
In der so genannten Reichskristallnacht am 9. November 1938 wurden die Schaufenster der jüdischen Geschäfte an der Bahnhofstraße zertrümmert. Ihre Inhaber wurden für mehrere Wochen inhaftiert. Die meisten verließen nach ihrer Entlassung die Stadt und wanderten aus. Max Pfeffer setzte sich nach Brüssel ab. 1948 kehrte er nach Aalen zurück und betrieb sein Geschäft weiter. Die letzte Aalener Jüdin, Fanny Kahn, zog im Zusammenhang mit der Zwangsumsiedlung von Juden 1941 nach Oberdorf.