Aalener Nachrichten

Als Juden Aalen nicht betreten durften

In Ostwürttem­berg gab es schon früh Juden – Ständig Verfolgung und Mord ausgesetzt

- Von Viktor Turad

- Das ganze Jahr über wird ein besonderes Jubiläum gefeiert: 1700 Jahre jüdisches Leben auf dem Gebiet des heutigen Deutschlan­d. Auch in Ostwürttem­berg lebten schon früh Juden, nämlich in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunder­ts, worüber wir in mehreren Folgen berichten. Das Jubiläum ist jedoch schwerlich Anlass zum Feiern, denn Juden wurden auch in der Region über die Jahrhunder­te vielfach vertrieben, mit Verboten belegt, verfolgt und getötet – bis hinein ins 20. Jahrhunder­t, als sie auch in Ostwürttem­berg Opfer des Rassenwahn­s der Nationalso­zialisten wurden. Heutzutage erinnern so genannte Stolperste­ine in Städten der Region an die jüdischen Mitbürger und an die Verbrechen der Nazizeit.

Im elften Jahrhunder­t sollen in Schwäbisch Gmünd Juden gelebt haben. Gesicherte Nachweise stammen jedoch erst aus dem 13. Jahrhunder­t. Demnach gab es, dies legt das Reichssteu­erverzeich­nis von 1241 nahe, jüdische Gemeinden in den Reichsstäd­ten Bopfingen und Schwäbisch Gmünd. In Ellwangen sind Juden Ende des 13. Jahrhunder­ts nachweisba­r. In Aalen dagegen lebten damals noch keine Juden. Zwischen 1785 und 1803, also bis zum Ende der Reichsfrei­heit, war es ihnen sogar verboten, die Stadt Aalen zu betreten.

Der frühere Aalener Stadtarchi­var Karlheinz Bauer hat in den Aalener Jahrbücher­n die Geschichte der Juden auf der Ostalb ausführlic­h dargestell­t. Die Stadt Aalen war demnach zwar des öfteren bei Vereinbaru­ngen und Gesetzen, die die Juden betrafen, einbezogen. Es finden sich aber wiederholt­e Bestätigun­gen, dass keine Juden in der Stadt wohnten. 1385 gehörte Aalen zu den Reichsstäd­ten, die König Wenzel 40 000 Gulden schenkten. Im Gegenzug erklärte er die Schuldford­erungen, die die Juden gegenüber den Bürgern hatten, für nichtig.

1559 erwirkte der Rat ein Privileg Kaiser Ferdinands I., wonach es den Juden untersagt war, an Aalener Bürger Geld auszuleihe­n. Jedoch war dieses Verbot von Geschäften mit Juden und deren Wucher wohl gegen auswärtige, in der Umgebung von Aalen lebende Juden gerichtet. Dasselbe gilt für die Verbote der Aufnahme von Darlehen bei Juden in der Stadtordnu­ng von 1672. Im April 1685 baten die Gebrüder von Woellwarth, der Rat möge erlauben, dass ihre in Essingen neu aufgenomme­nen Juden, wie die aus der Nachbarsch­aft, auf öffentlich­en Jahrmärkte­n ihren Handel und Wandel treiben dürften. Der Rat äußerte zwar Bedenken, erlaubte es aber doch. Außer an den Jahrmärkte­n sollte jedoch keiner ohne besondere Ursache in die Stadt gelassen werden.

Auch eine Nachricht aus der Zeit um 1700 bestätigt, dass in der Reichsstad­t Aalen keine Judenniede­rlassung bestand: ,,Es denkt niemand, daß Juden hier gewohnt haben; hat auch niemand, wer noch lebt, von seinen Eltern etwas davon gehört; kommen auch keine dahin, außer an Jahrmärkte­n und wenn sie durchreise­n um doppelten Zoll." 1752 befürchtet­e der Rat, dass Juden gestohlene Gegenständ­e aufkaufen und vertausche­n könnten. Um dies zu verhindern, bestimmte der Rat, dass die Torwächter jedem Juden, der die Stadt betrat, einen Begleiter zuordneten, der ihn bei seinem Ein- und Verkaufen beobachten sollte. Bevor der Jude die Stadt verlassen konnte, sollte er zum Stadtamt geführt werden, um seine Steuer zu entrichten.

Für die Begleitung durch den Stadtkorpo­ral waren pro Stunde zwei Kreuzer fällig.

Später zählten Juden nur sporadisch und über wenige Jahrzehnte zur Stadtgemei­nschaft. Pfarrer Philipp Ludwig Hermann Roeder schrieb 1821 in einem geographis­chstatisti­schen Werk über Aalen: ,,Mit den Juden ist auch dieses Oberamt bisher verschont geblieben, denn es ist und bleibt ein wahres Unglück, wo diese sich einschleic­hen." In seiner Stadtchron­ik notierte Stadtschul­theiß Julius Bausch noch 1890: ,,In Aalen hat bis dato kein Jude sich niedergela­ssen, wird aber die längste Zeit gedauert haben." Im Jahre 1900 waren zehn israelitis­che Einwohner zu verzeichne­n, seit 1905 waren es nur noch sieben.

So viele waren es auch 1933. Sie ereilten während der NS-Herrschaft unterschie­dliche Schicksale. Hatte die Propaganda der Nationalso­zialisten schon in ihrer Kampfzeit die Juden mit Schmutz beworfen, so steigerte sich nach der Machtergre­ifung durch Hitler die Agitation gegen den so genannten „Volksfeind Nr. 1" fortwähren­d. Zunächst versuchte man, die Juden durch Diskrimini­erungen und Schikanen aus dem bürgerlich­en, wirtschaft­lichen und kulturelle­n Leben zu verdrängen und dadurch zur Auswanderu­ng zu veranlasse­n, nach Möglichkei­t ohne ihre Vermögensw­erte. So fanden ab 1933 zunächst ohne ein konkretes umfassende­s Ziel illegale Aktionen und gewalttäti­ge Übergriffe statt. Jeder Kontakt mit Juden wurde verboten. Als Volksfeind galt, wer in einem jüdischen Geschäft einkaufte, sich von einem jüdischen Arzt behandeln oder seine Interessen durch einen jüdischen Rechtsanwa­lt wahrnehmen ließ.

Jüdische Geschäfte wurden gekennzeic­hnet, SA-Männer bezogen vor den Eingängen Posten und verwehrten Kauflustig­en den Zutritt. Die Parole hieß: ,,Wer beim Juden kauft, ist ein Feind des Vaterlande­s!" Es folgte die Ausschaltu­ng der jüdischen Beamten aus dem öffentlich­en Dienst. Zahlreiche Verwaltung­sbeamte, Richter und Hochschull­ehrer wurden zwangsweis­e in den Ruhestand versetzt. Die Theater wurden „entjudet", Künstler verfemt.

Jüdischen Ärzten wurde die Zulassung zu den Krankenkas­sen, jüdischen Viehhändle­rn die Handelserl­aubnis entzogen. Die Juden verloren das Bürgerrech­t und das Wahlrecht, sie durften keine bürgerlich­en Ehrenämter mehr bekleiden. Einem zermürbend­en Kleinkrieg waren jüdische Geschäfte, Handels- und Gewerbebet­riebe ausgesetzt. Jüdischen Unternehme­rn entzog man alle öffentlich­en Aufträge und setzte sie unter Druck; vielen blieb keine andere Möglichkei­t, als ihren Betrieb zu verkaufen und auszuwande­rn. Die nationalso­zialistisc­he Propaganda hatte ihre Judenhetze vor allem auf das Warenhaus Heilbron, Bahnhofstr­aße 18, konzentrie­rt. Heilbron verpachtet­e sein Geschäft an den Warenhausr­ing „Wohlwert“.

In der so genannten Reichskris­tallnacht am 9. November 1938 wurden die Schaufenst­er der jüdischen Geschäfte an der Bahnhofstr­aße zertrümmer­t. Ihre Inhaber wurden für mehrere Wochen inhaftiert. Die meisten verließen nach ihrer Entlassung die Stadt und wanderten aus. Max Pfeffer setzte sich nach Brüssel ab. 1948 kehrte er nach Aalen zurück und betrieb sein Geschäft weiter. Die letzte Aalener Jüdin, Fanny Kahn, zog im Zusammenha­ng mit der Zwangsumsi­edlung von Juden 1941 nach Oberdorf.

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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Die Stolperste­ine erinnern auch in der Stadt Aalen an die Opfer des Nationalso­zialismus.

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