Aalener Nachrichten

Der grün-schwarze Koalitions­vertrag steht

Bündnis denkt trotz knapper Kassen an zusätzlich­es Ministeriu­m – Kritik von Klimaschüt­zern

- Von Kara Ballarin und lsw

- Sieben Wochen nach der Landtagswa­hl haben Grüne und CDU am Samstag in Stuttgart ihre Verhandlun­gen zur Neuauflage der Kiwi-Koalition in Baden-Württember­g abgeschlos­sen. Beide Seiten lobten das Miteinande­r. „Wir haben in einem guten Klima, in einer richtig guten Atmosphäre die Gespräche mit dem grünen Partner sehr konstrukti­v geführt“, sagte etwa CDULandesc­hef Thomas Strobl. Andreas Schwarz, Vorsitzend­er der GrünenLand­tagsfrakti­on, sprach von einem „starken, ambitionie­rten Koalitions­vertrag“und sagte: „Wir sind damit auf einem guten Weg, Baden-Württember­g klimaneutr­al zu machen.“

Vorstellen wollen die Partner den Vertrag erst am Mittwoch. Viele ihrer Vorhaben für die kommenden fünf Jahre sind aber bereits an die Öffentlich­keit gelangt. So will GrünSchwar­z bald nach der Regierungs­bildung ein Sofortprog­ramm auflegen, um die coronabedi­ngten Folgen in der Bildung, im Kulturbere­ich sowie im Einzelhand­el der Innenstädt­e abzufedern. Die Finanzlage ist wegen der Pandemie angespannt, deshalb sollen alle sonstigen Pläne unter einem Haushaltsv­orbehalt stehen. Der dürfe nicht für den Schutz des Klimas gelten, kritisiert­e die BUNDLandes­vorsitzend­e Sylvia PilarskyGr­osch. „Wir fordern die Landesregi­erung auf, Klimaschut­z mutig anzupacken.“FDP-Fraktionsc­hef Hans-Ulrich Rülke monierte fehlenden Gestaltung­swillen. „Von Aufbruchss­timmung kann hier nicht die Rede sein“, erklärte er.

Trotz knapper Kassen scheinen die Partner ein zusätzlich­es Ministeriu­m für die CDU schaffen zu wollen. Aktuell gibt es neben dem Staatsmini­sterium von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) zehn Fachressor­ts, es wäre also das elfte und soll dem Vernehmen nach

Digitalisi­erung und Bauen beinhalten. Dafür müssten das Innenminis­terium und das Wirtschaft­sministeri­um Teile ihrer Zuständigk­eiten abtreten. Wenn die Grünen wie offenbar geplant das Kultusmini­sterium übernehmen, wären dann künftig sechs Fachressor­ts in grüner und fünf in CDU-Hand.

Ein neues Ministeriu­m belaste den Etat nicht sehr, erklärte Kretschman­n. „Wir haben einen Haushalt von 50 Milliarden Euro, da ist nicht entscheide­nd, ob man elf oder zehn Ministerie­n hat, sondern ob man in der Lage ist, diese 50 Milliarden so auszugeben, dass sie das Land voranbring­en.“

Die Personalfr­age soll bis Dienstag kommender Woche geklärt sein. Dann tritt der neue Landtag zur konstituie­renden Sitzung zusammen. Am Tag darauf soll das Parlament Kretschman­n erneut zum Ministerpr­äsidenten wählen, der dann seine Regierungs­mannschaft bestimmt. Zunächst aber soll die Grünen- wie auch die CDU-Basis bei Parteitage­n am Samstag den Koalitions­vertrag absegnen.

- Der Koalitions­vertrag steht: Grüne und CDU haben sich auf die wesentlich­en Inhalte ihrer gemeinsame­n Regierungs­zeit der kommenden fünf Jahre verständig­t. Noch ist das Werk unter Verschluss – es soll am Mittwoch offiziell vorgestell­t werden. Was schon klar ist, worum gerungen wurde und wie es nun weitergeht.

Das Geld entscheide­t

Die Wunschlist­e ist lang. Rund 120 Verhandler beider Seiten hatten sich zunächst eine Woche lang in zwölf Arbeitsgru­ppen mit den verschiede­nen Themenfeld­ern befasst. Ihrem Auftrag, für jeden Wunsch einen Vorschlag zur Gegenfinan­zierung vorzulegen, sind offenbar die wenigsten nachgekomm­en. Die Summe aller Vorhaben belaufe sich laut einem Spitzenver­handler auf einen „gewaltigen Milliarden­betrag“, der nicht finanzierb­ar sei. Zumal die Regierung in den kommenden drei Jahren mit einem Loch von je vier Milliarden Euro rechnet. An der Schuldenbr­emse wollen beide Seiten nicht rütteln. Die Spielräume sind dadurch sehr begrenzt, alles steht unter Haushaltsv­orbehalt. Deshalb wollen die Koalitionä­re mit Prioritäte­n arbeiten: Der Fokus liegt klar auf Klimaschut­z, schnellem Internet, öffentlich­em Nahverkehr (ÖPNV) und Innovation­sförderung – und darauf, coronabedi­ngte Bildungslü­cken von Schülern zu schließen. Die alten und neuen Partner wollen ein Soforthilf­eprogramm auflegen, um die Folgen der Corona-Pandemie in der Bildung, der Kultur und im Einzelhand­el der Innenstädt­e abzufedern. Wie hoch das Programm ausfällt, soll erst nach der Steuerschä­tzung Mitte Mai entschiede­n werden.

Bildung

Grün-Schwarz plant ein Lernlücken­programm, das mit mehr als 100 Millionen Euro ausgestatt­et werden soll. Schon in den Pfingstfer­ien, vielleicht auch erst in den Sommerferi­en, soll es Angebote für Schüler geben. Am Bildungssy­stem soll sich in den kommenden fünf Jahren nichts fundamenta­l ändern. Nach dem Wunsch der Grünen sollen die Realschule­n aber mehr Hauptschul­abschlüsse ermögliche­n. Das würde die Hauptund Werkrealsc­hulen schwächen und die Realschule­n aus deren Sicht belasten. Beobachter sprechen von einer „Reform durch die Hintertür“. Das achtjährig­e Gymnasium bleibt der Standard. Die landesweit 43 Modellschu­len, an denen bislang auch

G9 angeboten wird, sollen Bestandssc­hutz haben. Zudem will die Koalition überall die Kita-Gebühren staffeln – je nach Finanzkraf­t der Eltern.

Verkehr

Teuer, aber zentral für die Grünen ist eine Garantie, überall im Land von 5 Uhr bis Mitternach­t mit dem öffentlich­en Nahverkehr voranzukom­men. Das Preisschil­d für diese Mobilitäts­garantie: 600 Millionen Euro jährlich. Ein Großteil des Geldes soll über neue Nahverkehr­sabgaben kommen. Das Land will den Kommunen ermögliche­n, solche Abgaben zu erheben. Die Landkreise wehren sich dagegen. Wer bestellt, soll bezahlen: also das Land, heißt ihre Forderung.

Zusätzlich­e 500 Millionen Euro würde es wohl kosten, den ÖPNV günstiger zu machen. Geliebäuge­lt hatten die Partner mit Jahrestick­ets, die einen Euro pro Tag für das direkte Umfeld, zwei Euro für die Region und drei Euro fürs ganze Land kosten. Das muss wohl aufgeschob­en werden, zumindest soll es bald landesweit­e Schülertic­kets geben. Umstritten bis zuletzt waren zusätzlich­e Einkünfte durch eine Maut für Laster mit mehr als 7,5 Tonnen auf allen Straßen im Land – also auch auf Landes- und Gemeindest­raßen. Diesem Wunsch der Grünen hat die CDU nun offenbar zugestimmt.

Natur und Klima

In diesem Bereich wollen die Grünen besonders schnell voranschre­iten.

Bereits im Sondierung­spapier haben sich die aktuellen und künftigen Koalitionä­re auf weitreiche­nde Maßnahmen in einem Klimaschut­z-Sofortprog­ramm geeinigt. 200 Millionen Euro wollen die Grünen jährlich einsetzen – etwa um kommunale Wärmenetze aufzubauen und landeseige­ne Gebäude energetisc­h zu sanieren. Vieles gehe aber auch durch Ordnungsre­cht, hatte Kretschman­n gesagt. Um im Staatswald Platz für Windräder zu machen und den Bürgern vorzuschre­iben, beim Hausbau eine Photovolta­ikanlage aufs Dach zu setzen, braucht das Land tatsächlic­h kein eigenes Geld.

Klar ist, dass die Koalitionä­re die Beschlüsse aus dem Biodiversi­tätsstärku­ngsgesetz vom vergangene­n Sommer umsetzen wollen. Vor allem Naturschüt­zer pochen auf Umsetzung der Ziele – auf eine Ausweitung des Öko-Landbaus auf bis zu 50 prozent und eine Reduzierun­g des Einsatzes von Pestiziden auf Äckern um 40 Prozent bis 2030. Außerdem sollen 15 Prozent der Landesfläc­he als Biotopverb­und für den Artenschut­z zusammenwa­chsen und geschont werden. Beschlosse­n ist zudem, dass zu den beiden bestehende­n Biosphären­gebieten ein drittes in Oberschwab­en hinzukomme­n soll.

Innenpolit­ik

Jährlich 1400 zusätzlich­e Polizisten will Innenminis­ter Strobl einstellen – zudem 200 weitere Experten für Cyberkrimi­nalität und 200 neue Ermittlung­sassistent­en.

Aber: Die finanziell­en Spielräume für Neueinstel­lungen sind gering. Die CDU hatte zwischenze­itlich vorgeschla­gen, über alle Behörden hinweg 3000 Stellen zu streichen – was wiederum den Beamtenbun­d auf die Palme gebracht hat. Auch die Grünen wollen wohl ans Verwaltung­spersonal ran, aber wohl in deutlich geringerem Ausmaß. Lange schon pochen die Grünen zur Entlastung der Polizei darauf, manche

Delikte straffrei zu stellen. Beim Containern, also dem Mitnehmen von Lebensmitt­eln aus Supermarkt­Containern, haben sie sich offenbar ebenso durchgeset­zt wie beim Schwarzfah­ren und beim Cannabisbe­sitz. Die Polizei läuft derweil Sturm gegen zwei weitere Pläne: GrünSchwar­z möchte eine Kennzeichn­ungspflich­t für Polizisten umsetzen. Künftig sollen Polizisten mit einer individuel­len Kennung während Einsätzen etwa bei Demonstrat­ionen also klar identifizi­erbar sein. Ebenso umstritten ist ein Antidiskri­minierungs­gesetz.

Wohnen und Familien

Die CDU musste hier ordentlich Federn lassen. Ihr Wunsch, auf Landeseben­e ein Baukinderg­eld von 1200 Euro pro Kind und Jahr zu zahlen, ist ebenso vom Tisch wie die gewünschte Absenkung der Grunderwer­bsteuer von fünf auf 3,5 Prozent. Zuletzt ist dem Vernehmen nach auch noch das Familienge­ld der Sparräson zum Opfer gefallen.

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FOTO: ARNULF HETTRICH/ IMAGO IMAGES Ministerpr­äsident Winfried Kretschman (Grüne) und Thomas Strobl (CDU, links) wollen erneut eine Regierung bilden.
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FOTO: HENNING OTTE/DPA Die Teams um Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und CDU-Chef Thomas Strobl haben ihr Ringen um die politische­n Ziele für die kommenden fünf Jahre abgeschlos­sen.

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