„Wir sind Fußballer, um Gemeinschaft zu spüren“
Vorsitzender des Bezirks Ostwürttemberg, Jens-Peter Schuller, spricht über Annullierung der Saison und blickt auf neue Runde voraus
- An diesem Freitag, 19 Uhr, wird der Bezirkstag des Fußballbezirks Ostwürttemberg des Württembergischen Fußballverbandes aufgrund der Corona-Pandemie erstmals digital stattfinden. Der Vorsitzende des Bezirks, Jens-Peter Schuller, stellt sich zur Wiederwahl für eine mögliche sechste Amtszeit. Der Amateurfußball ist vom Coronavirus erneut unsanft ausgebremst worden. Einem Abbruch der Saison 2019/20 mit einer Quotientenregelung folgte eine komplette Annullierung der Spielzeit 2020/21 ohne Aufund Absteiger. Jens-Peter Schuller hat sich für ein Interview vor dem Bezirkstag den Fragen von Benjamin Post (Aalener Nachrichten) und Alexander Vogt (Rems-Zeitung) gestellt.
Wie bewerten Sie die aktuelle Diskussion um DFB-Präsident Fritz Keller wegen seines Vergleichs des DFB-Vizepräsidenten Rainer Koch mit dem Nazi-Richter Roland Freisler. Muss Keller Ihrer Meinung nach zurücktreten?
Fritz Keller muss sofort zurücktreten, um weiteren Schaden vom DFB abzuwenden. Es ist hochnotpeinlich, was beim Deutschen Fußball-Bund passiert. Das ist so schlimm für den regionalen und lokalen Fußball. Ich würde mir endlich wünschen, dass es dort nicht nur ums Geld und um Ehrverletzungen geht, sondern um die Sache. Um die schönste Nebensache der Welt. Um den Fußball. Ob da der eine oder der andere zurücktreten muss, kann ich von außen nicht beurteilen. Wenn man aber auf die jüngere Historie blickt, dass einige der vergangenen Präsidenten unehrenhaft gegangen sind, dann stimmt dort etwas nicht.
Die Saison 2020/21 im Amateurfußball musste bekanntlich annulliert werden. Verbandsliga-Tabellenführer TSV Essingen und Bezirksliga-Spitzenreiter FV Unterkochen, um nur zwei Vereine zu nennen, trifft die Annullierung besonders. Wie sehen Sie das? Natürlich trifft es die Tabellenführer besonders. So wie es im Vorjahr besonders die getroffen hatte, die nicht in die Relegation durften, wie beispielsweise den damaligen Bezirksliten, ga-Zweiten SG Bettringen. Das tut mir wahnsinnig leid um diese Vereine. Aber Anfang Mai hat sich nun Richtung einer Öffnung für den Trainingsund Spielbetrieb immer noch nichts getan außer bei den Unter-13Jährigen. Daher halte ich es nach wie vor für völlig unrealistisch, irgendwann demnächst wieder einsteigen zu können.
Trotzdem können Sie mitfühlen mit den betroffenen Vereinen und können deren Unmut ob der Saison-Annullierung ohne Auf- und Absteiger verstehen?
Natürlich. Ich bedauere das sehr, weil diese Vereine in den stattgefundenen Spielen in dieser Fast-Vorrunde hart dafür gearbeitet haben. Und jetzt den verdienten Lohn nicht einfahren können. Aber ich sehe keine andere Lösung.
Die Saison-Annullierung war alternativlos?
Für mich war sie alternativlos.
Wie hört sich das Feedback der Vereine in der derzeitigen Situation an?
Auf einer Plattform hat der Württembergische Fußballverband die Vereine vor der Annullierung nach ihrer Meinung gefragt. Anhand der Stellungnahme des Vereins konnte man ganz klar den Tabellenplatz des Vereins ablesen. Die Tabellenführer wollten natürlich unbedingt weiterspielen. Die, die auf einem Abstiegsplatz standen, plädierten dafür, sofort aufzuhören. Und die, die zwischendrin platziert waren, haben sich entweder gar nicht gemeldet oder denen war es egal oder sie sagten, es sei vernünftig, aufzuhören. Es kamen unterschiedliche Reaktionen, so wie es zu erwarten war. Ich kann das aus Vereinssicht verstehen, mache da keinem einen Vorwurf, sich am letzten Strohhalm festzuhalten. Aber ich sehe diesen Strohhalm noch nicht.
War es ein Fehler, im vergangenen Sommer in eine reguläre Saison mit teils weitaus größeren Staffeln als in der Vorsaison zu starten, obwohl klar war, dass die CoronaPandemie noch nicht überstanden ist?
Wenn wir eine Glaskugel gehabt häthätten wir vieles besser gemacht. Wir hatten ja noch die Alternative, nur eine Einfach-Runde zu spielen. Also die Hinrunde fertig zu spielen und zu sagen, dann gelten die Ergebnisse der Hinrunde. Oder sogar noch eine Auf- und Abstiegsrunde zu spielen. Das waren die Alternativen, aber nichts davon war mehr möglich. Von daher haben wir nichts falsch gemacht, als wir so gestartet sind. Durch die Planung einer kompletten Runde hatten wir uns doch nichts verbaut.
Welche Lehren kann man aus diesen beiden Corona-Saisons ziehen? Ich würde keinen kompletten Spielplan machen für die neue Saison. Aber das widerspricht dem Wunsch der Vereine. Die Vereine möchten 15 Heimspiele haben. Sie möchten, dass sich ihr Vereinsheim lohnt. Sie möchten Einnahmen haben. Sie möchten einen fairen sportlichen Wettkampf haben, das ist das Allerwichtigste. Das kann ich auch alles nachvollziehen. Wir kriegen also
Druck von den Vereinen, eine gesamte Saison zu spielen. Eventuell geht dann aber nur eine Hinserie.
Würden Sie eine Änderung des Spielmodus, zum Beispiel mit kleineren Staffeln, begrüßen? Kleinere Staffeln nicht. Wie sollen wir die denn einteilen? Damit würden wir ein Fass ausmachen, das wir nicht wieder zukriegen. Aber eher dann erst einmal eine Einfach-Runde. Und wenn die gut läuft, könnte man danach noch eine Auf- und Abstiegsrunde spielen. Da wäre dann auch eine gewisse Fairness dahinter. Aber absehen, was für die neue Runde besser ist, lässt sich das jetzt noch nicht. Dafür sind wir noch zu früh dran. Wenn aber irgendwann im Juli die Spielpläne gemacht werden müssen, weiß man vermutlich schon mehr beispielsweise auch, was den Fortschritt beim Impfen betrifft.
Was denken Sie: Wann kann wieder Fußball gespielt werden? Bei der Hauptversammlung der
Schiedsrichtergruppe Gmünd Anfang April gaben sie das Versprechen ab, dass es ab dem Sommer wieder soweit sein wird. Stehen Sie weiterhin zu diesem Versprechen?
Versprechen kann ich nichts. Ich möchte es lieber eine Hoffnung nennen. Diese Hoffnung trage ich ernsthaft in mir.
Wo sehen Sie derzeit das größte Problem im Amateurfußball?
In der Ungewissheit. In der Ungewissheit in vielen Richtungen. Wann geht es wieder los? Wie viele Ehrenamtliche haben wir noch, wenn es wieder losgehen kann. Wie viele Trainer, Betreuer und Spielleiter sind bei der Stange geblieben? Wann ist das erste Training wieder möglich? Und wie viele kommen dann zum ersten Training. Wie viele Spielerinnen und Spieler sind uns verloren gegangen?
Befürchten Sie, dass sich viele Spielerinnen und Spieler im Jugendund Aktivenbereich und ehrenamtliche Vereinsmitarbeiter während der Corona-Krise vom Fußball abgewendet haben und nach Corona nicht mehr in den Vereinssport zurückkehren? Nein, das befürchte ich nicht. Das könnte aber der Fall sein. Dass es Menschen gibt, die gemerkt haben, wie schön es auf dem Sofa ist. Ich hoffe das natürlich nicht. Ich hoffe, dass alle mit einer noch größeren Motivation zurückkommen und sagen: Endlich geht es weiter. Wir wissen jetzt, was uns gefehlt hat. Das wäre mein Wunsch. Meistens merkt man ja erst, was man hat, wenn man es nicht mehr hat. Vielleicht geht es vielen so. Dann könnte es auch sein, dass wir noch mehr Ehrenamtliche und noch mehr Fußballer haben als vorher. Das halte ich für unwahrscheinlich, wäre aber natürlich schön.
Im Bereich Jugendfußball kriselt es vor allem im Mädchenfußball. Was sind die Gründe dafür und was muss dagegen getan werden? Es liegt daran, und da beißt sich die Katze in den Schwanz, dass wir zu große Strecken haben. Weil es zu wenig Mannschaften gibt im Mädchenfußball, müssen für die Spiele zu große Strecken zurückgelegt werden. Das ist unser Hauptproblem. Die Ausgangsbasis, um den Mädchenfußball attraktiver zu machen, ist noch nicht da.
Am Freitag steht der erste OnlineBezirkstag des Bezirks Ostwürttemberg an. Was wird in diesem Format anders laufen als sonst?
Es wird nicht die Diskussionen geben wie sonst. Die Wortmeldungen, die ich sehr schätze. Ich befürchte, dass uns Diskussionen zu wichtigen Themen nicht gelingen werden. Weil die Vereinsvertreter momentan einfach zögerlich sind in der Kommunikation. Das ist aber auch reflexiv, wir vom Bezirk sind das doch auch. Das ist alles etwas eingeschlafen, weil nicht gespielt werden kann.
Sie kandidieren für Ihre bereits sechste Amtszeit. „Das ist der schönste Job der Welt“sagten Sie einst über Ihr Amt als Bezirksvorsitzender. Sehen Sie das immer noch so oder hat sich daran mittlerweile auch durch Corona etwas geändert?
Es ist für mich immer noch der schönste Job der Welt. Corona hat dieses Amt allerdings momentan etwas auf Eis gelegt, weil der Kontakt zu den Vereinen und zu den Mitarbeitern im Bezirk auf der Strecke bleibt. Wir sind alle Fußballer, um Gemeinschaft zu spüren. Wenn wir das aber nicht leben und spüren können, ist es uninteressant.
Welche Ziele verbinden Sie mit einer möglichen sechsten Amtszeit? Welche Herausforderungen kommen in den nächsten drei Jahren auf den Bezirk Ostwürttemberg zu?
Eine Spielklassenreform und damit verbunden vielleicht auch eine Bezirksreform als großes Thema. Und dann wird es vor allem darum gehen, wie wir gemeinsam aus dieser Krise kommen. Welche Unterstützung brauchen die Vereine? Diese Aufgaben kennen wir noch nicht. Da werden wir sicherlich gemeinsam Anstrengungen unternehmen müssen, um alles wieder in die Spur zu bekommen. Das wird uns noch lange beschäftigen.