Aus dem Zimmer hinaus in die Welt
Der neue Roman von Andreas Maier birgt Reiseerinnerungen ganz eigener Art
Mit „Das Zimmer“hatte es begonnen, dann nahm Andreas Maier „Das Haus“in den Blick, es folgt „Der Ort“, „Die Universität“, „Die Familie“. In seinem groß angelegten autobiografischen Zyklus unter dem Titel „Ortsumgehung“wendet sich der Autor aus dem hessischen Friedberg nun dem Reisen zu. Sein neuer Roman heißt „Die Städte“– es ist wieder ein schmaler Band von knapp 200 Seiten, oft komisch, manchmal auch etwas trocken.
Maier, Jahrgang 1967 (Foto: dpa), ist alles andere als ein typischer reiselustiger Deutscher. Er bewegt sich eher selten aus seiner hessischen Heimat heraus. „Ich bin kein Tourist, habe Reisen nie gemocht“, schrieb er im vergangenen Jahr in einem Artikel für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“(FAZ). Nur zweimal in seinem Leben sei er überhaupt geflogen. Seine Romanschilderungen beginnt er denn auch mit einer Reise, gegen die er sich nicht wehren konnte: Als Siebenjähriger mit Eltern und Geschwistern nach Südtirol.
„Nürnberg, Brenner, Brixen“, heißt das Kapitel und beschreibt eine typische Urlaubsroute der damaligen Zeit. „Am Vorabend wurde gepackt, die Koffer wurden neben die Eingangstür postiert und der Wecker auf eine so frühe Uhrzeit gestellt, dass wir noch vor dem Berufsverkehr das Autobahnkreuz Nürnberg passiert hatten.“Der Wagen rast über die Autobahn, der Vater steuert, die Mutter reicht Brote nach hinten. Es sind die typischen, beiläufig einfließenden Andreas-MaierBeobachtungen, die das Lesen vergnüglich machen: „Kreuz soundso, Kreuz soundso. Bald sind wir am nächsten Kreuz, und der Vater kündigt es an: Bald sind wir am Kreuz soundso. Vielleicht ist es der einzige Satz, der in einer Zeitspanne von zwanzig, dreißig Minuten fällt.“
Ein paar Jahre später macht Maier mit Eltern und Schwester eine Rundreise durch Griechenland und entdeckt die Vorteile des OuzoTrinkens. Als Sechzehnjähriger trampt er nach Südfrankreich. Im Piemont plant er gar einen Selbstmord, weil seine bisherigen
Schreibversuche nichts gebracht haben, doch stattdessen trifft er auf eine attraktive junge Italienerin.
Mit erstaunlichem Erinnerungsvermögen beschreibt Andreas Maier diese Reisen. Manches liest sich etwas zäh, allzu protokollarisch („Der Tag verlief dem gestrigen ähnlich, wir kauften wieder Baguette, Käse und Wein“), doch dafür entschädigen seine lakonischen Bemerkungen, etwa über die gefürchteten Urlaubsfotos: Eine Freundin präsentiert ihm stapelweise Fotos aus Bangkok; sie weiß zwar nicht mehr, was diese eigentlich zeigen, versichert aber, dass es dort „schön“und „toll“gewesen sei. Der Roman endet schließlich in Weimar, wo der junge Autor eine Lesung hat.
In „Die Städte“entfaltet Andreas Maier mit scharfer Beobachtungsgabe das Porträt einer mobilitätsbesessenen Gesellschaft – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der ein Virus das Reisen nahezu unmöglich gemacht hat. (dpa)
„Wenn diese ganze gesellschaftliche Aufregung vorbei ist, dann werden wir auf entgegengesetzte Weise unaufgeregt akzeptieren, dass wir in einer neuen Normalität angekommen sind. Es ist ein Paradigmenwechsel.“
Zitat aus dem Buch
Suhrkamp Verlag, 190 Seiten, 22 Euro.