Aalener Nachrichten

Alles in Asche

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Glaubt man unseren Politikern jeglicher Couleur, so gibt es derzeit kein Problem, das ihnen – einmal abgesehen von der Pandemie – mehr auf den Nägeln brennt als der Klimaschut­z. Das behaupten sie zumindest alle. Aber was steckt eigentlich hinter dieser Redensart, dass einem etwas auf den Nägeln

brennt? Da sind mehrere Deutungen im Umlauf. So sollen Folterknec­hte im Mittelalte­r die Delinquent­en zum Reden gebracht haben, indem sie ihnen glühende Kohlen auf die Fingerspit­zen legten. Weil man manchmal auch davon spricht, dass einem etwas

unter den Nägeln brennt, gerät eine weitere Foltermeth­ode ins Blickfeld. Als ebenso zielführen­d galten bei den Peinigern wohl Holzspäne, die den armen Opfern unter die Fingernäge­l getrieben und dann angezündet wurden. All dies will man auch den missliebig­sten Politikern nicht wünschen …

Wir neigen zu einer entschiede­n harmlosere­n Interpreta­tion. In einer Sprichwört­ersammlung des 16. Jahrhunder­ts findet sich die Wendung „die kertz ist vff den nagel gebrant“. Als eine mögliche Erklärung bietet sich ein Brauch in den Klöstern des Mittelalte­rs an. Angeblich klebten die Mönche, wenn sie sich zu nachtschla­fender Zeit in der stockdunkl­en Kirche versammelt­en, kleine Kerzen auf den Daumennage­l, damit sie überhaupt etwas sehen konnten. Brannten diese immer mehr ab, wurde es buchstäbli­ch brenzlig. Ob sie dann schlichtwe­g ihre Choräle schneller sangen, um schneller fertig zu werden, ist nicht überliefer­t.

Weil sie hierher passt, handeln wir kurz noch eine andere Redewendun­g ab: Sagt man zu jemandem „Halt die

Klappe!“, so könnte das ebenfalls mit dem damaligen Leben der Mönche zu tun haben – zumindest ist die Erklärung ein beliebtes Schmankerl bei Klosterfüh­rungen: Chorgestüh­le hatten in der Regel hölzerne Sitze zum Hochklappe­n. Passte ein Mönchlein nicht auf oder schlief womöglich ein, und knallte das Brett dann mit Getöse herunter, so zischelte der Nachbar:

„Halt die Klappe!“– was so viel hieß wie: „Sei doch ruhig!“

Schließlic­h noch eine interessan­te Redensart aus diesem Umfeld, die sich auch nicht auf Anhieb erschließt: „Und wenn der ganze Schnee verbrennt, die Asche bleibt uns doch.“Obwohl meistens so zitiert, gehören die beiden Satzteile ursprüngli­ch nicht zusammen. In Gerhart Hauptmanns Sozialdram­a „Die Weber“schließen sich fast alle den wütenden Aufständis­chen an. Nur der über den Aufruhr entsetzte alte Webermeist­er Hilse arbeitet weiter an seinem Webstuhl, an den er sich von Gott gesetzt fühlt: „Hie bleiben mer sitzen und tun, was mer schuldig sein, und wenn d’r ganze Schnee verbrennt.“So seine letzten Worte, bevor er von einer verirrten Kugel tödlich getroffen wird.

Wie es zu dem Zusatz „die Asche

bleibt uns doch“kam, lässt sich nicht mehr verifizier­en. Der Sinn dieser absurden Aussage scheint allerdings klar: Was auch Schlimmes passiert, es kommt alles wieder ins Lot. Nach diesem Muster ist etwa Ilse Werners Liedchen aus dem Helmut-KäutnerFil­m „Wir machen Musik“von 1942 gestrickt: „Wenn du auch mal dein Glück verpasst, beklag nicht dein Geschick. Und wenn du auch mal Sorgen hast, vertreib sie mit Musik. Denn wer zum Trost kein Liedchen kennt, pfeift aus dem letzten Loch. Und wenn der ganze Schnee verbrennt, die Asche bleibt uns doch.“Das war die Botschaft der damaligen Durchhalte­filme. 1945 lag in der Tat alles in Asche.

 ??  ?? Rolf Waldvogel
Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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