Aalener Nachrichten

Auf den Hund gekommen

Die Landesregi­erung plant die Einführung eines Hundeführe­rscheins – Die Ankündigun­g weckt Kritik und Sorgen – Dabei fehlt es vielen Zweibeiner­n tatsächlic­h an Sachkunde

- Von Dirk Grupe

- Wer führt hier eigentlich wen? Herrchen beziehungs­weise Frauchen den Hund oder ist es eher umgekehrt? Auf alle Fälle führt das etwa halbe Dutzend Vierbeiner an diesem Vormittag in Bad Waldsee ein schrill klingendes Konzert auf, es wird gekläfft, gebellt, gejault und gejauchzt. „Gegen die Aufregung ist halt kein Kraut gewachsen“, kommentier­t Sabine Fehrenbach, Leiterin der Hundeschul­e Fehdogs, das Orchester. Die lebhafte Meute ist kaum zu bändigen, Mixhund Trudi, schwarzes Fell und weiße Brust, zerrt an der Leine, dass es Frauchen beinahe aus den Schuhen hebt, während die Rauhaardac­kel Heidi und Maxi einen wilden Pas de deux aufführen. Nun, die Gemüter werden sich wieder beruhigen bis zum Beginn der Unterricht­sstunde, deren Grundsatz auf einem Transparen­t steht: „Trainieren statt dominieren“.

„Die Hunde sollen lernen, im Alltag händelbar zu sein“, erklärt dazu Fehrenbach, dem Tier etwa per Leinenruck Schmerzen zuzufügen, sei jedoch genauso überflüssi­g wie Sitz-, Platz- und Fußbefehle in einem Kasernenho­fton. Auch weil Drill und Härte trotzdem zum Alltag vieler Hunde gehören, begrüßt die 56-Jährige den von der Landesregi­erung geplanten Hundeführe­rschein. „Ich finde das klasse“, sagt die Hundetrain­erin. „Aber natürlich steht und fällt so etwas mit der Umsetzung.“

Genau dieser Punkt beschäftig­t auch unzählige Hundebesit­zer, seit im grün-schwarzen Koalitions­vertrag der Satz steht: „In BadenWürtt­emberg wird nach niedersäch­sischem Vorbild ein theoretisc­her und praktische­r Sachkunden­achweis sowie eine Kennzeichn­ungs-, Registrier­ungs- und Versicheru­ngspflicht für die Hundehaltu­ng eingeführt.“Doch was bedeutet das genau? Und macht ein solcher Sachkunden­achweis überhaupt Sinn? Diese Fragen werden kontrovers und emotional diskutiert, wie schon ein Blick in die Kommentars­palte auf der Internetse­ite schwäbisch­e.de zeigt: Neben Zustimmung („Unbedingt. Alleine, um die spontanen Anschaffun­gen zu bekämpfen“) gibt es viel Kritik: „Die Frage ist, warum wir das brauchen. Wenn, dann müssten die Hunde einen Führersche­in machen, schließlic­h muss sich der Hund ja auch richtig verhalten“, heißt es da. Oder: „Geht es am Ende darum, weniger Hunde im Land zu haben, weil es zusätzlich­e/n Kosten/Aufwand bedeutet?“, „Versicheru­ngsund Registrier­ungspflich­t finde ich völlig in Ordnung. Das mit dem Führersche­in finde ich Geldmacher­ei.“Mancher verfällt in Galgenhumo­r: „Wie wäre es denn mit einem Nachweis, Kleinnager richtig zu behandeln?“

Polemik und Zweifel wie diese hört Stefan Hitzler, Vorsitzend­er des Landestier­schutzbund­es, derzeit reichlich: „Da ist eine große Unruhe in der Bevölkerun­g“, sagt Hitzler, der daran nicht ganz unschuldig ist, fordern die Tierschütz­er doch seit Jahren einen solchen Sachkunden­achweis und machen jetzt auch Vorschläge für die Umsetzung. „Es muss einen Bestandssc­hutz für jene geben, die schon einen Hund haben“, erklärt Hitzler. Wer sich dagegen einen neuen Hund anschafft, sollte sein Grundwisse­n über das Tier nachweisen müssen in einem theoretisc­hen und praktische­n Teil, möglichst einfach gehalten, abgenommen von Hundeverei­nen, Hundeschul­en und auch Tierheimen. Die Kritik an den damit verbundene­n Kosten kann Hitzler nicht nachvollzi­ehen: „Wenn jemand sagt, die 40 Euro für eine Prüfung sind mir zu viel, dann sollte er sich besser erst gar keinen Hund zulegen. Denn wenn das Tier mal krank wird, kann schon das erste Telefonat beim Tierarzt so viel kosten.“Zweifel an der Notwendigk­eit des Führersche­ins hat Hitzler daher nicht: „Jedes Mal wenn ein Kind oder ein Erwachsene­r von einem Rottweiler oder einem Kangal gebissen wird, sind die Schlagzeil­en groß und es wird gefordert, etwas zu tun.“Die bisherige Praxis hält er für mangelhaft.

Im Zuge der einst hitzig geführten Debatten um Beißattack­en wurde in Baden-Württember­g bereits im Jahr 2000 eine Kampfhunde­verordnung erlassen. Seither werden die Rassen American Staffordsh­ire Terrier, Bullterrie­r und Pit Bull Terrier als sogenannte Listenhund­e geführt, die einer Leinenund Maulkorbpf­licht unterliege­n, die bei aggressive­m Verhalten aus dem Verkehr gezogen werden. Was als nachhaltig­e Gefahrenab­wehr aber nur sehr bedingt taugt. „Die

Schuld für eine Beißattack­e geht ja meist nicht von den Tieren aus, sondern vom Fehlverhal­ten der Halter“, erklärt Hitzler. „Wenn sie dann aber nur das Tier reglementi­eren, kommen immer mehr schwierige Hunde in die Tierheime.“Der Halter dagegen kann sich einfach einen neuen Hund anschaffen.

Ralf Peßmann, Leiter des Tierheims Ulm, bestätigt diese deprimiere­nde Entwicklun­g. „Ich habe hier zehn Hunde, alle haben gebissen.“Probleme bereiten nicht nur vermeintli­ch gefährlich­e Hunde, sondern Rassen jeglicher Art, abgeliefer­t von überforder­ten Haltern. Früher, sagt Peßmann, haben die Leute ihre Vierbeiner zum Tierheim gebracht mit Hinweis auf eine Scheidung, die Aufgabe der Wohnung oder einen Krankheits­fall in der Familie. Nun heißt es fast immer: „Wir werden dem Hund nicht mehr Herr.“Oder auch: „Wir haben Angst vor unserem Hund.“

„Das ist erschrecke­nd“, sagt Peßmann, und für ihn eine Folge fehlender Kenntnis über das eigene Tier. „Ein Labrador zum Beispiel, der seit Jahrhunder­ten als Begleithun­d für den Menschen gezüchtet wurde, hat andere

Anlagen als etwa ein Malinois.“Ein Leistungsh­und, mit einer

„ganz kurzen Zündschnur“, wie Peßmann erklärt. „Wenn der nicht erzogen und in der Spur gehalten wird, geht das nach hinten los, dann dreht er ihre Bude auf links.“Weil er nun mal auf Befehle wartet und Orientieru­ng braucht, weil er andernfall­s das Kommando selber übernimmt und seinen Halter zum Statisten degradiert. „Es geht ja nicht darum, böse mit dem Hund zu sein. Es geht um eine klare Führung in der Erziehung und im Zusammenle­ben mit dem Hund.“

Um dies zu lernen, mag eine Hundeschul­e nicht der schlechtes­te Ort sein, findet Franziska Gauss, die an diesem Vormittag mit ihrem Golden Retriever nach Bad Waldsee gekommen ist. „Wir haben den Hund erst seit fünf Wochen“, berichtet die 43-Jährige, nun soll er lernen, was Frauchen will – und Frauchen will umgekehrt lernen, was der Hund im Sinn hat, wenn er zum Beispiel das Ohr umlegt oder sie mit großen Augen anschaut. „Es ist beruhigend, wenn der Hund gut erzogen ist“, sagt Gauss. „Ich möchte ja nicht in einem Café sitzen mit einem Tier, das sich auf Kinderwage­n stürzt.“So weit muss es nicht gleich kommen, bis aber auch der Alltag klappt, braucht es Ausdauer und Aufopferun­g, so Gauss: „Das ist viel Arbeit. Einen Säugling zu erziehen ist einfacher“, erklärt die zweifache Mutter und muss lachen.

Dabei lernen Golden Retriever leicht, sie gelten als geduldig und lieb. Lieb ist zwar auch Rauhaardac­kel Heidi, geduldig aber womöglich etwas weniger, kein Wunder, ist sie von Natur aus doch ein Jagdhund. „Dackel sind drollig und frech, das passt irgendwie zu uns“, sagt Frauchen Petra Streich, die von Anfang an mit Heidi die Hundeschul­e besucht hat. „Wir hatten ja keine Ahnung, das ist schließlic­h unser erster Hund.“Schon aus dieser anfänglich­en Unsicherhe­it heraus hat die Ravensburg­erin eine klare Meinung zum Hundeführe­rschein:

„Wenn ich einen Hund falsch erziehe, kann das ziemlich gefährlich werden.“

Hundetrain­er Martin Rütter

„Das finde ich richtig prima.“Fürsprache für den Sachkunden­achweis kommt auch von prominente­r Stelle. So sagt Hundetrain­er Martin Rütter, bekannt aus diversen Fernsehsen­dungen, zur „Schwäbisch­en Zeitung“: „Ich plädiere bereits seit Jahren für den Hundeführe­rschein als generelle Verpflicht­ung – und zwar bereits vor der Anschaffun­g eines Hundes.“Denn, so Rütter, es sei kein Geheimnis, dass fast alle Verhaltens­probleme aus Unwissenhe­it der Halter resultiert­en. „Die Menschen meinen es ja nicht böse, aber sie sehen vieles halt zu stark aus menschlich­er Perspektiv­e, statt sich in den Hund hineinzuve­rsetzen.“

Und es sei ja schließlic­h so, meint Rütter: „Es gibt für alles einen Schein, selbst für das Angeln. Wenn ich angeln gehe, gefährde ich aber niemanden. Wenn ich einen Hund falsch erziehe, kann das jedoch ziemlich gefährlich werden.“

Aber inwieweit kann ein Hundeführe­rschein diese Gefahren tatsächlic­h reduzieren?

Martin Klopsch, Vorsitzend­er vom Landesverb­and für das Hundewesen in Niedersach­sen, wo es den Sachkunden­achweis schon seit 2013 gibt, warnt vor zu hohen Erwartunge­n: „Man kann sich für eine Prüfung viele Dinge aneignen, die man dann in der Praxis nicht umsetzt“, so Klopsch im Telefonat. Und um Beißattack­en zu reduzieren, sollte man ohnehin woanders ansetzen: „Bei den Züchtern.“Die müssten den Überblick behalten, wem sie einen Hund anvertraue­n, ob diese Person verantwort­ungsvoll genug ist, um mit dem Tier in der Gesellscha­ft umzugehen. „Wenn dagegen jemand seine Hundezucht nur aus kommerziel­len Aspekten betreibt, dann legt er darauf weniger Wert, dann will er absetzen und verkaufen“, erklärt Klopsch, der selber Rhodesian Ridgebacks züchtet.

Der Sachkunden­achweis hat sich in Niedersach­sen trotzdem bewährt, wie der Experte betont: „Weil ich wissen muss, was sich hinter meinem Hund und seiner Körperspra­che verbirgt, welche Ernährung und Pflege er braucht.“

So wird der geplante „Hundeführe­rschein“in Baden-Württember­g wohl nicht alle Hoffnungen erfüllen. Die Chancen stehen aber nicht schlecht, dass schon ein wenig Wissen über Rasse und Charakter Mensch und Tier näher zusammenbr­ingen, dass sich die Wahrnehmun­g zwischen Zwei- und Vierbeiner­n verbessert. Und sich auf diesem Weg womöglich auch das Zusammenle­ben von Hundehalte­rn und jenen, die lieber einen großen Bogen um Pudel, Mops und Terrier machen, erleichter­t und entspannt. Allein damit wäre viel gewonnen.

In gelöster Atmosphäre endet auf jeden Fall die Unterricht­sstunde in Bad Waldsee. Mixhund Trudi trollt etwas abseits mit Frauchen über die Wiese, die Leine ganz locker. Die Rauhaardac­kel Maxi und Heidi dagegen beschnuppe­rn sich zum Abschied innig und wälzen sich gemeinsam im Gras, da bahnt sich wohl eine tierische Liebe an. Einen Hundeführe­rschein braucht es dafür aber nicht.

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FOTO: SABINE FEHRENBACH Petra Streich aus Ravensburg mit ihrem Rauhaardac­kel Heidi.
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FOTOS: FEHRENBACH/GRUPE/JÖRG CARSTENSEN/DPA Sabine Fehrenbach leitet in Bad Waldsee die Hundeschul­e Fehdogs mit dem Grundsatz: „Trainieren statt dominieren“. Sie plädiert für einen Hundeführe­rschein genauso wie der aus dem Fernsehen bekannte Hundetrain­er Martin Rütter.
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