Auf den Hund gekommen
Die Landesregierung plant die Einführung eines Hundeführerscheins – Die Ankündigung weckt Kritik und Sorgen – Dabei fehlt es vielen Zweibeinern tatsächlich an Sachkunde
- Wer führt hier eigentlich wen? Herrchen beziehungsweise Frauchen den Hund oder ist es eher umgekehrt? Auf alle Fälle führt das etwa halbe Dutzend Vierbeiner an diesem Vormittag in Bad Waldsee ein schrill klingendes Konzert auf, es wird gekläfft, gebellt, gejault und gejauchzt. „Gegen die Aufregung ist halt kein Kraut gewachsen“, kommentiert Sabine Fehrenbach, Leiterin der Hundeschule Fehdogs, das Orchester. Die lebhafte Meute ist kaum zu bändigen, Mixhund Trudi, schwarzes Fell und weiße Brust, zerrt an der Leine, dass es Frauchen beinahe aus den Schuhen hebt, während die Rauhaardackel Heidi und Maxi einen wilden Pas de deux aufführen. Nun, die Gemüter werden sich wieder beruhigen bis zum Beginn der Unterrichtsstunde, deren Grundsatz auf einem Transparent steht: „Trainieren statt dominieren“.
„Die Hunde sollen lernen, im Alltag händelbar zu sein“, erklärt dazu Fehrenbach, dem Tier etwa per Leinenruck Schmerzen zuzufügen, sei jedoch genauso überflüssig wie Sitz-, Platz- und Fußbefehle in einem Kasernenhofton. Auch weil Drill und Härte trotzdem zum Alltag vieler Hunde gehören, begrüßt die 56-Jährige den von der Landesregierung geplanten Hundeführerschein. „Ich finde das klasse“, sagt die Hundetrainerin. „Aber natürlich steht und fällt so etwas mit der Umsetzung.“
Genau dieser Punkt beschäftigt auch unzählige Hundebesitzer, seit im grün-schwarzen Koalitionsvertrag der Satz steht: „In BadenWürttemberg wird nach niedersächsischem Vorbild ein theoretischer und praktischer Sachkundenachweis sowie eine Kennzeichnungs-, Registrierungs- und Versicherungspflicht für die Hundehaltung eingeführt.“Doch was bedeutet das genau? Und macht ein solcher Sachkundenachweis überhaupt Sinn? Diese Fragen werden kontrovers und emotional diskutiert, wie schon ein Blick in die Kommentarspalte auf der Internetseite schwäbische.de zeigt: Neben Zustimmung („Unbedingt. Alleine, um die spontanen Anschaffungen zu bekämpfen“) gibt es viel Kritik: „Die Frage ist, warum wir das brauchen. Wenn, dann müssten die Hunde einen Führerschein machen, schließlich muss sich der Hund ja auch richtig verhalten“, heißt es da. Oder: „Geht es am Ende darum, weniger Hunde im Land zu haben, weil es zusätzliche/n Kosten/Aufwand bedeutet?“, „Versicherungsund Registrierungspflicht finde ich völlig in Ordnung. Das mit dem Führerschein finde ich Geldmacherei.“Mancher verfällt in Galgenhumor: „Wie wäre es denn mit einem Nachweis, Kleinnager richtig zu behandeln?“
Polemik und Zweifel wie diese hört Stefan Hitzler, Vorsitzender des Landestierschutzbundes, derzeit reichlich: „Da ist eine große Unruhe in der Bevölkerung“, sagt Hitzler, der daran nicht ganz unschuldig ist, fordern die Tierschützer doch seit Jahren einen solchen Sachkundenachweis und machen jetzt auch Vorschläge für die Umsetzung. „Es muss einen Bestandsschutz für jene geben, die schon einen Hund haben“, erklärt Hitzler. Wer sich dagegen einen neuen Hund anschafft, sollte sein Grundwissen über das Tier nachweisen müssen in einem theoretischen und praktischen Teil, möglichst einfach gehalten, abgenommen von Hundevereinen, Hundeschulen und auch Tierheimen. Die Kritik an den damit verbundenen Kosten kann Hitzler nicht nachvollziehen: „Wenn jemand sagt, die 40 Euro für eine Prüfung sind mir zu viel, dann sollte er sich besser erst gar keinen Hund zulegen. Denn wenn das Tier mal krank wird, kann schon das erste Telefonat beim Tierarzt so viel kosten.“Zweifel an der Notwendigkeit des Führerscheins hat Hitzler daher nicht: „Jedes Mal wenn ein Kind oder ein Erwachsener von einem Rottweiler oder einem Kangal gebissen wird, sind die Schlagzeilen groß und es wird gefordert, etwas zu tun.“Die bisherige Praxis hält er für mangelhaft.
Im Zuge der einst hitzig geführten Debatten um Beißattacken wurde in Baden-Württemberg bereits im Jahr 2000 eine Kampfhundeverordnung erlassen. Seither werden die Rassen American Staffordshire Terrier, Bullterrier und Pit Bull Terrier als sogenannte Listenhunde geführt, die einer Leinenund Maulkorbpflicht unterliegen, die bei aggressivem Verhalten aus dem Verkehr gezogen werden. Was als nachhaltige Gefahrenabwehr aber nur sehr bedingt taugt. „Die
Schuld für eine Beißattacke geht ja meist nicht von den Tieren aus, sondern vom Fehlverhalten der Halter“, erklärt Hitzler. „Wenn sie dann aber nur das Tier reglementieren, kommen immer mehr schwierige Hunde in die Tierheime.“Der Halter dagegen kann sich einfach einen neuen Hund anschaffen.
Ralf Peßmann, Leiter des Tierheims Ulm, bestätigt diese deprimierende Entwicklung. „Ich habe hier zehn Hunde, alle haben gebissen.“Probleme bereiten nicht nur vermeintlich gefährliche Hunde, sondern Rassen jeglicher Art, abgeliefert von überforderten Haltern. Früher, sagt Peßmann, haben die Leute ihre Vierbeiner zum Tierheim gebracht mit Hinweis auf eine Scheidung, die Aufgabe der Wohnung oder einen Krankheitsfall in der Familie. Nun heißt es fast immer: „Wir werden dem Hund nicht mehr Herr.“Oder auch: „Wir haben Angst vor unserem Hund.“
„Das ist erschreckend“, sagt Peßmann, und für ihn eine Folge fehlender Kenntnis über das eigene Tier. „Ein Labrador zum Beispiel, der seit Jahrhunderten als Begleithund für den Menschen gezüchtet wurde, hat andere
Anlagen als etwa ein Malinois.“Ein Leistungshund, mit einer
„ganz kurzen Zündschnur“, wie Peßmann erklärt. „Wenn der nicht erzogen und in der Spur gehalten wird, geht das nach hinten los, dann dreht er ihre Bude auf links.“Weil er nun mal auf Befehle wartet und Orientierung braucht, weil er andernfalls das Kommando selber übernimmt und seinen Halter zum Statisten degradiert. „Es geht ja nicht darum, böse mit dem Hund zu sein. Es geht um eine klare Führung in der Erziehung und im Zusammenleben mit dem Hund.“
Um dies zu lernen, mag eine Hundeschule nicht der schlechteste Ort sein, findet Franziska Gauss, die an diesem Vormittag mit ihrem Golden Retriever nach Bad Waldsee gekommen ist. „Wir haben den Hund erst seit fünf Wochen“, berichtet die 43-Jährige, nun soll er lernen, was Frauchen will – und Frauchen will umgekehrt lernen, was der Hund im Sinn hat, wenn er zum Beispiel das Ohr umlegt oder sie mit großen Augen anschaut. „Es ist beruhigend, wenn der Hund gut erzogen ist“, sagt Gauss. „Ich möchte ja nicht in einem Café sitzen mit einem Tier, das sich auf Kinderwagen stürzt.“So weit muss es nicht gleich kommen, bis aber auch der Alltag klappt, braucht es Ausdauer und Aufopferung, so Gauss: „Das ist viel Arbeit. Einen Säugling zu erziehen ist einfacher“, erklärt die zweifache Mutter und muss lachen.
Dabei lernen Golden Retriever leicht, sie gelten als geduldig und lieb. Lieb ist zwar auch Rauhaardackel Heidi, geduldig aber womöglich etwas weniger, kein Wunder, ist sie von Natur aus doch ein Jagdhund. „Dackel sind drollig und frech, das passt irgendwie zu uns“, sagt Frauchen Petra Streich, die von Anfang an mit Heidi die Hundeschule besucht hat. „Wir hatten ja keine Ahnung, das ist schließlich unser erster Hund.“Schon aus dieser anfänglichen Unsicherheit heraus hat die Ravensburgerin eine klare Meinung zum Hundeführerschein:
„Wenn ich einen Hund falsch erziehe, kann das ziemlich gefährlich werden.“
Hundetrainer Martin Rütter
„Das finde ich richtig prima.“Fürsprache für den Sachkundenachweis kommt auch von prominenter Stelle. So sagt Hundetrainer Martin Rütter, bekannt aus diversen Fernsehsendungen, zur „Schwäbischen Zeitung“: „Ich plädiere bereits seit Jahren für den Hundeführerschein als generelle Verpflichtung – und zwar bereits vor der Anschaffung eines Hundes.“Denn, so Rütter, es sei kein Geheimnis, dass fast alle Verhaltensprobleme aus Unwissenheit der Halter resultierten. „Die Menschen meinen es ja nicht böse, aber sie sehen vieles halt zu stark aus menschlicher Perspektive, statt sich in den Hund hineinzuversetzen.“
Und es sei ja schließlich so, meint Rütter: „Es gibt für alles einen Schein, selbst für das Angeln. Wenn ich angeln gehe, gefährde ich aber niemanden. Wenn ich einen Hund falsch erziehe, kann das jedoch ziemlich gefährlich werden.“
Aber inwieweit kann ein Hundeführerschein diese Gefahren tatsächlich reduzieren?
Martin Klopsch, Vorsitzender vom Landesverband für das Hundewesen in Niedersachsen, wo es den Sachkundenachweis schon seit 2013 gibt, warnt vor zu hohen Erwartungen: „Man kann sich für eine Prüfung viele Dinge aneignen, die man dann in der Praxis nicht umsetzt“, so Klopsch im Telefonat. Und um Beißattacken zu reduzieren, sollte man ohnehin woanders ansetzen: „Bei den Züchtern.“Die müssten den Überblick behalten, wem sie einen Hund anvertrauen, ob diese Person verantwortungsvoll genug ist, um mit dem Tier in der Gesellschaft umzugehen. „Wenn dagegen jemand seine Hundezucht nur aus kommerziellen Aspekten betreibt, dann legt er darauf weniger Wert, dann will er absetzen und verkaufen“, erklärt Klopsch, der selber Rhodesian Ridgebacks züchtet.
Der Sachkundenachweis hat sich in Niedersachsen trotzdem bewährt, wie der Experte betont: „Weil ich wissen muss, was sich hinter meinem Hund und seiner Körpersprache verbirgt, welche Ernährung und Pflege er braucht.“
So wird der geplante „Hundeführerschein“in Baden-Württemberg wohl nicht alle Hoffnungen erfüllen. Die Chancen stehen aber nicht schlecht, dass schon ein wenig Wissen über Rasse und Charakter Mensch und Tier näher zusammenbringen, dass sich die Wahrnehmung zwischen Zwei- und Vierbeinern verbessert. Und sich auf diesem Weg womöglich auch das Zusammenleben von Hundehaltern und jenen, die lieber einen großen Bogen um Pudel, Mops und Terrier machen, erleichtert und entspannt. Allein damit wäre viel gewonnen.
In gelöster Atmosphäre endet auf jeden Fall die Unterrichtsstunde in Bad Waldsee. Mixhund Trudi trollt etwas abseits mit Frauchen über die Wiese, die Leine ganz locker. Die Rauhaardackel Maxi und Heidi dagegen beschnuppern sich zum Abschied innig und wälzen sich gemeinsam im Gras, da bahnt sich wohl eine tierische Liebe an. Einen Hundeführerschein braucht es dafür aber nicht.