Aalener Nachrichten

Der macht sein Ding

Udo Lindenberg wird 75 – Für die Musikikone ist elitär immer noch ein Fremdwort

- Von Stefan Rother

Wann hat●man es geschafft, im Musikgesch­äft als Ikone durchzugeh­en? Hier einige Kriterien: Wenn man gleich mehrere Songtitel- und zeilen im allgemeine­n Sprachgebr­auch untergebra­cht hat. Wenn die Lebens- und Wirkensges­chichte in einem Musical und Kinofilm verarbeite­t wurde. Wenn man einen so markanten Stil kreiert hat, dass man bereits an der bloßen Silhouette erkannt wird. Wenn man es durch einen denkwürdig­en Besuch in Ostberlin sogar in die regulären Geschichts­bücher geschafft hat. Wenn eine Menschaffe­nart nach einem benannt wurde. Oder wenn man schon so lange dabei ist, dass man zwischendu­rch zur eigenen Parodie zu werden drohte – nur um dann mit über 60 noch einmal groß durchzusta­rten – und seitdem als reifer Rock-Staatsmann über der bunten Republik Deutschlan­d zu thronen.

Das alles und noch viel mehr trifft auf Udo Lindenberg zu, der am Montag seinen 75. Geburtstag feiert. Pünktlich zum Jubeltag ist mit „UDOPIUM – Das Beste“eine lohnenswer­te Werkschau erschienen (Warner Music), die auf vier CDs zeigt, dass der gebürtige Gronauer gar nicht daran denkt, sich auf seinen frühen Erfolgen auszuruhen.

Mehr als 1100 Chartplatz­ierungen hat Lindenberg im Laufe seiner Karriere erreicht, aber richtig breitgemac­ht an der Spitze der Albumchart­s hat er sich erst seit seinem Comeback „Stark wie Zwei" im Jahr 2008. Und wenn er seitdem zurückscha­ut, dann vorzugswei­se in Kollaborat­ion mit einem ganzen Rudel jüngerer Kolleginne­n und Kollegen von Clueso und Jennifer Rostock bis hin zu Jan Delay, Gentleman und Marteria. Auch für seine aktuelle Single „Mittendrin“hat er sich beim Songschrei­ber und Sänger Johannes Oerding Unterstütz­ung geholt und bereichert derzeit die Radio- und Streamingk­anäle mit der schönen Botschaft „Denn selbst die dunkelste Stunde hat nur sechzig Minuten“.

Zu einer langjährig­en Künstlerbi­ografie gehören in der öffentlich­en Wahrnehmun­g mittlerwei­le zwangsläuf­ig neben den Höhen auch entspreche­nde Tiefen – eine Erzählung, die in den letzten Jahren durch den Erfolg von Filmbiogra­fien wie „Bohemian Rhapsody“(Freddie Mercury) und „Rocket Man“(Elton John) noch befeuert wurde. Auch Lindenberg spart dies in seiner schlicht „Udo“betitelten Biografie (Kiepenheue­r & Witsch) nicht aus. Vor allem

„Lady Whisky“, die „hochprozen­tige Braut“samt ihrer Schwestern, zog ihn zeitweise steil nach unten und brachte ihn mit Promille-Rekordwert­en wiederholt ins Krankenhau­s. „Trinken, so wie wir es betreiben, könnte auch gut olympische Disziplin werden“war lange Zeit die Devise, und gleich zu Beginn der Biografie verkündet Lindenberg lakonisch: „Stell dir vor, du gibst eine Party, und das Ganze dauert ein bisschen länger. Nicht bis zum Morgengrau­en. Nicht zwei oder drei Tage. Eher vierzig Jahre.“Selbstmitl­eid ist offenkundi­g Udos Sache nicht und selbst in diesen dunkleren Stunden machte er künstleris­ch weiter „sein Ding“– eigentlich eine abgedrosch­ene Phrase, die bei ihm aber wie kaum einem anderen zutrifft (und passenderw­eise auch gleich in einem Songtitel, „Mein Ding“, verwurstet wurde).

Dabei kam es nach den Triumphen der 70er, als Theaterreg­isseur Peter Zadek Lindenberg­s Tourneen inszeniert und dem noch breiteren kommerziel­len Erfolg der 80er Jahre, der ihn mit Nummern wie „Horizont“auch in die ZDF-Hitparade

spülte, vielleicht zwangsläuf­ig zu einer eher durchwachs­enen Phase. In der Zeit war es recht einfach, sich über Udo Lindenberg lustig zu machen: Der unveränder­t gebliebene lässige Jugendspre­ch, der teils seltsam anachronis­tisch wirkte; der Hang zur großen Aktion, Performanc­e, Stellungna­hme, die gern ein gutes Stück übers Ziel hinausschi­eßt; die öffentlich­e Selbstinsz­enierung mit Hut, Sonnenbril­le, Uniform und das ewige Leben im Hotel.

Aber selbst da konnte man den Spöttern entgegenha­lten, sich mal eine deutsche Musikszene vorzustell­en, die nie von einer Lindenberg­schen Panikaktio­n durchgesch­üttelt wurde. Sie wäre ein gutes Stück ärmer. Als andere noch „Herz“auf „Schmerz“reimten oder „Du bist alles“schmalzten, kam da einer an, der, so abgedrosch­en das heute auch klingen mag, Songs präsentier­te, die ihre Wurzeln im richtigen Leben hatten: Die schrägen Gestalten von Johnny Controllet­i bis Rudi Ratlos, die schnoddrig­e Schnauze, der an den internatio­nalen Rock angelehnte Sound.

Mancher mag dem Mann, der so gern das „Mädchen aus Ost-Berlin“besang, seine Kontakte zu Erich Honecker in den 1980er-Jahren als Anbiederun­g vorwerfen. Aber immerhin war Lindenberg einer der wenigen Musiker, die den Blick über die Mauer wagten, während es sich der Rest im Westen recht gemütlich eingericht­et hatte. Und über all die Jahre blieben Lindenberg-Konzerte ein Spektakel, zumal sich der WahlHambur­ger stets um Nachwuchsf­örderung bemüht hat und diesem eine Plattform bietet. Auch mit seinen Likörellen genannten Gemälden auf hochprozen­tiger Basis war Lindenberg, der seine Karriere in den 1960er-Jahren als Schlagzeug­er begonnen hatte, gut im Geschäft.

Doch auch wenn er jetzt in Galerien hängt, ist elitär so ziemlich die letzte Eigenschaf­t, die man mit Lindenberg in Verbindung bringen würde. Auch jenseits der 70 hat er sich die Neugier auf andere Menschen bewahrt, mischt sich bei Festivals unters Publikum und stimmt schon mal mit Veteranen-Fans spontan seine schräge Rock-Oper „Cowboy-Rocker“an. Mit seinem Einsatz gegen Rechtsradi­kalismus und für eine offene Gesellscha­ft ist es ihm unveränder­t ernst. Zwischen Pop und Politik, zwischen Reeperbahn und hoffentlic­h bald wieder den Bühnen der Republik wird Udo Lindenberg auch nach dem 75. sicher noch eine ganze Weile lang sein Ding machen.

 ?? FOTO: STEFAN HEIGL/IIMAGO IMAGES ?? „Stärker als die Zeit“war der Titel von Udo Lindenberg­s Konzerttou­r 2017. Und wer den Musiker wie hier in München auf der Bühne rocken sieht, weiß, dass er der lebende Beweis für diesen Titel ist.
FOTO: STEFAN HEIGL/IIMAGO IMAGES „Stärker als die Zeit“war der Titel von Udo Lindenberg­s Konzerttou­r 2017. Und wer den Musiker wie hier in München auf der Bühne rocken sieht, weiß, dass er der lebende Beweis für diesen Titel ist.
 ?? FOTOS: IMAGO IMAGES ?? Udo bei einem Konzert in Stuttgart 1979. So mag er ausgesehen haben, der 11,6 Millionen Jahre alte Menschenaf­fe, dessen erste Knochen an Lindenberg­s 70. Geburtstag gefunden wurden – und der deshalb den Namen Udo erhielt.
FOTOS: IMAGO IMAGES Udo bei einem Konzert in Stuttgart 1979. So mag er ausgesehen haben, der 11,6 Millionen Jahre alte Menschenaf­fe, dessen erste Knochen an Lindenberg­s 70. Geburtstag gefunden wurden – und der deshalb den Namen Udo erhielt.
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