Auf dem Weg zum besseren Ich
Eine App hilft, seinen Charakter zu verbessern – Warum Veränderungen der Persönlichkeit ab 70 Jahren wieder einfacher werden
Ein anderer Mensch zu werden, das wünscht sich so mancher. Aber ohne Übung geht wohl auch hier nichts, falls es überhaupt funktioniert. „Übung für heute: Beim Einkaufen mit einer fremden Person ins Gespräch kommen.“Täglich macht das Smartphone solche Vorschläge, nach drei Monaten soll sein Nutzer deutlich kontaktfreudiger sein als zuvor. Denn die App Peach will ihren Nutzern dabei helfen, ihre Persönlichkeit zu verändern.
Aber geht das überhaupt? Ist der Charakter nicht stark genetisch geprägt und bei Erwachsenen sehr stabil? „Tatsächlich kann man schon bei Babys ein bestimmtes Temperament beobachten, welches sich in den folgenden Jahren in bestimmte Persönlichkeitseigenschaften differenziert“, sagt Mathias Allemand, Professor für Psychologie an der Universität Zürich. Viele Jahre ist die Wissenschaft davon ausgegangen, dass sich Charaktermerkmale, die zu rund der Hälfte angeboren sind, mit zunehmendem Alter allenfalls noch verstärken, aber nicht mehr komplett ändern. Mit 30 Jahren, so die lange geltende Meinung, ist die Persönlichkeitsentwicklung dann abgeschlossen.
„Ich bin eben ein unordentlicher Mensch“oder „Ich war schon immer schüchtern“: Erwachsene geben mit solchen Aussagen über sich selbst häufig selbst zu verstehen, dass an ihrer Persönlichkeit nicht mehr zu rütteln ist. Gleichzeitig äußern in verschiedenen internationalen Studien 60 bis 80 Prozent der Befragten, dass sie gern einige ihrer Charaktereigenschaften ändern würden. „Genannt werden insbesondere drei Dinge: extrovertierter sein, gewissenhafter werden und emotional stabiler“, sagt Allemand.
Wenn der Wille der Menschen nach einer optimierten Persönlichkeit so groß ist: Gibt es dann nicht vielleicht doch einen Weg, diese zu verändern? Dieser Frage ist Mathias Allemand zusammen mit einem internationalen Forscherteam im vergangenen Jahr nachgegangen.
Der Charakter eines Menschen setzt sich aus mehreren Tausend Persönlichkeitsmerkmalen zusammen. Sie geben an, wie sich jemand in verschiedenen Situationen und über Jahre hinweg immer ähnlich verhält, also beispielsweise streitlustig, zurückhaltend oder kommunikativ reagiert. All diese Merkmale haben Wissenschaftler in fünf Haupteigenschaften eingeteilt. „Diese sogenannten Big Five sind die emotionale Stabilität, Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit“, sagt der Psychologe.
Um herauszufinden, ob Menschen nun gezielt ihre Persönlichkeit verändern können, haben die Wissenschaftler
um Mathias Allemand 1500 Teilnehmer gesucht, die eine dieser fünf Eigenschaften gern optimieren wollten. Drei Monate lang erhielten sie dann über die App Peach Aufgaben zur Selbstreflexion sowie Verhaltensübungen. Ein digitaler Agent fragte täglich nach dem Befinden und gab ein Feedback zum Fortschritt. Zudem führten die Probanden Tagebuch.
Das erstaunliche Ergebnis: „Die Teilnehmer konnten ihre Persönlichkeit tatsächlich in die gewünschte Richtung verändern“, sagt Mathias Allemand von der Universität Zürich. Das bedeutet zwar nicht, dass eine schüchtere Person nach dieser Zeit plötzlich zum Alleinunterhalter bei einer Party wurde. „Aber die Veränderungen waren durchaus so, dass sie auch dem Umfeld der Personen aufgefallen sind“, sagt Allemand. Und sie waren vor allem auch drei Monate nach dem Experiment noch da, obwohl die Testpersonen die App dann nicht mehr genutzt haben.
„Die App war ja auch lediglich ein Hilfsmittel, damit die Teilnehmer sich jeden Tag mit ihrem Ziel, also der Persönlichkeitsveränderung, auseinandersetzten“, sagt der Psychologe. Nutzbar ist das Programm derzeit nicht mehr. „Wir haben es für unsere Forschung programmiert und die ist jetzt abgeschlossen.“Ob die App in kommerzieller Form wiederkommt, ist noch offen.
Wer seine Persönlichkeit verändern möchte, braucht statt einer App aber ohnehin vor allem eines: den Willen, dies zu tun. Darüber hinaus empfiehlt der Neurobiologe Gerhard Roth von der Universität Bremen, sich klare, gut erreichbare Ziele zu setzen, wie die Persönlichkeit verändert werden kann, sich für Erfolge zu belohnen und vor allem: viel Geduld mitzubringen.
Zu spät ist es für eine Veränderung jedenfalls nie, ja, das hohe Alter ist sogar gerade wieder ein guter Zeitpunkt, wie die Berliner Psychologin Jule Specht herausgefunden hat. Denn mit dem näher rückenden Ende des Lebens wird die Persönlichkeit noch einmal ähnlich instabil, wie sie im jungen Erwachsenenalter war. So nimmt etwa jeder vierte Mensch um die 70 noch einmal ganz andere Persönlichkeitszüge an. Bei manchen ist der Wandel gar so stark wie bei Teenagern.