Aalener Nachrichten

Lebensrett­ung aus der Luft – per Drohne

Die Wasseralfi­nger Familie Roder bewahrt Rehkitze vor tödlichen Mähwerken.

- Von Eckard Scheiderer

- Einsatzzei­t 45 Stunden, davon reine Flugzeit 25 Stunden über 250 Hektar abgeflogen­er Fläche – wer diese Aufzählung als Rapport eines Luftrettun­gsunterneh­mens liest, liegt so falsch nicht. Luftrettun­g stimmt schon mal, allerdings mit der Drohne statt mit dem Helikopter. Und von einem Unternehme­n könnte man auch sprechen, sogar von einem Familienun­ternehmen, allerdings einem ohne Gewinnstre­ben, sondern aus purem Idealismus für die Kreatur: Die „Rehkitzret­tung Roder“in Wasseralfi­ngen hat sich ganz der Rettung von Rehkitzen vor den für diese tödlichen Mähwerken der Landwirte verschrieb­en. Und nutzt dafür inzwischen modernste Technik.

Wer den Wasseralfi­nger Jäger und Naturschüt­zer Alfred Roder und seine Söhne sowie inzwischen auch diejenigen seiner Enkel kennt, die ebenfalls von dieser Leidenscha­ft infiziert sind, der weiß, dass sie allesamt Waidmänner mit einem ganz besonderen Herz für die Tiere in Wald und Flur sind. Und dass ihnen der tausendfac­he Tod, der sich jedes Frühjahr auf den Wiesen in ganz Deutschlan­d abspielt, bis ins Mark weh tut. Rehkitze kommen im Mai auf die Welt. Nach der Geburt verstecken sie sich bis zu zwei Wochen lang im hohen Gras der Wiesen, stets umsorgt von der Rehmutter, Ricke genannt. Wegen ihres gefleckten Fells sind die Kitze praktisch unsichtbar. Wenn ein Mensch oder eine Maschine kommt, bleiben sie liegen und machen keinen Mucks. Ist ein Landwirt mit dem Mähwerk unterwegs, bedeutet das für die Kitze meist den sicheren Tod. Verhindert werden kann das nur, wenn versteckte Kitze vor dem Abmähen einer Wiese geborgen und in Sicherheit gebracht werden.

So wie das die Mitglieder der „Rehkitzret­tung Roder“tun, wie sich die acht Mann aus der Familie und dem Freundeskr­eis inzwischen nennen. Am 22. Mai hatten sie in diesem Jahr ihren ersten Einsatz, der letzte Drohnenflu­g war am 13. Juni. Jetzt haben Alfred Roder und sein Enkel Dominik eine Bilanz gezogen. In besagten 45 Einsatz- und 25 Flugstunde­n haben sie auf 250 Hektar Fläche in dieser Saison 57 Rehkitze mit der Drohne und fünf Kitze beim Durchlaufe­n aufgespürt und gerettet, außerdem noch einen Junghasen. Im vergangene­n Jahr hatten sie lediglich 26 Kitze gefunden. Unterwegs waren sie diesmal außer in den beiden Wasseralfi­nger Jagdrevier­en, die Familienmi­tglieder gepachtet haben, auch in

Revieren in Abtsgmünd, Essingen, Forst, Lauterburg und Unterromba­ch.

„Jeder Landwirt ist gesetzlich verpflicht­et, spätestens 24 Stunden vor dem Mähen darüber den Jagdpächte­r zu informiere­n“, sagt Alfred Roder. Die allermeist­en würden das auch tun, „denn denen ist es auch nicht recht, wenn Kitze vermäht werden“. Landwirt und Jagdpächte­r sprechen sich wegen der Zeiten dann genauer ab, „sogar vom Abend auf den nächsten frühen Morgen ist noch okay“, sagt Dominik Roder. Und in der Regel funktionie­rten die Absprachen auch.

Wissen die Roders, wann wo gemäht werden soll, rücken sie zuvor jeweils als Viererteam mit ihrer völlig auf eigene Kosten beschaffte­n Drohne aus. Als Piloten sind dabei Dominik und Michael Roder sowie Daniel Hofmann im Einsatz. „Die eigenen Reviere gehen natürlich vor“, sagt Dominik Roder. Die Kitzrettun­g aber auch für andere Jagdpächte­r und Landwirte als Hilfe und Service zu betreiben, die solche Möglichkei­ten nicht haben – kostenlos, versteht sich –, sei ja genau der Sinn der Privatinit­iative.

An der Drohne ist eine Wärmebildk­amera montiert. Mit ihr und mithilfe der von dem Fluggerät gelieferte­n Koordinate­n können die Piloten

die in den Wiesen versteckte­n Rehkitze aufspüren. Geflogen wird je nach Wetterlage in einer Höhe von rund 15 Metern, in der Regel ab 4 Uhr morgens. Früher wäre es für das Auffinden der Tiere noch zu dunkel, zu spät am Vormittag würde die Wärmebildk­amera nicht mehr funktionie­ren, weil dann der Boden schon zu warm ist.

Wird ein Rehkitz aufgefunde­n, wird es geborgen und in eine reichlich bemessene, verschließ­bare Holzkiste gebracht. Die bleibt dann so lange in der Nähe stehen, bis die Wiese gemäht ist. Dann wird das Kitz wieder freigelass­en. Die Ricke, so weiß Roder, sei dabei stets in der Nähe und würde alles genau beobachten. Was im Umkehrschl­uss aber auch bedeutet: Würde man die Kiste mit dem Kitz weiter weg bringen, würde man am Ende möglicherw­eise beide gefährden – Mutter und Kitz. Einige der Rehkitze werden vor ihrer Freilassun­g noch mit einer Ohrmarkier­ung der Wildforsch­ungsstelle Aulendorf versehen. In diesem Jahr waren es 14. Damit kann man den weiteren Weg der Tiere nachvollzi­ehen, sofern es Rückmeldun­gen gibt. Und diese Wege sind äußerst unterschie­dlich: Im Mai 2006 hatte Alfred Roder zwei Kitze in der Nähe von Onatsfeld markiert. Eines davon ist ein Jahr später bei Gaildorf erlegt worden. Das andere hat er selbst 2014 an fast derselben Stelle erlegt, an der er es einst markiert hatte. Fazit aus dieser Geschichte: Rehe können weite Strecken zurücklege­n, müssen es aber nicht. Und: Die Zahl der Rückmeldun­gen ist äußerst gering. Die meisten markierten Rehe würden wohl ohne Rückmeldun­g geschossen.

Früher, so erzählt Alfred Roder, habe man die Kitzrettun­g nur zu Fuß beim Durchlaufe­n bewerkstel­ligt. Und mit Stangen und Bändeln daran habe man schon vorher Wiesen markiert, damit dort erst gar keine Kitze abgelegt würden. Später sei man mit sechs Meter breiten Infrarotge­stängen die Wiesen abgegangen. Die Technik habe aber auf jedes Lebewesen reagiert. Dann kam die Drohne, erstmals von einer privaten Initiative am Bodensee dafür eingesetzt. Inzwischen gibt es Drohnen mit Wärmebildk­ameras speziell für Rehkitze. Dominik Roder überlegt derzeit, eine solche als zweites Gerät zu beschaffen. Schon die erste Drohne sei eine Investitio­n gewesen, „die sich absolut gelohnt hat“, wie er meint.

Alfred Roders „Haushalt“hat derweil neuen tierischen Zuwachs bekommen. In Form eines rund zehn Wochen alten kleinen Rehbocks. Der war hilflos im Straßengra­ben gefunden und dann in die Vogelauffa­ngstation in Göggingen gebracht worden. Für deren Betreiberi­n war das Tier aber zu groß, sie hat es dann an Roder abgegeben. Der wiederum hat es nun „Böckli“getauft und zieht es mit 40 Grad warmer Ziegenmilc­h aus dem Babyfläsch­chen groß. Was „Böckli“mit munteren Sprüngen dankt.

 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Sie sind bei der „Rehkitzret­tung Roder“sozusagen der harte Kern der Truppe: von links Alfred, Daniel, Jürgen, Dominik und Michael Roder.
FOTO: PRIVAT Sie sind bei der „Rehkitzret­tung Roder“sozusagen der harte Kern der Truppe: von links Alfred, Daniel, Jürgen, Dominik und Michael Roder.
 ?? FOTO: SCHEIDERER ?? Mit der Flasche zieht Alfred Roder derzeit einen aufgefunde­nen jungen Rehbock auf. „Böckli“, wie er ihn nennt, fühlt sich dabei ganz offensicht­lich pudelwohl.
FOTO: SCHEIDERER Mit der Flasche zieht Alfred Roder derzeit einen aufgefunde­nen jungen Rehbock auf. „Böckli“, wie er ihn nennt, fühlt sich dabei ganz offensicht­lich pudelwohl.

Newspapers in German

Newspapers from Germany