Bei Schulschließung wollen Eltern klagen
Impfungen von Schülern wie in Ulm und mobile Luftfilter sollen Unterricht ermöglichen
(kab) - Nach den Sommerferien sollen alle Schüler in Baden-Württemberg in die Klassenräume zurückkehren. Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) kündigte am Donnerstag an, die bislang ausgesetzte Präsenzpflicht wieder einzuführen. Elternvertreter warnten die Politik vor weiteren Schulschließungen aufgrund der Pandemie und drohten mit einer Klage, falls Schüler wieder nach Hause geschickt werden. Aus ihrer Sicht sind die Mittel, um sicheren Unterricht zu gewährleisten, längst nicht ausgeschöpft. Mobile Raumlüfter, wie sie Bayern in allen Schulräumen nach dem Sommer aufstellen möchte, seien ein solches Mittel. Ulm hat derweil damit begonnen, Jugendliche an Schulen zu impfen.
- Nach den Schulschließungen zu Beginn der Pandemie ab März 2020 hatte die Politik beteuert: Nie wieder! Im Dezember folgte dennoch der zweite Lockdown. Das darf sich nach dem Sommer auf keinen Fall wiederholen, betonen Elternvertreter – und drohen mit einer Klage. Ulm hat derweil damit begonnen, Schüler zu impfen.
Schon im Mai hat die Arbeitsgemeinschaft Gymnasialer Eltern (Arge) im Regierungsbezirk Stuttgart der neuen Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) einen Brief geschrieben. „Für die Arge Stuttgart ist in den letzten Monaten klar geworden, dass wir auf keinen Fall eine erneute allgemeine Schließung der Schulen hinnehmen werden können“, heißt es in dem Schreiben, das der Arge-Vorsitzende Matthias Mattig-Gerlach am Donnerstag veröffentlicht hat. Auf dieses Schreiben verweist er in einem weiteren Text, den er zeitgleich publik machte. Darin heißt es: „Nach eineinhalb Jahren Pandemie darf den Kindern auf keinen Fall erneut ihr Recht auf Bildung verwehrt werden. Land und Kommunen müssen vorher allen Schulen die verfügbaren Mittel für sichere Klassenzimmer zur Verfügung stellen.“
Welche Mittel er meint, zählt er in beiden Schreiben auf – darunter Luftfilter, Plexiglas-Trennscheiben, versetzter Schulstart und mehr. All das sei niederschwelliger als Schulschließungen. Dann folgt die Drohung: „Die Arge Stuttgart ist darauf vorbereitet, diese Forderungen im Falle einer drohenden allgemeinen oder auch nur teil- oder regionsweisen Schulschließung gerichtlich im Eilverfahren überprüfen zu lassen.“Ihr Anwalt Thomas Würtenberger bereite jetzt schon „ein Eilverfahren gegen das Land oder die Behörde vor, die mögliche Schulschließungen ankündigt“, erklärt Mattig-Gerlach.
Kultusministerin Schopper beschwichtigte am Donnerstag: Sie gehe davon aus, dass trotz der grassierenden Delta-Variante des Coronavirus der Schulbetrieb nach den Ferien für alle starten werde – selbst wenn die Ansteckungszahlen in die Höhe schnellten. Auch wolle sie zur Präsenzpflicht zurückkehren, die seit Beginn der Pandemie ausgesetzt ist. Das würde bedeuten, dass alle Schüler und Lehrer in die Klassenräume zurückkehren müssten. Bislang konnten Eltern ihre Kinder aus Sorge vor einer Ansteckung zu Hause lassen, die Kinder bekamen dann Fernunterricht. „Delta wird sich in den Schulen breitmachen, da muss man sich nichts vormachen“, sagte Schopper in Stuttgart. Allerdings zeige sich, dass Kinder und Jugendliche nur leichte Verläufe hätten.
Luftfilter können Unterricht im Klassenraum sicherer machen – darauf pocht auch der Vorsitzende des Landeselternbeirats Michael Mittelstaedt. Lange schon gibt es heftigen Streit um solche Geräte. Die werden entweder fest in Räume installiert, was viel Zeit und noch mehr Geld kostet, oder als mobile Luftfilter in den Raum gestellt. Für Aufsehen sorgte jüngst eine Studie zum Einsatz solcher Geräte an Stuttgarter Schulen, durchgeführt von der Universität Stuttgart. Die Studienmacher kommen zu dem Ergebnis, dass mobile Raumluftfilter für schlecht belüftbare Räume einen zusätzlichen Nutzen bieten können. Von einem flächendeckenden Einsatz raten sie indes ab – auch deshalb, weil erzeugte Luftströme und Geräusche von den Schülern wohl nicht auf Dauer akzeptiert würden.
Die Studie hat Michael Mittelstaedt als oberster Elternvertreter im Land nun zerpflückt. „Das ist schlicht Betrug“sagt er. Bei seinen Ausführungen bezieht er sich auf die Fakten, die in der Studie genannt werden – deutet sie aber anders. Beispiel: Beim Einsatz von mobilen Luftfiltern sinkt die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, im Vergleich zum Stoßlüften um das Dreifache. Dazu heißt es aber in der Studie: „Wie bereits erläutert sind dabei die Luftreinigungsgeräte zu laut und die Luftgeschwindigkeiten und Turbulenzgrade der Raumluftströmung sind nicht behaglich.“Dass beides auch dann gilt, wenn Fenster aufgerissen werden, werde dabei gar nicht thematisiert, moniert Mittelstaedt. „Letztlich sprechen die in der Studie aufgeführten Messergebnisse eine eigene, nüchterne Sprache: Wer hier Informationen sucht, wird alle Argumente für Raumluftfiltergeräte finden“, betont er und beklagt eine „politisch motivierte Negativ-Interpretation“.
Die Landesregierung bereitet derweil ein Förderprogramm für mobile Luftfilter vor. Mit 60 Millionen Euro will das Land den Kauf zur Hälfte finanzieren, die andere Hälfte sollen die Kommunen als Schulträger zahlen. Nach Berechnungen des Städtetags reicht das Geld nur für rund 24 000 der 70 000 Schulräume im Land. Die Lüfter sollen nach dem Willen des Landes vorwiegend für schlecht belüftbare Räume sein, in denen Kinder der Stufen 1 bis 6 lernen – für die es also noch kein Impfangebot gibt. Für denselben Schülerkreis hat der Bund am Mittwoch angekündigt, bundesweit 200 Millionen Euro für mobile Luftfilter freizugeben – davon entfielen 25 Millionen Euro auf Baden-Württemberg. Ob dieses Geld in das Landesprogramm eingebunden wird, oder obendrauf kommt, ist derweil noch unklar.
Für Jugendliche ab 12 Jahren ist das Biontech-Serum bereits zugelassen, auch wenn die Ständige Impfkommission den Piks nur für Jugendliche mit bestimmten Vorerkrankungen empfiehlt. Ulm schreitet dennoch diese Woche voran. Mobile Impfteams des Kreisimpfzentrums kommen auf Wunsch an die weiterführenden Schulen und impfen Schüler ab 16 Jahren. Die Aktion soll anderen Städten als Vorbild dienen, erklärt Norbert Brugger vom Städtetag. „Die erste Ulmer Erfahrung ist, dass dieses Angebot an den Schulen passieren muss, weil es sonst nicht funktioniert – in ländlichen Gebieten erst Recht nicht.“Am Montag soll ein Fazit zum Ulmer Projekt gezogen und parallel mit der Ärzteschaft besprochen werden, inwieweit diese bereit sei, das Impfen an den Schulen zu übernehmen.
Impfen und sonstige Schutzmaßnahmen reichen nicht für gute Schule, betont Matthias Schneider, Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. „Mindestens noch die nächsten ein, zwei Schuljahre wird Corona das Schulleben prägen. Dafür braucht es mehr Personal, um die Kinder mit ihren Lerndefiziten und zum sozialen Lernen so gut wie möglich zu unterstützen“– notfalls mit einem weiteren Aussetzen der Schuldenbremse.