Mit Rebèl unterwegs auf Stevensons Spuren
Der Fernwanderweg führt durch das am dünnsten besiedelte Departement Frankreichs – Die Cevennen grüßen
Marie-Ange Benoit lacht und striegelt das Fell des graubraunen Esels. Tonnère lässt das geschehen. Er ist einer der beiden Esel, die die fröhliche Frau aus ihrer Zucht mitgebracht hat. Rebèl heißt der andere. Beide stehen bereit für eine Wanderung auf dem Stevenson-Weg, einem der berühmtesten Fernwanderwege im Departement Lozère im Süden Frankreichs. Dieses am dünnsten besiedelte Departement der Republik besticht durch großartige Landschaften und authentische, mittelalterliche Dörfer.
Mit gekonntem Griff befestigt Marie-Ange auf dem Rücken ihrer Esel eine weiche Decke und den Tragesattel. In die großen Taschen steckt sie das Picknick für ihre Gäste, die ein Stück des 250 Kilometer langen Fernwanderweges GR70 gehen wollen. Die meisten Wanderer machen sich hier in Begleitung eines Esels auf den Weg – so wie einst der Schriftsteller Robert Louis Stevenson, der mit seinem Buch „Die Schatzinsel“berühmt geworden ist. 1878 hat der Schotte mit seiner Eseldame Modestine zwölf Tage die Cevennen durchquert, um seinen Liebeskummer zu vergessen. Diesem Trekking-Pionier ist der Name des Fernwanderwegs gewidmet. Die Route führt auch zum Sommet de Finiels, mit seinen 1699 Metern der höchste Berg des stark granithaltigen Bergmassivs Mont Lozère.
Rebèl macht seinem Namen alle Ehre und bestimmt gern das Tempo. Der freche Esel braucht „eine harte Hand im weichen Handschuh“sagt Marie-Ange mit einem Blinzeln in den Augen und bittet ihre Gäste, die Zügel straff zu halten. Tiefe Furchen durchziehen den Wanderweg. Rechts und links erinnern riesige Flächen von violett schimmernden Erikagewächsen, Heidekraut und trockenem Gras an eine schottische Hochebene. „Im Frühjahr blüht hier überall der gelbe Ginster“, beschreibt Marie-Ange in perfektem Deutsch den grandiosen Landstrich, der von Kiefern und allerlei Büschen übersät ist und sich im Herbst als ein wahres Paradies für Pilzsammler entpuppt. Die 56-jährige energische Frau mit den strammen Waden liebt ihre Heimat und die vielen Gesichter, die der Stevenson-Weg je nach Witterung an den Tag legt. Das feuchtneblige Wetter an diesem Tag hat seinen eigenen Charme. Hoch aufragende Steinstelen geben den Wanderern bei dichtem Nebel alle paar Meter Orientierung. In der Ferne sind die weichen Konturen der Cevennen zu sehen, deren Bergketten sich bis in die benachbarten Departements Gard und Ardèche erstrecken.
Nicht weit entfernt liegt das Örtchen Le Pont-de-Montvert, wo einst auch Robert Stevenson mit seiner Eselin vorbeigekommen ist, und wo heute die Stevenson-Gesellschaft ihren Sitz hat. Vincent Mulines von der örtlichen Touristinformation führt seine Besucher eine Anhöhe hinauf zum Beginn des Stevenson-Wegs. Von hier aus bietet sich ein wunderbarer Blick auf das Massiv des Mont Lozère, auf die Granithäuser mit den Schieferdächern und auf das Wahrzeichen der Stadt, die Brücke „Roumejon“, die über den Tarn führt. Vincent zeigt auf den berühmten Glockenturm und erzählt von der Ermordung des katholischen Abtes du Chayla, was 1702 den Aufstand der Kamisarden, wie die Hugenotten aus den Cevennen genannt wurden, ausgelöst habe. 3000 Kamisarden kämpften beharrlich gegen 30 000 französische Soldaten, um ihre Religionsfreiheit wiederzuerlangen.
Der Tarn schlängelt sich durch die gesamte Lozère. Sainte-Enimie mit seinen Kalksteinhäusern, ausgezeichnet als eines der schönsten Dörfer Frankreichs, ist das Tor zu den Tarnschluchten. Hier finden Naturbegeisterte bizarre Formen des Kalksteinmassivs, die steil in den Canyon des türkisblauen Tarn abfallen. Unten am Fluss warten in dem kleinen Dorf La Malène ein paar Schiffer auf Touristen, die sie mit ihren Booten durch die Schluchten schippern können. Eric Persegol ist einer von ihnen. Seit 28 Jahren ist der 58-jährige Bootsmann dort und führt seine Gäste acht Kilometer auf dem Tarn bis zum Endpunkt Cirque de
Baumes. Wuchtige Felsformationen ragen aus dem flachen, klaren Wasser – mal mit roten, eisenhaltigen Steinflächen, mal mit außergewöhnlichen Formen – einem tanzenden Paar oder einem überdimensionalen Pilz. Aufrecht steht Eric am Heck der türkisfarbenen Alubarke und setzt mit einer Holzstange das Boot in Bewegung. Acht verschiedene Fischsorten beherberge der Fluss, erzählt er seinen Gästen und steuert immer wieder Teile des Ufers an, das von Eichen, Buchen und zahlreichen Sträuchern üppig überwuchert wird. Äste und Wurzeln ragen in das klare Wasser, das in allen möglichen Grün- und Blautönen schimmert.
Mit den Schluchten des Chassezac findet sich auch ganz im Osten der Lozère ein Wildwassergebiet für Paddler. Eine herrliche Aussicht auf die „Gorges du Chassezac“lässt sich von La Garde Guérin genießen. Das mittelalterliche Dorf liegt auf knapp 900 Metern Höhe und zählt seit 1992 offiziell zu den schönsten Dörfern Frankreichs. Begeistert führt Patrick Naulin durch die Gassen aus Kopfsteinpflaster, vorbei an alten Steinhäusern mit Schieferdächern zum Befestigungsturm aus dem zwölften Jahrhundert und den Überresten der alten Burg bis zur kleinen romanischen Kirche Saint-Michel. Einst war der Ort eine Festung auf dem Chemin de la Régordane, einem jahrtausendealten Pilger- und Handelsweg zwischen Zentralmassiv und Mittelmeer.
Heute gehört er zum GR700 und verbindet Teile des Jakobswegs. Ganz still ist es abends in dem kleinen Dorf. Gerade mal 19 Menschen leben heute dort.
Im Gegensatz dazu hat Mende, der Verwaltungssitz des Departements, mit seinen 12 000 Einwohnern fast schon Großstadtcharakter. Mitten in der historischen Altstadt führt Stadtführer Riccardo Bussadone seine Gäste in die gotische Kathedrale Notre-Dame-et-Saint-Privat und erzählt die bewegte Geschichte des Gotteshauses, das Papst Urban V. ein Sohn der Lozère, im 15. Jahrhundert erbauen ließ. Die 241 engen Stufen zum Glockenturm hochzusteigen, lohnt sich: Zwar ist die einst größte Glocke der Christenheit nicht mehr da, dafür jedoch bietet der 84 Meter hohe Turm der Kathedrale von Mende einen beeindruckenden Blick auf die Tuffsteinhäuser der Stadt und die umliegende hügelige Landschaft mit dem Lot-Tal und den Cevennen, die Teil der Kulturlandschaft des UNESCO-Welterbes „Causses und Cevennen“sind.
Weitere Informationen: Atout France – Französische Zentrale für Tourismus in Frankfurt, Internet:
Die Recherche wurde unterstützt von der Französischen Zentrale für Tourismus.