Faszination für Falken
Junge Falknerin: Alissa Kazi trainiert mit 17 Jahren ihren ersten Greifvogel.
- Uralt ist die Kunst mit einem Greifvogel zu jagen, immer wieder neu die Faszination daran: „Er ist ein Wildtier, das seinem natürlichen Verhalten nachgeht und dabei mit mir kooperiert“, sagt Alissa Kazi. Sie ist 17, Schülerin und eine der ganz jungen Falknerinnen im Deutschen Falkenorden (DFO). Seit Kurzem trainiert sie ihren ersten eigenen Wanderfalken.
Der Vogel sitzt im Garten des elterlichen Hauses auf einem niedrigen Holzblock und reckt den Hals. Die Augen sind aufmerksam auf den ledernen Handschuh gerichtet, den Alissa am ausgestreckten linken Arm trägt. Zwischen Daumen und Zeigefinger steckt ein kleines Stück Fleisch. Jetzt fliegt der Falke auf und überwindet die vier oder fünf Meter Distanz bis zur Faust. Die lange, dünne Schnur, die zur Sicherheit an seinen Ledermanschetten, die er an den Füßen trägt, befestigt ist, bemerkt er dabei gar nicht.
Die Schwingen ausgebreitet, die gelben Zehen ums Leder gekrallt, holt er sich die Belohnung.
„Er ist Ende April geboren“, hat Alissa zuvor im Gespräch auf der Terrasse berichtet. „In der Natur würden seine Eltern ihn jetzt motivieren, sich sein Futter selbst zu erjagen. Diese Zeit nennt man die Bettelflugperiode. Das Gleiche mache stattdessen ich mit ihm.“Ganz langsam baut die junge Falknerin so ein Vertrauensverhältnis auf zwischen sich und dem gefiederten Geschöpf, für das sie die Verantwortung übernommen hat. Das Ziel: Ihn bald frei fliegen zu lassen und mit ihm gemeinsam das zu tun, was das Wesen eines Greifvogels ausmacht: zu jagen.
Sie ist nicht die einzige mit dieser Leidenschaft. „Uns fällt sehr auf, dass die Falknerei immer mehr Zuspruch bei Frauen findet“, sagt Niels Meyer-Först, der stellvertretende Vorsitzende des DFO. Die Kurse des größten deutschen Falknerverbands seien „locker zur Hälfte weiblich besetzt“. Die sogenannte Beizjagd, die statt einer Waffe eine enge Beziehung zu einem Tier voraussetzt, sei für Frauen besonders attraktiv. Auch den Vereinsvorsitz habe in der historisch von Männern dominierten Falknerei heute mit Elisabeth Leix eine Frau inne. Dass aber eine Falknerin bereits mit 17 Jahren mit eigenem Vogel aktiv sei, sei außergewöhnlich.
Zehn Jahre alt war Alissa, als sie
Feuer fing. Ihre kleine Schwester feierte ihren Kindergeburtstag bei dem Falkner Volker Roth in Brastelburg. „Ich habe in seiner Naturschule einen Falken auf die Faust nehmen dürfen. Das war so toll“, erinnert sie sich. Keine Frage, auch ihren eigenen Geburtstag feierte sie an diesem Ort. Träumte sich fortan in die Welt der Greifvögel. Begann sich für die Biologie dieser Tiere zu interessieren, verschlang das dickste Bestimmungsbuch, das zu finden war, aber das genügte nicht. Ihre Eltern wandten sich noch einmal an Volker Roth, und eines Tages im Herbst durfte die damals Zwölfjährige ihn und seinen Adler auf einer Beizjagd begleiten. Das erste Mal. Es habe sie „voll in den Bann gezogen“, erinnert sie sich. Einerseits. Andererseits war sie zu dieser Zeit Vegetarierin.
„Ich habe so gehofft, dass der Adler nichts fängt und der Hase nicht stirbt“, gesteht die heute 17-Jährige. Aber natürlich, Greifvögel sind Fleischfresser, und Alissa begriff in Brastelburg, dass es normal ist, wenn sich Fleischfresser von anderen Tieren ernähren, und lernte, wie man Adler, Falken und Habichte füttert. Später sah sie auch zu, wie Futtertiere wie etwa Tauben tierschutzgerecht getötet werden und entschied: „Wenn ich das selbst kann, kann ich auch selbst Fleisch essen.“
Wasser plätschert und Alissa dreht sich während des Gesprächs zu ihrem Wanderfalken um. Er badet in einer flachen Schüssel auf dem Rasen. „Das zeigt, dass er sich wohl und sicher fühlt“, erklärt die Aalenerin. „Denn mit nassem Gefieder kann er
sagt Niels Meyer-Först.
eine Weile nicht fliegen.“Schon mit Zwölf hatte sich das damals stille Mädchen ein großes Wissen angeeignet. Volker Roth habe das erkannt und die Eltern gebeten, ihre Tochter zu fördern.
„Zu Ostern 2017 haben mir meine Eltern dann einen Schnupperkurs in der Stauferfalknerei Kloster Lorch geschenkt.“Von da an nahm die inzwischen 13-Jährige den Zug von Aalen nach Lorch, um jede freie Minute und jedes Wochenende in der Stauferfalknerei zu verbringen. „Es war eine schöne Zeit, die mir sehr viel gebracht hat in meiner persönlichen und falknerischen Entwicklung“, sagt Alissa heute. Ihre Schüchternheit überwand sie dort: „Sobald du einen Vogel auf der Faust hast, stellen dir die Leute Fragen. So habe ich gelernt, den Menschen etwas zu erzählen.“Und sie übernahm dort die Verantwortung für ihre ersten Vögel, zwei Turmfalken namens June und Percy. „Die Schaufalknerei ist schön“, entschied die Aalenerin. „aber es hat mich immer mehr zur Beizjagd hingezogen.“
Die alte Kunst mit einem Greifvogel zu jagen hat vermutlich in Asien ihren Ursprung. Schon um 2205 vor Christus wurde sie in China ausgeübt, ist auf der Website des DFO zu lesen. Nach Europa kam die Beizjagd wahrscheinlich im vierten Jahrhundert nach Christus. Sie wurde zum Privileg des Adels. Im 19. Jahrhundert mit der Entwicklung leistungsfähiger Schusswaffen wurde sie zu einer Ausnahmeerscheinung. Erst seit den 1970-er und 80-er Jahren erfahre sie wieder einen richtigen Aufschwung. Laut dem DFO befindet sie sich heute als „nachhaltige und dem zeitgemäßen Tierschutzgedanken verpflichtete Jagdart im Einklang mit den Ansprüchen einer modernen Gesellschaft“.
Dazu gehört, dass kein Falkner einen Nestling aus einem Wildhorst nehmen darf. „Das ist illegal.“Auch Alissas Falke stammt von einem bayrischen Züchter. „Eigentlich wollte ich erst seinen Bruder haben, der in der Voliere ruhiger schien“, erinnert sie sich. Bis sie den anderen Bruder auf die Faust nahm. „Mein Herz hat einen Schlag ausgesetzt, dann schneller geklopft, und ich wusste einfach: Du bist es“, erzählt die Falknerin.
Es ist die Erfüllung eines Traums, auf den Alissa sehr lange hingearbeitet hat. Erst fand sie in Elisabeth Leix, der Vorsitzenden des DFO, eine Mentorin, die die Anfängerin unter ihre Fittiche nahm. Wann immer sie konnte, nahm die Aalenerin in den Ferien und an langen Wochenenden den Zug und fuhr ins Allgäu, um Leix und ihrem Mann Klaus dabei zu helfen, deren Vögel zu versorgen und sie auf der Beizjagd zu begleiten. „Alissa hat mich oft an meinen eigenen falknerischen Werdegang erinnert“, sagt Elisabeth Leix. Deshalb sei es ihr eine Freude zu sehen, wie sie sich entwickle und eine Selbstverständlichkeit, ihr zur Seite zu stehen auf ihrem Weg in die faszinierende Welt der Falknerei. „Falknerei ist kein Hobby“, so Leix. „Es ist eine Lebenseinstellung, eine lebenslange Verpflichtung und Hingabe. Eine Passion für die Beizjagd und Liebe für die Greifvögel, die man in sich trägt oder nicht.“
Alissa trägt sie in sich. Mit 15 Jahren meldete die Gymnasiastin sich bei der Aalener Jägervereinigung für den Jagdschein an. Büffelte neben der Schule für das „grüne Abitur“, und plagte sich auf dem Schießstand an der Waffe. Sie schmunzelt. „Schießen liegt mir nicht so, aber ich hab’s hingekriegt.“Die schriftliche Prüfung schloss sie als Beste ab. Trotzdem, gesteht sie, hätte sie niemals so viel Zeit, Geld und Nerven aufgebracht, wenn sie nicht dieses klare Ziel vor Augen gehabt hätte: einen eigenen Vogel. „Das hat mich auf Kurs gehalten.“Dafür war die Falknerprüfung, die sie im Herbst 2020 drauflegte, für Alissa ein Klacks. Eine Woche Crashkurs im niedersächsischen Jagdschloss Springe mit anschließender Prüfung: „Das hat Spaß gemacht. Und da ich ja schon ein bisschen Erfahrung habe, ist es glücklicherweise auch ganz gut gelaufen.“Alissa Kazi hat als jüngste und beste
Teilnehmerin bestanden.
Von drinnen holt die 17-Jährige ein paar aufgetaute männliche Eintagsküken – ein Abfallprodukt der Geflügelindustrie– denen sie nun den gelben Flaum abzieht: eine Mahlzeit für ihren Vogel, die sie mit dem täglichen Training verbindet. „Als er hier ankam, war das zunächst sehr seltsam“, erzählt Alissa. „Ich habe so lange auf den Moment hingearbeitet.“Aber zum ersten Mal fand sie sich alleine, ohne ihre Mentorin, mit ihrem Falken wieder. „Und ich will als Anfängerin nichts falsch machen.“
Dabei ist sie mit ihrem Schützling schon weit gekommen. Mit Geduld und Ruhe, vielen Wiederholungen im abgedunkelten Raum und mit einem kleinen Lichtkegel nur auf dem Futter hat Alissa als erstes erreicht, dass der Vogel aus der Faust frisst. Langsam hat sie die Helligkeit erhöht. Dann hat sie ihren Falken zum entscheidenden Schritt motiviert: den ersten, kleinen Hopser auf die lederne Faust. „Das ist eine riesige Überwindung für ihn“, erklärt Alissa. „Aber sobald er den ersten Hopser geschafft hat, wird es leichter.“Innerhalb weniger Tage konnte sie die Entfernung auf mehrere Meter steigern und das Training in den Garten verlegen. Ein Anblick voller Schönheit ist das: der Falke mit weit ausgebreiteten Schwingen im Anflug auf die Faust. Auch mit dem sogenannten Federspiel hat Alissa bereits begonnen, einer Beuteattrappe, die der Greifvogel zu fassen versucht, wenn sie sie durch die Luft schwingt. Und sie nimmt ihn zum Training bereits mit aufs freie Feld.
Trotzdem sagt Alissa: „Er ist noch am Anfang.“Es werde noch dauern, bis sich ihr junger Falke zu einem starken und ausdauernden Vogel entwickelt haben wird und bis sie zu einem eingespielten Team zusammengewachsen sein werden. „Falknerei funktioniert nur mit ganzem Herzen“, schreibt der DFO auf seiner Website, und wer sich der Falknerei verschrieben habe, dessen gesamte Freizeit sei auf dieses eine Hobby ausgerichtet. Für Alissa stimmt das so: „Er ist das Wertvollste, das ich habe.“Trotzdem hat sie ihrem Wanderfalken noch keinen Namen gegeben. Den erhält er erst, wenn er frei fliegt und zum ersten Mal Beute macht. Ganz nach alter Falknertradition.
„Uns fällt sehr auf, dass die Falknerei immer mehr Zuspruch bei Frauen findet“,
„Falknerei ist kein Hobby. Es ist eine Lebenseinstellung, eine lebenslange Verpflichtung und Hingabe“, sagt Elisabeth Leix.